Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1938 Nr. 17

Spalte:

309-311

Autor/Hrsg.:

Ström, °Ake V.

Titel/Untertitel:

Der Hirt des Hermas - Allegorie oder Wirklichkeit? 1938

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

809

Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 17.

310

Aus dieser Übersicht läßt sich entnehmen, welche
Fülle von Tatsachenmaterial hier kritisch zusammengestellt
worden ist. Es ist gewiß nicht das geringste
Verdienst der groß angelegten Untersuchung, daß ihr
Verf. dieses Material aus dem Wust der talmudischen
Quellen und zeitgenössischer Literatur mit suveräner
Beherrschung des Stoffes und seiner vielen z. T. höchst
verwickelten Probleme erhoben und übersichtlich und anschaulich
zur Darstellung gebracht hat. Die Exegeten
des AT. und NT. haben an ihr eine Fundgrube großer
und kleiner Einzelheiten, und darüber hinaus eine zuverlässige
Führung durch die Irrwege rabbinischer Interpretation
der Tora und zum Verständnis mancher Aussagen
im NT., die ohne Kenntnis jüdischer Beurteilung
sozialer und gesellschaftlicher Verhältnisse unklar bleiben
. Die ausführlichen Register zu Stellen des AT. und
NT. (S. 251—257) machen die Bedeutung der Arbeit
von Jer. für die Einzelexegese unmittelbar anschaulich.
Ein Sachregister (S. 257—260) und Verzeichnisse der
in der Darstellung erwähnten Hohenpriester von c. 200
bis 70 p und der theologischen Autoritäten dieser Zeit
vervollständigen die Brauchbarkeit des Werkes, für das
die Wissenschaft dem in mühseliger Kleinarbeit vorbildlich
korrekten Verfasser zu großem Dank verpflichtet ist.
Jena. W. Staerk.

Arbeiten und Mitteilungen aus dem neutestamentlichen Seminar
zu Uppsala, hrsg. v. Anton Fridrichsen. III. Ake V. Ström,
Der Hirt des Hermas-Allegorie oder Wirklichkeit? 1936. (44 S.) —
IV. A. Fridrichsen, O. Linton, H. S. Nyberg, O. Rud-
berg, Coniectanea Neotestamentica II. 1936. (48 S.) — V. A. Fridrichsen
, O. Linton, O. L i n d esko g , Qillis Wetter in memoriam.
1937. (19 S.) — VI. B. Sundkler, A. Fridrichsen, Contri-
butions ä l'eiude de la pensee missionairc dans le Nouveau Testament.
1937. (45 S.) Leipzig: Zu beziehen durch A. Lorentz.

Von der dankenswerten Reihe der Veröffentlichungen
des Neutestamentlichen Seminars zu Uppsala, von denen
die beiden ersten Hefte bereits hier angezeigt wurden
(1937, Sp. 198), sind inzwischen vier weitere Hefte erschienen
. Im 3. Heft behandelt Ake V. Ström
die Frage, ob die autobiographischen und visionären
Partien des Hirten des Hermas auf echten Erlebnissen
beruhen oder rein literarische Produkte sind. Er setzt
sich dabei ständig mit dem Kommentar von M.
Dibelius (1923) auseinander, der aufgrund der
Widersprüche in der Darstellung und der literarischen
Parallelen die Frage der „Erlebnisechtheit"
weitgehend zurückschob zugunsten der Abhängigkeit
von literarischen Traditionen und der dadurch verursachten
Erfindung von angeblich „Erlebtem". Ström
sucht demgegenüber nachzuweisen, daß die kurze Erzählung
des Hermas von der Gedankensünde beim Anblick
der badenden Rhode und die Angaben über die
Sünden der Familie des Herrnas Wirklichkeitsschilderung
seien; für die Visionen sucht er nachzuweisen, daß sie
typische Züge echten visionären Erlebens aufweisen,
untersucht dann im einzelnen alle Visionseiuleitungeu
und unterscheidet zwischen echten Visionen, sublimier-
ten Wahrnehmungen, rein gedanklichen Allegorien und
Traumsehen. Aufgrund der Feststellung, daß bei Hermas
echte visionär erlebte Szenen mit literarisch Konstruiertem
sich mischen, fragt der Vf. nun nach dem
Typus der Inspiration des Hermas und bestimmt ihn als
zyklothym, nimmt für den Himmelsbrief in Visio 2
sogar eine optische Halluzination und graphischen Auto-
matisinus an. Es fehlen mir die psychologischen Kenntnisse
, um diese an sich einleuchtende Klassifizierung
nachzuprüfen; aber ein sehr wesentliches prinzipielles
Bedenken kann ich nicht unterdrücken. Auch Dibelius
bestieitet ja nicht, daß Hermas visionäre Erlebnisse gehabt
hat, und über die Frage, ob die autobiographischen
Angaben des Hermas eigene Erlebnisse wiedergeben
«der nicht, läßt sich in der Tat diskutieren, wenn auch
Ström die Schwierigkeiten der Angaben über die Familie
des Hermas wohl unterschätzt. Aber was ist gewonnen,

wenn man feststellen kann, daß einzelne Visionen vermutlich
den Charakter wirklichen Erlebens tragen, andere

I literarisch erdichtet sein müssen? Abgesehen von der
Unsicherheit solcher Entscheidungen ist ja auch in wirklichen
Visionen meistens Traditionsgut verwertet, und

i dem literarisch Erdichteten kann Visionäres zugrunde
liegen. Der Sinn des in den visionären Bildern Oemein-

i ten kommt doch nur an den Tag, wenn man die Schilderung
mit dem sonst Überlieferten vergleicht und daran
die Besonderheit der Schilderung abzulesen sucht. Mir
scheint darum die ganze Fragestellung verfehlt, so richtig
manche der Ergebnisse des Verf. auch im einzelnen sein
mögen.

Das 4. Heft ist A. Jülicher zum 80. Geburtstag
gewidmet. A. Fridrichsen zeigt zunächst einleuch-
I tend, daß das Wort vom Sich-Verleugnen und sein
Kreuz auf sich Nehmen (Mk. 8,34) gewöhnlich als
geistige Haltung gedeutet wird, während Verleugnen
I in diesem Fall den konkreten Sinn des Abfalls, der
Preisgabe hat, sodaß hier gemeint ist, daß der Christ
j „seine ganze Existenz aufs Spiel setzen" muß. O. L i n-
I ton („Zur Situation des Philipperbriefes") sucht zu
zeigen, daß Paulus im Philipperbrief mit seinen Gegnern
darum ringe, daß seine Gefangenschaft als Gefangenschaft
um Christi willen angesehen werde, während seine
Gegner die Beurteilung seines persönlichen Falles und
die Beurteilung des Christentums im allgemeinen getrennt
wissen wollen. Diese Annahme ist möglich, aber
kaum zwingend durchführbar. H. S. Nyberg („Zum
grammatischen Verständnis von Matth. 12, 44—45")
weist mit reichem Vergleichsmaterial aus indogermanischen
und semitischen Sprachen nach, daß der Satz
xal eXdöv (sc. (ixöVOaoTov jtveöiia) evqioxei (töv olxov) o%o)m-
^ovra . . . tote irooewTcu ... ein asyndetischer Konditionalsatz
ist, der übersetzt werden muß: „Findet er
bei seiner Ankunft das Haus leer, so geht er hin". G.
| Rudberg („Die Diogenes-Tradition und das Neue
Testament") stellt die Aussagen des Kynikers Diogenes
zusammen, die irgendwelche Parallelen zum Neuen Testament
bieten, wobei aber nicht viel Wesentliches erscheint
. Fridrichsen gibt zum Schluß Ergänzungen,
besonders zur Literatur über EJtioümoc,.

Das 5. Heft ist dem Andenken des 1926 erst vier-
| zigjährig verstorbenen schwedischen Neutestamentiers ü.
! Wetter anläßlich seines 50. Geburtstages gewidmet. Es
| zeigt die stark religionsgeschichtliche, allein an der Ent-
j stehung des hellenistischen Christentums interessierte
! Forschungsart Wetters auf, bei der besonders die Gestalt
i des Paulus sehr problematisch wurde. Neben einer Schil-
| derung der Dozententätigkeit Wetters, der sich nur
| schwer gegen konservative Anfeindungen behaupten
; konnte, enthält das Heft eine Photographie und eine
Bibliographie Wetters und ein Stück aus einer Rezension
, das Wetters Beurteilung des Paulus als „religiöses
Genie" aufzeigt.

Im 6. Heft handelt B. Sundkler in neuer Weise
: nber Jesu Stellung zur Heidenmission („Jesus et les
I paiens"). Er zeigt, daß die alte Fragestellung: Parti-
! kulansmus oder Universalismus? falsch ist, und daß
die christliche Mission auf die Bildung der evangelischen
Tradition eingewirkt hat. Auf indirektem Wege ergibt
! sich aber, daß der Menschensohngedanke, der Kirchen-
j begriff, die Hochzeitsgleichnisse zeigen, daß Jesus den
i Rest Israels sammeln will; aus der Stellung des Paulus
zu Jerusalem, die Sundkler ganz im Anschluß an
Holl schildert, aus dein Selbstbewußtsein der Urgemeinde
und aus der jüdischen Vorstellung von Jerusalem als
I dem Mittelpunkt der Welt ergibt sich weiter, daß auch
Jesus in Jerusalem den Mittelpunkt der messianisch
erneuerten Welt sah; der Weg vom erneuerten Israel
zu den Heiden ging aber über das Kreuz, das die Heidcn-
| mission erst ermöglichte. Der Partikularismus Jesu
schließt also die Heidenmission nicht aus. Die Grundhaltung
Jesu dürfte mit diesen Ausführungen weitgehend
richtig beschrieben sein, wenn ich auch der kritiklosen