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Ausgabe:

1938

Spalte:

308

Autor/Hrsg.:

Rappaport, Salomo

Titel/Untertitel:

Antikes zur Bibel und Agada 1938

Rezensent:

Duensing, Hugo

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Seite 1

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807

Theologische Lileraturzeitung 193S Nr. 17.

808

und den „weltlichen" Staat Staat sein lasse — werden
als alttestamentlich-jüdische Wege abgelehnt. Jener Weg
ist politisch, dieser politisierend. Demgegenüber steht
die „kompromißlos evangelische" Haltung der Propheten
: der Glaube allein gibt Halt. Auch ihre Haltung ist
natürlich nicht ohne weiteres zu übernehmen, weil sie
noch Erlösung mit Politik vermischt. Dennoch tut sich
hier der „evangelische" Weg auf. „Das Evangelium bestätigt
das Reich, das von dieser Welt ist, und verkündet
eine Kraft der Verwandlung, die dieser Erde noch
fehlt" (S. 66). Von daher ergibt sich der evangelische
Auftrag in der kulturellen Erziehung „als Weg irdischer
Kameradschaft — in der Kraft eines evangelischen Gehorsams
" (S. 71). Die evangelische „Botschaft will gar
nicht der grundlegende Träger von Volkserziehung und
Staatspolitik sein; die irdische Obrigkeit ist schon der
Garant dafür" (S. 72). Durch sie erhält Gott sein
„Reich zur linken Hand". Darum ist die Aufgabe der
evangelischen Kirche dem Staate gegenüber die der „irdischen
Kameradschaft". Nur so wird der klerikale und
der synagogale Irrweg vermieden. Denn die Kirche als
verfaßtes Kirchentum ist ja „nie nur Trägerin der Evan-
geliumsbotschaft" (S. 73)! Darum muß sie ehrlich „im
Lichtkegel der natürlichen Vernunft und ihrer Gotteser-
kenntnis" sich dem Staat zur Mitarbeit anbieten, weder
als Herrin noch als Aschenbrödel, sondern als Kamerad.
Darum gehört auch in den Religionsunterricht die „ernsthafte
, dem Staate nützliche Gesetzespredigt". Was die
Kirche darüber hinaus zu verheißen und zu verschenken
hat, kann dem Staat als Staat nie plausibel gemacht werden
, kann deswegen auch kein Argument für politische
Verhandlungen sein; das kann nur bezeugt, vorgelebt
und auch vorgestorben werden. So vermeidet die Kirche
den Fehler, sich dem Staat gegenüber „als magisch-unvergleichlicher
Konkurrent oder abseitiger kultureller Le-
hensherr" zu gebärden (S. 80). Wenn nun aber der
Staat seine „natürlichen Grenzen" überschritte, „insofern,
daß er sich am Maß des Menschlichen, am Maß des in
aller Welt Gesunden, Wahrhaftigen, Ehrlichen vergriffe
und gegen die Kirche als lästige Mahnerin gereizt oder
gar feindlich würde", so wäre auch dann weder der
klerikale noch der synagogale Irrweg zu beschreiten;
sondern „dann ist die Stunde des eigensten Berufes"
der Kirche „in der Form des exemplarischen Leidens
gekommen" (S. 83). Denn nie hat die evangelische Gemeinde
„den Beruf, Subjekt einer Gegenpolitik zu sein
oder zu werden" (S. 84).

Absichtlich sind die Gedankengänge ausführlich wiedergegeben
worden. So wird deutlich, wie der Verf. die
Klärung der gegenwärtigen Lage der Kirche am AT. vollziehen
und wie er zugleich dabei die Stellung zum AT.
in das rechte Licht setzen kann. Diese Stellung zum
AT. ist vom Evangelium und von den reformatorischen
Erkenntnissen Luthers her als richtig anzuerkennen. Hier
wird das AT. weder in übertriebener und nicht-christlicher
Weise auf die Linie des NT. gerückt noch wird es
rein negativ gesehen (wie Hirsch es tut). Das AT. ist
eben in seinem Noch-Nicht-Charakter zu erkennen und
zu lehren; dann sieht man seine Grenze und seine Verheißungen
, seine Kleinheit und seine Größe, seine jüdische
und seine das Judentum überwindende Seite. Erst
der rechte Gebrauch des AT. macht die Kirche
zum rechten Partner des Staates und
erhält sie darin, rechte Kirche zu sein.

Das ist der Aspekt dieses Buches. In großer Schau
und klarer Einzelformulierung vollzieht er sich. Das Buch
bringt darum weit mehr als die Stellungnahme zu einer
umkämpften Einzelfrage. Es könnte in seiner Art mit
August Winnigs „Europa" zusammengenannt werden,
das nicht zufällig das gleiche Erscheinungsjahr hat. M.s
Arbeit will ja ein Beitrag zur ökumenischen Frage sein,
wie sie in diesem Jahre der Konferenz von Oxford vorgelegen
hat. Denn es geht M. nicht nur um das AT.,
sondern um das Verhältnis von Kirche und Staat zueinander
. Aus der Einsicht in die rechte Bedeutung des

AT. für die christliche Kirche wird hier ein wirklicher
j Weg aufgezeigt für ein mögliches, ja durchaus frucht-
i bares Zusammenleben von Staat und Kirche im deutschen
! Raum. Man kann nur wünschen, daß sein Ruf so gehört
[ und aufgenommen wird, wie er gemeint ist und gehört

zu werden verdient.
Hofgeismar (Marburg). H.W. Hertzberg.

j Rappaport, Dr. Salomo: Antikes zur Bibel und Agada. Wien:
[ohne Verlag] 1937. (31 S.) gr. 8° st Sonderabdruck a. d. Kaminka-
Festschrift.

Der Orient hat die hellenistische Welt, insbesondere
deren Mythologie beeinflußt, und umgekehrt hat der
Hellenismus den Orient durchdrungen. Der vorliegende
Aufsatz will übereinstimmende Vorstellungen und Gedanken
der antiken und jüdischen Literatur besprechen,
i die bisher nicht beachtet wurden und die teils die Gleichheit
der Ideenbildung und die Verwandtschaft des Denkens
in diesen beiden Literaturen beweisen, teils neue
Belege für das Eindringen antiker Vorstellungen ins
Judentum liefern sollen.

Solche Parallelen werden unter folgenden, den Inhalt nicht immer
verratenden Überschriften aufgeführt: Friede unter den Tieren, Frömmigkeit
der Tiere, Tiere als Wächter, Wunderzeichen, Tacitus und Josephus
gemeinsame Züge wie das selbsttätige Sichöffnen der Tore vor der Zer-
i Störung des Tempels, die Erscheinung des Hinunelslichtes und die Himmels-
| Schlacht, Ewigkeit Gottes, Mutter Erde, die Willensfreiheit, der Name
Gottes, Eltern und Kinder, Sei nachgiebig, das Antlitz des Menschen,
die beste Speise.

Eine nützliche Zusammenstellung, die Neues bringt.

, Goslar am Harz. Hugo Duensing.

Jeremias, Prof. D. Dr. Joachim: Jerusalem zur Zeit Jesu. Kulturgeschichtliche
Untersuchung zur neutestamentlichen Zeitgeschichte.

I II. Teil: Die sozialen Verhältnisse, ß. Hoch und niedrig. 2. (Schluß-)
Lieferung: Die Reinerhaltung des Volkstums. Göttingen: Eduard

j Pfeiffer 1937. (S. 141 - 262) gr. 8°. RM 8.50.

Zwischen dem Erscheinen des ersten Teils dieser
! ganz aus den Quellen geschöpften Untersuchung und
j der Ausgabe des 1. Stückes vom 2. Teile lagen sechs
j Jahre, und die Vollendung des 2. Teils hat sich abermals
. weit hingezogen, sodaß fast 15 Jahre über dem Abschluß
des Ganzen hingegangen sind. Es wird unter die-
! sen Umständen angebracht sein, aus der Anzeige der
i ersten Stücke (in Nr. 9 des Jahrgangs 1930 dieser Zeit-
j schrift) kurz zu wiederholen, was zum Verständnis der
Gesamtanlage der Untersuchung und ihrer Teile nötig
ist. Innerhalb der Generalteilung: Wirtschaftliche und
j soziale Verhältnisse des palästinensischen Judentums im
Zeitalter Jesu und der Apostel gibt Vf. eine überall
quellenmäßig unterbaute Darstellung von Gewerbe, Handel
und Fremdenverkehr des heiligen Landes bzw. seiner
! kultischen und politischen Zentrale, und vom Aufbau
der Gesellschaft im heimischen Judentum: Die Reichen
(der Hof, die begüterte Schicht und ihre Vertreter, der
Mittelstand, die Armut [Sklaven, Tagelöhner, Unterstützungsbedürftige
, diese Themen in einem besonderen Heft
' mit dem Signet Jerusalem II auf 35 Seiten]) und als
; Fortsetzung dazu die große Abhandlung „Hoch und
Niedrig" (S. 1—250) mit der Unterteilung Die gesellschaftliche
Oberschicht (Klerus, Patriziat, Theologen,
Pharisäer) und Die Reinerhaltung des Volkstums (legitime
Volksglieder nach Wesen und Rechten; verachtete
Gewerbe und jüdische Sklaven; illegitime Israeliten
[solche mit leichtem Makel und solche mit schwerem
Makel]; heidnische Sklaven, Samaritaner). Dazu ein An-
i hang über die gesellschaftliche Stellung der Frau. In
diesen Abschnitt über die Struktur der Gesellschaft gehört
sachlich das Kapitel IV des besonderen Heftes mit
dem Titel „Die maßgebenden Faktoren für die Gestaltung
der Vermögenslage der Bewohner Jerusalems zur
Zeit Jesu" (Wirtschaftsgeographisches, politische Vcr-
i hältnisse, Religion und Kultus); dazu ein Exkurs über
I die Geschichtlichkeit von Matth. 27,7, die Jer. nicht
i ohne weiteres bestreiten möchte, und ein Exkurs über
! Notzeiten Jerusalems.