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Ausgabe:

1938

Spalte:

304

Autor/Hrsg.:

Rehm, Martin

Titel/Untertitel:

Textkritische Untersuchungen zu den Parallelstellen der Samuel-Königsbücher und der Chronik 1938

Rezensent:

Rost, Leonhard

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i heologische Literaturzeitung 1938 Nr. 17.

304

liehe Gebetsleben mit seinem naiven Egoismus. Dazu
kommt drittens die literarische Gebetsparodie, die sich
Lyrik und Tragödie zur Zielscheibe wählt und im letzteren
Falle nicht nur Paratragödie, sondern auch Parodie
der sakralen Form ist. Als besonderen Typus bespricht
K- an vierter Stelle das Musengebet. Der fünfte Teil
möge unten für sich betrachtet werden.

Daß der alten Komödie gegenüber die neue (A III)
sehr wenig ergibt, liegt in der Hauptsache an ihrer
Eigenart. Aus Piaton (A III) werden ein paar Beispiele
für parodische Anwendung einer bei Aufzählung von
Götternamen üblichen Formel gesammelt. A IV gilt
Phoinix von Kolophon, A V dem Miamis, die beide den
Stoff nicht wesentlich bereichern. Das wird erst bei
Lukian (A II) wieder anders. K. stellt aus den Prosawerken
vornehmlich zwei größere Stellen, nämlich das
Schmähgebet des Timou und die Satire auf das Ge-
betsleben der Menschen im Ikaromenipp, heraus. Das
Vorbild Menipp läßt er dabei nicht aus dem Auge.
Von den Dichtungen geht er namentlich das Spiel Trago-
dopodagra durch.

Nun folgen die Römer, an der Spitze Plautus (B I),
der durch parodische Türszenen oder Parodie von gra-
tulationes hervorragt, von kleineren Gebeten zu schweigen
. Terenz fällt seinem Ethos entsprechend aus. Katull
(B II) und Horaz (B III) bieten nur Vereinzeltes. Aus
Petron und Carmina Priapea (B IV) hebt K. u. a. Proben
von Prädikationen im Ich-Stil aus. Maximian (B V)
und Martial (B VI) mit Stücken aretalogischer Dichtung,
Apulejus (B VII) mit einem Privatgebet, der Panhvmuus
Anthologia Lat. 682 (B VIII) machen den Schluß.

Die Anordnung des Stoffes erfolgt also innerhalb
der beiden Literaturen im ganzen nach chronologischen
Gesichtspunkten. Doch zeigt schon das Beispiel des späten
Maximian, der vor Martial und Apulejus angesetzt
wird, daß dieses Prinzip nicht immer befolgt wird. Mit
dem chronologischen kreuzt sich ein stoffliches. Das
zeigt sich auch innerhalb der einzelnen Kapitel. Ein
Stück aus Piaton wird vorweg im Abschnitt Aristophanes
unter „Musengebet" behandelt; Juvenal kommt dreimal
in Unterordnung unter andere vor, aber ein besonderes
Kapitel ist ihm nicht zuteil geworden. Warum dann
Maximian durch eine Überschrift bevorzugt werden
mußte, sieht man nicht recht ein; er konnte auch in
dem voraufgehenden Abschnitt Platz finden. Die Ausführungen
über den Musenanruf, die mehrere Seiten umfassen
und einen Teil des Abschnitts Aristophanes (A I d)
ausmachen, erstrecken sich nur zum geringsten Teile auf
Aristophanes, sonst auf andere Griechen und auch Römer
. Hier erfahren wir auch „nebenbei" von dem
frühesten Vorkommen von Gebetsparodie in der Antike
überhaupt, nämlich bei Hipponax. Angesichts dieser von
zwei verschiedenen Gesichtspunkten bestimmten Gliederung
hätte man wohl eine besser ausgewogene Verteilung
des Stoffes gewünscht. Dabei soll die Schwierigkeit
, die das Ineinander der Gebetsformen bereitet,
nicht verkannt werden.

Zur Sache selbst ist zu fragen, ob die Grenze für
das, was unter den Begriff Gebet fällt, nicht zu weit
gezogen ist. Kann man z. B. noch von Gebet sprechen,
wenn die Zauberpriesterin bei Petron (134,12) wie eine
zweite Isis im Stil der Ich-Prädikation ihre Macht verkündet
oder Priap (85) in ähnlicher Weise seine Tugenden
? Hier liegt wohl Parodie religiöser Rede, aber nicht
des Gebets vor, und die beiden Stücke hätten den
S. 4 A. 1 erwähnten angereiht werden sollen.

Einen besonderen Hinweis verdient noch die Erörterung
der Frage „Komik und Religiosität", die K. als
Abschluß der Untersuchungen über Aristophanes stellt
(Ale). K. sucht eine Erklärung dafür, daß die Komödie
am heiligen Feste des Dionysos Ernst und Spiel
so nahe neben einander stellen konnte, ohne anzustoßen,
und antwortet darauf mit dem Hinweis auf das Wesen
des Komischen, in dem er mit Schelling und Hegel die
Darstellung des Scherzes durch den Ernst und des

Ernstes durch den Scherz sieht. Dann entspricht die komische
Parodie des Sakralen bei Aristophanes nicht
einer unehrerbietigen Gesinnung, sondern einer Gottesvorstellung
, die Gott selbst sich lachend zu denken
J vermag. K. findet für diese Haltung folgenden Ausdruck:
„Gebetsparodie heißt: von Gott so reden oder mit Göttlichem
so umgehen, als ob Gott einen Spaß verstünde".
' Die Unmöglichkeit einer solchen Auffassung im Bereich
der jüdischen und christlichen Religion liegt aut der
| Hand. K. führt die griechische Gottesvorstellung auf
> die indogermanische Wurzel zurück und stützt seine
Darlegung durch Beispiele, die ihm Hauer geliefert hat.
Man kann nur Achtung haben vor dieser sorgfältigen
| und an guten Beobachtungen reichen Arbeit, die einen
j erfreulichen Beitrag für die Geschichte des Gebets nach
seiner verzerrten, aber auch ernsthaften Form bedeutet,
indem sie seine Elemente und Ornamente umsichtig untersucht
.

Zu den unsittlichen Gebeten S. 142 und 186 f. gehört aus Lukian (Dial"
! mort. 5, 1 u. 6, 3) noch der kurze Hinweis auf die, die den Tod anderer
wünschen, der an Marc. Aur. IV 32, 1 eine Parallele hat, ferner die drei
unfrommen Gebete, die Kaiser Markus (IX 40, 7 ff.) umkehrt, die jedoch
nicht parodisch gemeint sind, sondern ihn eher an die Seite eines Per-
j sius (II 8) treten lassen. — Zu der Anrede an das Bett bei Apulejus
(S. 202) sei auf Eur. Ale. 177 verwiesen, ohne daß damit diese Stelle
als Vorbild hingestellt sei, auch wenn es sich bei beiden um Abschied
vom Leben handelt. — Zu der angeführten Literatur über moderne
| Gebetsparodie füge ich noch Vorwahl, Zur Parodie von Gebeten, Zschr.
f. Religionspsychologie 1932 S. 168 ff.

Northeim._G. B r e i t h a u p t.

i R e h m , Dr. theol. Martin : Textkritische Untersuchungen zu den
I Parallelstellen der Samuel-Königsbücher und der Chronik.

Münster i. W.: Aschendorff 1937. (X, 148 S.) 8° = Alttestamentliche
Abhandlungen. Hrsg. v. Prof. Dr. A. Schulz. XII. Band. 3. Heft. RM10—.

Geh.-Rat Goettsberger hat diese Münchener Dissertation
angeregt, die ein wertvolles speeimen eruditionis
j geworden ist. Das Hauptproblem ist das gegenseitige
] Verhältnis von massoretischem Text und Septuaginta-
Übersetzung in den Paralielstellen der Samuel-Königsbücher
und der Chronik. Diese Frage wird mit Vorsicht
und Gründlichkeit untersucht und das Ergebnis gut ge-
j gliedert und übersichtlich angeordnet vorgetragen. Nach-
dem vorweg die Lukianische Textform besprochen und
I ihre Sonderlesarten mit MT und GB verglichen wor-
; den sind, wird über die Eigenart der griechischen Übersetzung
in 11 Unterabschnitten gehandelt. Alle Möglichkeiten
zur Erklärung von Varianten in Gi; werden
I erwogen und mit dem sorgfältig gesammelten Material
belegt. Ein weiterer Hauptteil untersucht in 9 Unterabschnitten
die Frage, wie weit die griechische Übersetzung
der Samuel-Königsbücher bei der — späteren — Über-
' tragung der Chronik verwendet worden sei. Die Frage
[ wird bejaht, aber dahin eingeschränkt, daß neben dem
Anschluß an die Samuel-Königsbücher doch eine gewisse
Wahrung des Sondercharakters der Chronik zu beobachten
sei. Fehler in der LXX-Vorlage stellt der folgende
Abschnitt zusammen. Dann wird versucht, G für die
Textkritik auszuwerten, wobei der Frage, wie weit G
' selbst von der Parallelstelle her beeinflußt sei, besonderes
Augenmerk geschenkt wird. Der Schlußabschnitt bespricht
die Eigenart und textkritische Stellung der Chronik
in 10 Unterteilen. Hier wird aufgewiesen, daß jeder
Versuch, die Chronik zur Wiederherstellung eines
j verdorbenen Textes in den Parallelen der Samuel-Kö-
i nigsbücher zu benützen, erst die Veränderungen zu berücksichtigen
hat, die die Chronik an älteren Texten
j aus rein stilistischen Gründen vorgenommen hat. Soweit
! nachgeprüft, sind die Belege — abgesehen von ganz
wenigen Druckfehlern — richtig wiedergegeben und stüt-
| zen die vorgetragenen Thesen. Ein Stellenrcgister er-
i höht die Brauchbarkeit der Untersuchung, die jeder,
der sich künftig mit dem Text der Samuel-Königsbücher
1 und der Chronik befaßt, zu Rate ziehen sollte, ua sie in
ihrer Beschränkung auf MT und G Treffliches und Zuverlässiges
bietet.

Berlin-Greifswald.__Leonhard Rost.