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Ausgabe:

1938 Nr. 17

Spalte:

301

Autor/Hrsg.:

Evans-Wentz, Walter Y.

Titel/Untertitel:

Milarepa, Tibets großer Yogi 1938

Rezensent:

Glasenapp, Helmuth

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301

Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 17.

302

sehen nur wenig Literatur besitzen. Die eigenartige My- !
stik der Mahayäna mit ihrer Leugnung der Existenz
einer unveränderlichen Seele und ihrer Annahme einer
allen Erscheinungen zugrundeliegenden ruhevollen Wirklichkeit
tritt in diesen Traktaten mit aller Deutlichkeit
hervor, ebenso wie die seltsamen Wege, auf denen das
Übersinnliche zu erfassen gesucht wird.

Königsberg/Pr. H. von Glasenapp.

Evans-Wentz: Milarepa, Tibets großer Yogi. München-
Planegg: O. W. Barth 1937. (324 S.) 8". RM 6.50; geb. 8.50.

Du Buch stellt ein Gegenstück zu dem an dieser Stelle (Sp. 300 f.) .
besprochenen Werke desselben Verfassers über „Yoga und Geheimlehren |
Tibets" dar und ist gleich diesen von dem Pseudonymus Alterego verdeutscht
worden. Es gibt die von dem Lama Kazi Dawa-Samdup 1917
beendete englische Übersetzung der Biographie Milarepas von seinem i
Schüler Rechung (13. Jh.) wieder, die Dr. Evans-Wentz bei der Oxford
University Press mit Einleitung und Erläuterungen versehen unter dem
Titel „Tibet's great Yogi Milarepa" herausgegeben hat. In anschaulicher |
und erbaulicher Form schildert das Werk den Werdegang des tibetischen
Heiligen, der in seiner Jugend als schwarzer Magier schwere Schuld auf
sich lud, dann aber unter dem Einfluti des Meisters Marpa in sich ging, j
ein grolier Weiser und Dichter wurde und schließlich die Vollendung
erreichte. Als Dokument buddhistischer Weltanschauung und tibetischer i
Volkskunde gleicherweise bedeutend, ist das Buch für jeden, der sich '
mit den religiösen Problemen Asiens beschäftigt, von Interesse. Die
Übersetzung enthält mancherlei Versehen und Irrtümer, die der Berichtigung
bedürfen.

Königsberg-Pr. H. v. Glasenapp. i

Vivekänanda, Swämi: Räja-Yoga. Mit den Yoga-Aphorismen
des Patanjali, hrsg. von Emma von Pelet. Zürich: Rascher 1937.
(XX, 286 S., 1 Abb.) kl. 8°. RM 3.60.

Das auf Dünndruckpapier gedruckte in bequemem Taschenformat
gehaltene Bändchen bietet die deutsche Übersetzung eines Yoga-Werks I
des bekannten Vorkämpfers des Hinduismus. Es enthält außer einer j
ausführlichen populären Darstellung des „Königs-Yoga" den Sanskrit-
Text der Yoga-Sutras (in Transkription), eine Übersetzung derselben und
einen umfangreichen Kommentar. Im Anhang sind ein paar kurze Auszüge
aus anderen Werken, die sich mit den Yoga beschäftigen, übersetzt
. Das Werk soll der Erbauung dienen, und ist interessant als Inter- j
pretation eines modernen Vedänta-Missionars; für wissenschaftliche |
Zwecke wird man besser die Übertragungen P. Deussen's (Allg. Geschichte
der Philosophie I, 3 p. 506-543) oder J. W. Hauer's (Der
Yoga als Heilweg, p. 101 — 127) heranziehn.

Königsberg-Pr. H. v. Glasenapp.

Vierkandt, Alfred: Familie; Volk und Staat in ihren gesellschaftlichen
Lebensvorgängen. Stuttgart: Ferdinand Enke 1936.
(150 S.) 8". RM 3.40; geb. 4.80.

Mit der starken Wandlung des deutschen Lebens in j
den letzten Jahren hat sich auch eine starke Wandlung
in den soziologischen Anschauungen vollzogen. Diese
Wendung vom individualistisch-demokratisch-statischen
Denken zum ganzheitlich-autoritär-dynamischen Denken
ist auch in dem vorliegenden Buch lebhaft zu spüren.
Der Verfasser greift aus dem gesamten Oebiet der Soziologie
das Problem der „Gruppe" heraus. Ihr Wesen bestimmt
er als dynamisches Eigenleben, das gegenüber |
allem Kommen und Gehen der einzelnen Glieder beharrt.
Möge eintreten in die Gruppe oder ausscheiden aus ihr,
wer wolle, es beharren ihre Form, ihre Ordnung, ihr
Aufbau, es beharren ihr Lebensdrang, ihr Ziel, ihre Aufgabe
und Leistung. Der einzelne gliedert sich der Gruppe
, ohne restlos in ihr aufzugehen, dienend ein und
empfindet das Sein und das Anliegen der Gruppe als
sein eigenes. Von diesem Grundverständnis der Gruppe
aus, die Analyse bedingend und selbst wieder durch die
Analyse bedingt, werden die großen Lebensgemeinschaf- j
ten Sippe, Familie, Volk analysiert. Das so gewonnene
Verständnis wird gegen das frühere rein genossenschaft-
liehe und rein herrschaftliche abgegrenzt. Immer wieder j
zeigt sich, daß sich erst organischem, ganzheitlichem Verständnis
das „Wesen" dieser Lebensgemeinschaften wirklich
erschließt, nämlich ihr Eigenleben, in dem sich ahnlich
wie in einer menschlichen Person ein einheitliches j
und zielstrebiges Verhalten offenbart.

Der Verfasser begnügt sich nun aber nicht bloß mit
der Aufzeigung der Tatsache dieses Eigenlebens, sondern
er geht in einem zweiten Teil den Äußerungen desselben
, kurz der Dynamik des Gruppenlebens nach. Daß
er dabei die verschiedenen Gruppen Familie, Stamm,
Volk, die er im ersten Teil unterschieden hatte, gleich
zusammenfaßt, will mir nicht sehr glücklich scheinen.
Es wäre reizvoller gewesen, in einem zweiten Abschnitt
die Dynamik der Familie, des Stammes, des Volkes gesondert
zu betrachten und dann vielleicht in einem weitern
Teil die Dynamik der Gruppen gleichsam auf einen
Generalnenner zu bringen. Aber auch so springen wertvolle
Grundbegriffe wie Liebe, Achtung, Lebensdrang,
Solidarität, Führung. Fühlung, Lebensordnung usw. heraus
. Es ist wichtig, daß hier nicht bloße Begriffe herausgestellt
werden, sondern daß das mit ihnen Gemeinte
im lebendigen Fluß des Gruppenlebens sichtbar wird
und nach seiner Bedeutung für die Ökonomie des Grup-
penlebens gewürdigt wird. Immer wieder wird deutlich
, daß wir auch in der Soziologie das statisch-individualistische
Zeitalter hinter uns haben. Der Verfasser
wird daher eine Neuauflage seiner Gesellschaftslehre
wesentlich neu formen müssen.

Lanz (Westpriegnitz)._ Kurt Kessel er.

Kleinknecht, Hermann: Die Gebetsparodie in der Antike.
Stuttgart: W. Kohlhammer 1937. (VIII, 220 S.) 8° = Tübinger Beiträge
zur Altertumswissenschaft. Herausgeg. von Otto Weinreich. 28.
Heft. RM 12—.

Ein echtes Erzeugnis der Tübinger Schule, mit dem
die Tübinger Beiträge sich nun bald auf dreißig belaufen
, und keine unwesentliche Bereicherung unseres Wissens
vom Gebetsleben der beiden großen Völker der
Antike. Der Ertrag der Arbeit kommt sowohl der Literaturgeschichte
wie auch der Religionsgeschichte zugute.

Aus allem, was einmal die Antike parodiert hat, ist
die Gebetsparodie nur ein Ausschnitt. Da entsteht nun
die Frage nach der Begrenzung des Begriffs Gebet.
Der Verfasser spannt ihn so weit wie möglich, indem er
die ganze Fülle dessen, was zwischen Hymnus und einfacher
Beteuerung liegt, berücksichtigt. Eine zweite
Schwierigkeit besteht in der Entscheidung darüber, wann
echte Parodie, wann etwa nur Ethopoiie vorliegt, da im
Volksglauben, wie K. zeigt, „fromme religio und heitere
laseivia schon von Hause aus beieinander wohnen". Bei
dieser an den Kern der Aufgabe rührenden und darum
nicht leichten Frage ist der Verfasser mit großer Gewissenhaftigkeit
vorgegangen, insofern er Zweifelhaftes
unterdrückt oder selbst ein Fragezeichen neben seine
Deutung gesetzt hat. Weiter fragt K. nach dem Zweck
der Parodie. Er berührt das Nebeneinander von komischer
Parodie, die sich selbst zum Zwecke setzt, und
kritischer, die einem höheren Zwecke dient, und weist
auf die Verflechtung von literarischer und religiöser
Gebetsparodie hin.

Nach einer einleitenden Erörterung dieser Dinge behandelt
er in einem ersten Kapitel die Parodie nach allgemeinen
Gesichtspunkten, indem er, von der Etymologie
ausgehend, der Bedeutung des Begriffs in der Antike
nachspürt. Das Ergebnis ist, daß eine einheitliche Deutung
dem Altertum gefehlt hat: es hat unter Parodie teils
einfache Nachahmung verstanden, teils ihr Züge unserer
heutigen Auffassung beigelegt, die unter ihr die unge-
maße Verquickung von trivialem Inhalt mit erhabener
Form und umgekehrt versteht.

Die dann folgenden Untersuchungen (Kap. 2) verteilen
sich auf Griechen (A) und Römer (B). Unter
jenen nimmt die alte Komödie (I) den größten Ramm ein,
Anstophanes beherrscht weithin das Feld. Die Zahl
der zur Karikatur reizenden Gelegenheiten ist überaus
groß. Zunächst einmal bot das rituelle Gebet häufige
Möglichkeiten, ob es sich um Opferspruch, Schwur,
Bannformel, Verfluchung, Segnung handelte oder um
das Gebet bei der Mystenweihe, vor der Volksversammlung
, bei der Gründung einer Stadt. Das private Gebet
scheidet K. in das zeremonielle und das aus der Stunde
des Alltags erwachsende Gebet. Hier eröffnen sich Blicke
durch die komische Verkleidung hindurch in das persön-