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Ausgabe:

1938

Spalte:

292-293

Titel/Untertitel:

Auslanddeutschtum und evangelische Kirche; Jahrbuch 1937 1938

Rezensent:

Usener, Wilhelm

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Theologische Literattirzeitung 1938 Nr. 15/16.

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1936, Nr. 19) und damit die Zustimmung von J.Sch-ottky
(Rasse und Krankheit, München 1937) gefunden- Denn
auch unter dem umfassenderen Gesichtspunkt des Lebenswillens
, wie er in Geschlechtlichkeit, Fruchtbarkeit
und Zahl der Unehelichen zum Ausdruck kommt, zeigt
der von westischen und dinarischen Menschen bewohnte
Raum eine absolute Vorrangstellung gegenüber dem nordischen
(Günther, Rassenkunde des deutschen Volkes
205, Vorwahl, Zur Abnahme der unehelichen Geburten,
Zschr. f. d. ges. Gerichtl. Medizin Bd. 16, Heft 4).

Weichbrodt will die ansteigende Zahl weiblicher
Selbstmorde seit Anfang des Jahrhunderts darauf zurückführen
, daß sich seitdem die Frauen stärker am
Wirtschaftsleben beteiligen. Entfiel nun früher auf das
weibliche Geschlecht der dritte Teil der jährlichen
männlichen Selbstmorde, so verschob sich diese Zahl
1919 auf das Verhältnis von 1,5:1, sodaß für Berlin
bei Frauen im Alter von 15 bis 20 Jahren der Selbstmord
die zweithäufig's te Todesursache wurde. Die Erklärung
für diese Erscheinung sieht aber J. Schwalbe
in sexuellen Momenten, die mit der Emanzipation des
weiblichen Geschlechts in Zusammenhang stehen. Das
bestätigt Wessinger mit der Feststellung, daß die Mehrzahl
der weiblichen Selbstmorde nach dem Kriege den
Berufslosen (Töchtern, Ehefrauen) zugehört, während
z. B. Hausangestellte an zweiter Stelle folgen. Indem
Industrie und Gewerbe (Arbeiterinnen) erst an vierter
Stelle kommen, tritt der wirtschaftliche Faktor stark
in den Hintergrund (Veröffentl. a. d. Gebiete der Med.
Verwaltung Bd. 40 2). Freilich nehmen die Selbstmorde
seit 1933 in fast allen Ländern ab, was Weichbrodt mit
der Besserung der Wirtschaftslage im Herbst 1932 in
Zusammenhang bringt (Institut für Konjunkturforschung
). Aber schon im ersten Vierteljahr 1934 ist wieder
eine Steigerung der Selbstmorde zu verzeichnen, und
zwar gegenüber dem Vorjahr in den Großstädten um
7,1 o/o, in Städten bis zu 50 000 Einwohnern um 14,5°/o,
wofür der Grund nicht in wirtschaftlichen und sozialen
Verhältnissen, sondern in religiöser Entwurzelung
zu suchen ist (Evgl- Beobachter vom 8./
12. 1934). Zwar gibt auch Weichbrodt den hemmenden
Einfluß der Religion auf die Selbstmordneigung
zu, zitiert aber Gaupps Ansicht, daß es falsch sei,
in der Zugehörigkeit zu einer Konfession einen schützenden
Faktor zu suchen. Die Tatsache, daß Protestanten
eine höhere Selbstmordneigung als Katholiken aufweisen,
will er durch den größeren Kinderreichtum der Katholiken
erklären, der bei der Statistik keine genügende
Berücksichtigung erfahren habe. Aber auch die Tatsache
des größeren Kinderreichtums verlangt wieder eine
Erklärung, die M- Scheler religionssoziologisch gibt
(Schriften zur Soziologie und Weltanschauungslehre).
Beweist doch auch die Höhe der Ehescheidungsziffern
bei übereinstimmend konfessionslosen Ehen (199,1 auf
1000) im Verhältnis zu übereinstimmend evangelischen
(36,6) und übereinstimmend katholischen Ehen (34,9)
im Jahre 1925 den überwältigenden Einfluß christlicher
Bindung (Czellitzer, Die Med. Welt. 1928/1455).

In der zu geringen Kenntnis und Einschätzung der
christlichen Lebenswerte liegt überhaupt die schwächste
Position des Weichbrodtschen Werkes, das sonst keine
Blickrichtung von einiger Bedeutung übersehen hat. Es
bleibt hier wesentlich in einer Blütenlese historischer Zitate
stecken, verrät aber seine Lebensferne in Sätzen
wie dem folgenden: „Paulus und Augustinus halten die
Todesfurcht für menschlich, in Wirklichkeit ist sie den
meisten Menschen wie überhaupt die Furcht erst anerzogen
" (52). Wieviel existentieller ist da nicht die
Sicht z. B. des Heeresfachpsychologen Mierke, bei dem
man liest: „Die Angst ist in alles Lebendige und Krea-
türliche gelegt. Sie ist existentielle Angst und beruht
in dem Bewußtwerden der Grenzen zwischen der eigenen
Unzulänglichkeit und dem Gewaltigen und Größeren,
das hinter diesen Grenzen steht. In der Angst lernt der
Mensch, daß er seine Existenz nicht von sich, sondern

von Gott hat. Sie warnt vor dem Fall in das Nichts,
in die Vernichtung." (Wehrpsychologie, Leipzig 1936,
S. 20). Daß hier die Wurzeln christlicher Lebenskraft liegen
, hat Dostojewskijs tiefe Psychologie gesehen: „Der
Folgeschluß aus der Beichte dieses Selbstmörders, der
durch „logischen Selbstmord" umkommt, sollte sein: daß
das Leben des Menschen ohne Glauben an eine Seele
! und ihre Unsterblichkeit unnatürlich, undenkbar und unerträglich
ist. Die Überzeugung von der Zwecklosigkeit
seines Lebens und die Empörung über die Stummheit
des ihn umgebenden Weltalls führen ihn allmählich zu
der Überzeugung von der vollständigen Sinnlosigkeit
des menschlichen Daseins. Für mich persönlich ist eine
der größten Befürchtungen für unsere Zukunft die Tat-
j sache, daß in einem großen Teil der Intelligenz sich voll-
[ ständiger Unglaube an die eigne Seele und ihre Unsterblichkeit
zu verbreiten scheint. Ohne eine höhere Idee
aber kann weder ein Mensch noch eine Nation in der
Welt bestehen. Ohne Überzeugung von seiner Unsterblichkeit
lösen sich die den Menschen mit der Erde verbindenden
Fäden, und der Verlust eines höheren Lebenssinnes
zieht zweifellos den Selbstmord nach sich."
(,.Beichte eines Selbstmörders" 1876). Das Fehlen dieser
Stelle unter den Äußerungen über den Selbstmord (Jo-
sephus bis Schopenhauer) ist so bedauerlich wie unter
I den Biographien bekannter Selbstmörder (List, Main-
I länder, Merck, Kleist) das Fehlen Adalbert Stifters,
dessen Selbstmord in so auffälligem Widersj i nch zu
der gänzlichen Überwindung alles Düsteren in seinem
Werke steht, sowie das Übergehen Alfred Seidels, der
nach Abschluß seines Buches „Bewußtsein als Verhängnis
" (Bonn 1927) seinem Leben ein Ende machte und
seine kurze Schaffenslaufbahn mit dem Notschrei beschloß
: „Und wenn einer sagte: Christus wäre Gegner
[ der Wahrheit, so würde ich doch mit Christus ziehen
— und gegen die Wahrheit."

Quakcnbriick. H. Vorwahl.

Auslanddeutschtum und evangelische Kirche. Jahrbuch 1937.

Hrsg. v. D. Dr. Ernst Schubert, Pfarrer u. Konsistorialrat. München:
Chr. Kaiser 1937. (271 S., 3 Ktn.) ßr. 8°.

Die Reihe der Abhandlungen eröffnet der Herausgeber
mit einem Abriß einer Volksdeutschen
evangelischen Kirchengeschichte, die er bescheidener
Weise einen ersten Versuch nennt; er begründet
ihn damit, daß jede Zeit die Geschichte neu zu
schreiben sich mühen muß, so besonders die Gegenwart.
Deutsche Geschichte darf sich hinfort nicht mehr mit der
Staatengeschichte begnügen; deutsche Geschichte hat es
I auch mit den Deutschen jenseits der Landesgrenze zu
j tun, es geht um gesamtdeutsche Geschichte. Gewiß, der
I gebotene Abriß mag kurz sein, aber man merkt dem
! Verf. eingehendes Studium und gründliche Belesenheit
I an, wenn er zunächst Reformation und Gegenreformar
j tion, soweit Deutsche davon betroffen wurden, und die
weitere Entwicklung bis zur Gegenwart, wenn auch nur
in Streiflichtern, schildert. Wir hören dabei von mancher
evangelischen Zerrissenheit, lutherisch und reformiert,
j Pietismus und Orthodoxie, von der Schuld der Heimat,
die ihre Brüder im Ausland vergißt, dein gegenüber
I die Tätigkeit der evangel. Kirche mit ihrer Fürsorge
j einiges gut machen kann, aber auch von einem hohen
Lied deutscher und evangelischer Treue. Das Ganze
I sicher ein sehr wohlgelungener und wertvoller „Ver-
j such". Über Völkerverständigung und B e -
I griffsweit schreibt Karl C. von Loesch, der Di-
i rektor des Instituts für Grenz- und Auslanddeutschtum;

er weist auf die großen Schwierigkeiten hin, anderen Völ-
I kern den Begriff des Deutschtums klar zu machen, auf
j das Verhältnis von Volk und Sprache, das durchaus nicht
eindeutig ist, auf den Einfluß staatlicher Bindungen für
I die Entstehung von Volkstum und Sprache, der Bedeu-
1 tung der Religion und Kirche für das Volkstum. Volk
hat' einen andern Klang für monophyletische und poly-
! phyletische Völker. Die Verhältnisse sind überall völlig