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Ausgabe:

1938

Spalte:

287-289

Autor/Hrsg.:

Olfers, Margarete von

Titel/Untertitel:

Elisabeth v. Staegmann 1938

Rezensent:

Wiesner, Werner

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287

Theologische Literaturzeitung: 1938 Nr. 15/16.

288

v. Olfers, Margarete: Elisabeth v. Staegemann. Lebensbild einer
deutschen Frau 1761 -1835. Leipzig: Koehler & Amelangr 1937.
(246 S., 24 Abb.) gr. 8°. RM 4.80.

Der Referent hat sich Jahre lang um das Problem
der Elisabeth Staegemann als einer evangelischen Frau
bemüht. Nach dieser sympathischen und von verwandtschaftlicher
Liebe und Verehrung getragenen Biographie,
die sich auf reiche familiengeschichtliche Quellen stützt,
die dem fremden Biographen nicht zur Verfügung stehen
würden, sieht er von der Durchführung seines Planes
ab. Elisabeth v. Staegemann — geb. Fischer, geschiedene
Graun _j seit 1796 Gattin des späteren Chefs der
Staatskanzlei unter Hardenberg, Friedrich August v. Staegemann
, stand als Mensch und als Künstlerin unentwegt
zwischen Rationalismus und Romantik. Wie ihr
Vater dafür sorgte, daß die jungen Frauenzimmer neben
der alten Familienbibel und den frommen Büchern aus
dem Verlage des Großvaters Härtung auch etwas anderes
zu sehen und zu lesen bekamen, so stand Elisabeth
dem religiösen Leben ihrer Kinder aus zweiter
Ehe fremd, ja ratlos gegenüber, wenn sie diese mit
dem Vater eines Sinnes über die alte Familienbibel gebeugt
fand und wenn sich diese dem neuen religiösen
Leben zuzuwenden schienen, das auch an die Pforten
ihres Hauses pochte. Zwar stand Elisabeth etwa Rahel
Varnhagen mit kritischer Kühle gegenüber, aber wenn
Schleiermachers Name in ihren Briefen auftaucht, dann
ist auch das nur der Träger eines Namens, der in den
guten Kreisen« des Staates und der Gesellschaft jener
Tage etwas galt, und der Träger eines Amtes, dessen
sich zu bedienen in eben diesen guten Kreisen zur Lebensordnung
gehörte. Mit Musik, Malerei und Philosophie
, mit gesellschaftlicher Kultur und mit sorgsamster
Pflege des persönlichen Lebens kam man auch damals
nicht zur Religion. Was in und um Elisabeth an
geistigem, ja an religiösem Erwachen bemerkbar sein
mag, das steht noch weit ab von der echten christlichen
Frömmigkeit, die in Preußens dunkelsten Tagen
schon aufgebrochen war, als deren vorzüglichster Vertreter
gewiß neben Stein auch Staegemann zu nennen ist.
Berlin. Otto Lerche.

Schindler, Hans: Barth und Overbeck. Ein Beitrag zur Genesis
der dialektischen Theologie im Lichte der gegenwärtigen theologischen
Situation. Leipzig: Leopold Klotz Verlag 1936. (157 S.) 8°. RM 4.50.
Das Thema: Barth und Overbeck hat nicht bloß historisch
-biographisches Interesse. Es geht dabei nicht
um die letztlich belanglose Frage, wieweit ein Gelehrter
die Gedanken des andern richtig verstanden und sich
angeeignet hat. Es könnte vielmehr sein, daß an der Beziehung
Karl Barths zu dem Baseler „Theologen" Overbeck
geradezu der Schlüssel zum Verständnis der theologischen
Wende in den letzten zwei Jahrzehnten liegt.
Als Barth auftrat, befand sich die Theologie und das
evangelische Christentum, vornehmlich im deutschen
Sprachgebiet, in einer Krisis, die zum Ende ihrer wissenschaftlichen
Vertretung überhaupt führen konnte. E.
Troeltsch, der das Christentum dem uneingeschränkten
historischen Relativismus auslieferte und Albert Schweitzer
, der den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen dem
eschatologischen Evangelium des Urchristentums und der
modernen Welt herausarbeitete, sind die Exponenten
dieser Krisis, die von den positiven Theologen so wenig
wie von den liberalen überwunden werden konnte. Aber
während Troeltsch und Schweitzer das Christentum
schließlich doch noch in irgendeiner fragwürdigen Form
zu „retten" suchen, hat Overbeck, als Theologe aus
einer zweihundertjährigen geistigen Entwicklung, die die
Theologiegeschichte in ihr Schlepptau genommen hatte,
erbarmungslos die Folgerungen ziehend, der Theologie
und dem Christentum, ja jeder Religion überhaupt den
Abschied gegeben. Dabei hat Overbeck nicht etwa wie
sein Freund Nietzsche das Christentum mit prophetischer
Geste bekämpft, sondern einfach als Wissenschaftler
die bisherige theologische Vertretung des Christentums
ad absurdum geführt. Die Theologie konnte sich
dieser Konsequenz nur entziehen, wenn sie sich auf völlig
neue Grundlagen stellte. Diese „unerledigte Frage
an die Theologie" hat Barth ernstgenommen. Er hat die-
J sen Neubau der Theologie angefaßt und dabei das
! Recht der kritischen Thesen Overbecks mit in seine
Theologie aufgenommen. Hier entstehen nun für den
Verf. dieser Schrift die Fragen: 1. War die positive Auswertung
Overbecks für die Theologie möglich, wie sie
Barth vollzogen hat? Hat Barth hier Overbeck richtig
verstanden? 2. Hat Barth die durch Overbeck ausge-
j drückte Krisis von Theologie und Christentum über-
i wunden und wie ist sie zu überwinden? Zur Beantwoiv
I tung dieser Fragen gibt der Verf. zunächst eine sehr umsichtige
und gründliche Darstellung der Gedankenwelt
| und der Grundanliegen Overbecks. O. ist danach histori-
i stischer Relativist, ja ein nihilistischer Skeptiker, der
aber zugleich die rationale Diesseitskultur der 2. Hälfte
des 19. Jahrhunderts in ihren Prinzipien vorbehaltlos
j bejaht. Von da aus ergeben sich für O. bezüglich der
Theologie und des Christentums: 1. Die Verneinung jedes
religiösen Wahrheitsanspruchs und damit jeder Reli-
j gion, auch des Christentums vom historischen Relativismus
aus. Die Historisierung des Christentums, die die
[ Theologie nach der Preisgabe der Orthodoxie selbst vollzogen
hatte, wurde so gegen sie selbst gekehrt. 2. vom
| historischen Verständnis des Christentums aus die abso-
I Iute Entgegensetzung des Christentums als einer aske-
tisch-eschatologischen Religion und der diessettsbejahen-
j den Kultur, 3. von dieser Voraussetzung aus die Bestreitung
der „Christlichkeit" der modernen Theologie
und des modernen Christentums, die, jenen absoluten Gegensatz
vergessend, mit der neuzeitlichen Kultur verlo-
j gene Bündnisse schließen. Das Christentum kann nur
als eschatologische Naherwartung bestehen, nicht aber
nach dem Ausbleiben des Endes als geschichtliche Erscheinung
weiterexistieren. „Echtes Christentum weiß das
auch und erlebt Geschichte nur wider seinen eigenen
Willen" (S. 23). Die Selbstrechtfertigung des Christentums
im Dienste der Geschichte und Kultur ist der Betrug
des modernen „Christentums". O. will durch historische
Forschung diesen Betrug aufdecken und damit
das Ende des Christentums automatisch herbeiführen
und die gegenwärtige Kultur von ihm befreien. Dem
Verf. liegt an dem wohl erbrachten Nachweis, daß Overbecks
Kritik rein negativ ist und nicht eine Verbesserung
von Theologie und Christentum zum Ziel hat. Damit ist
erwiesen, daß Barths Berufung auf Overbeck als Vorläu-
j fer der dialektischen Theologie ein Mißverständnis, eine
Vergewaltigung darstellt, die wohl dadurch bedingt ist,
daß Barth nur den von Bernoulli herausgegebenen Nach-
laß Overbecks und nicht seine eigentlichen Veröffent-
j lichungen heranzieht. Barth und Overbeck sind in ihrer
Grundhaltung absolute Gegensätze (S. 77 u. 79). Trotzdem
hat Barth die nihilistischen Thesen Overbecks noch
radikalisiert, um ihn dadurch zu überwinden. So hat er
1. die Religion einschließlich des Christentums als historische
Erscheinung restlos relativiert gegenüber der allei-
I nigen Absolutheit der auf der historischen Fläche nicht
j greifbaren Offenbarung Gottes, 2. die christliche Bot-
I schaff ganz und gar als Eschatologie verstanden im Ge-
| gensatz zur Kultur als sündigem Menschenwerk dieses
Aeons, 3. das Bündnis des modernen Christentums mit
| der menschlichen Kultur als Verrat an dem allein an
I Gottes Herrschaftsanspruch orientierten Evangelium ent-
| larvt- Der Verf. glaubt aber nun zeigen zu können, wie
sich bei Barth durch die Uebernahme der nihilistischen
I Thesen Overbecks die Darstellung der biblischen Bot-
j schaff verschoben hat zugunsten eines Platonismus, der
[ das Sichtbare gegenüber abstrakten Ideen entwertet, zu
denen die realistische Eschatologie der Bibel veriiüch-
i tigt wird. In der Tat ist zu fragen, ob die Art, wie
' in Barths Römerbrief statt der Religionsgeschichle nun
die Nihilisten und Religionsfeinde als Zeugen biblischer
| Wahrheit angerufen werden, nicht auch eine die bibli-