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Ausgabe:

1938 Nr. 1

Spalte:

286

Autor/Hrsg.:

Schröder, Kurt

Titel/Untertitel:

Das Freiheitsproblem in der zweiten Hälfte der deutschen Aufklärung 1938

Rezensent:

Kesseler, Kurt

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285

Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 15/16.

286

An Ausstellungen sei folgendes angemerkt: Die Anlage
des Buches führt zu sehr häufigen, z. T. nicht nur
doppelten, sondern dreifachen Wiederholungen. Störend
empfindet der Leser die zahlreichen, oft entbehrlichen
Fremdwörter, ferner eine starke Umständlichkeit des
Ausdrucks und der Gedankenführung. Der Ertrag der
Untersuchung liegt überhaupt sehr viel weniger auf pädagogischem
als allgemein geistesgeschichtlichem Gebiet.

Erfreulich an dem Buch ist die Art, wie der Verfasser
den Stoff beherrscht, durchdringt und ordnet. Wesentlich
für den Theologen ist die Herausarbeitung, wie
stark die religiös neue Sicht die beiden romantischen Perioden
unterscheidet. Über Schleiermacher werden gute
Einzelbeobachtungen geboten, z. B. auch die, daß er einer
der wenigen Frühromantiker gewesen ist, der ein „erfüllter
Mann" geworden ist. Es wird ferner angedeutet,
daß „noch andere Prägekräfte" in ihm vorhanden waren;
sie werden jedoch nicht namhaft gemacht als die bewußt
starke christlich-kirchliche Entwicklung, die seit
seiner Schrift über das theologische Studium bei ihm
vorliegt.

A. Franz' Schrift, die Neuland bearbeitet, ist verdienstlich
, da heute geschichtliche Untersuchungen selten
sind, während doch unsere Zeit als ganze keineswegs ge-
schichtslos ist und sein will. Der Leser vermißt allerdings
das Einmünden der geschichtlichen Problematik in
die gegenwärtige Lage. Zum Schluß wird vom „heutigen
Konservativismus", den „wechselnden nationalen
Strömungen" und dem „jüngsten politischen Geschehen"
gesprochen. Aber der Nationalsozialismus und seine heute
alles bestimmende Gedankenwelt auf dem erzieherischen
Gebiet werden nicht einmal mit Namen genannt,
eigenartig für ein Buch, das im Jahre 1937 in Deutschland
gedruckt wird, besonders da in der späteren Romantik
solch starkes Verständnis für Volk und Staat herausgearbeitet
wird.

Dortmund-Kirchhörde._Werdermann.

Klein, Ernst Ferdinand: Zeitbilder aus der Kirchengeschichte
für die christliche Gemeinde, 4. Bd.: Die letzten 100 Jahre.
2. neugestaltete Aufl. Berlin : Acker-Verlaß 1Q3Ö. (203 S.) er. 8°. RM4. 50.
Dieser letzte Abschnitt einer Kirchengeschichte für
die christliche Gemeinde, die insgesamt immerhin einen
Band von 811 Seiten füllt, behandelt die Zeit von Friedrich
Wilhelm III. und Schleiermacher bis auf unsere
Tage. Wir verkennen nicht, daß eine Kirchengeschichte
für die Gemeinde von anderen Voraussetzungen ausgeht
und anderen Zwecken dient als eine wissenschaftliche
■oder schulgemäße Darstellung. Vor allem wird man
bei einer Darstellung für die christliche Gemeinde das
Wesentliche des Entwicklungsganges herausheben dürfen,
man wird auf die Auseinandersetzung mit anderen Meinungen
verzichten und das Erbauliche ebenso wie das
Unterhaltende in den Vordergrund stellen müssen: Gottes
Walten in der Geschichte, namentlich in der Kirchengeschichte
ist das große Thema. Aber alles dies darf
nicht auf Kosten der geschichtlichen Wahrheit und einer
gewissen allgemein verbindlichen Richtigkeit zugestanden
werden. Ob etwa die Kapitel 12 „Amerikanisches"
und 15 „Rom" diesen Anforderungen genügen, das
müssen diejenigen, die das Buch für die christliche Gemeinde
irgendwie verwenden oder empfehlen wollen,
zunächst an der eigenen Anschauung eindringlich prüfen.
— Im Allgemeinen aber sind hier die Striche, mit denen
Klein seine kirchengeschichtlichen Bilder zeichnet, zu grob
und darum geschichtlich vielfach unrichtig oder doch
schief, so wenn er die Siebenbürger Sachsen aus dem
Sachsenlande kommen läßt, oder wenn er von dem dreihundertjährigen
Todestage Gustav Adolfs am 6. 11.
1832 spricht, oder wenn er etwa schreibt: ,neun Monate
nach der Revolution trat die Nationalversammlung zusammen
' — oder wenn er behauptet: die Generalsuperintendenten
wurden die Vorsitzenden der Konsistorien,
man verlieh ihnen den Titel Bischof — oder wenn er
die Altlutheraner organisch zur Deutschen Evangelischen
Kirche rechnet. — Das, was wir brauchen, wäre eine

Umgestaltung von Sohms Kirchengeschichte für die heutige
Gemeinde — und das sind Kleins Zeitbilder nicht.

' Berlin._ Otto Lerche.

Schröder, Kurt: Das Freiheitsproblem in der zweiten Hälfte
der deutschen Aufklärung. Gütersloh: B. Bertelsmann 1936.
, (150 S.) S° = Beiträge z. Förderung christl. Theologie. 38. Band,
4. H. Kart. RM 4—.

Die Arbeit strebt von historischen Analysen ausgehend
zu einem systematischen Verständnis der Freiheit,
j Eine unter der Fragestellung nach dem Freiheitsverständnis
wenig durchleuchtete Epoche der deutschen
'. Geistesgeschichte wird hier aufgehellt. Bei den verschie-
| densten, heute oft nur dem Fachmann bekannten späteren
Aufklärern wird ein mühsames und vergebliches Ringen
; mit dem Freiheitsproblem festgestellt. Hinter den ver-
| hältnismäßig kurzen Darlegungen steckt viel Arbeit, die
| an oft recht abgelegene Denker gewendet worden ist,
und viel Mühe, mit der die wesentlichen Gedanken aus
den großen Zusammenhängen herausgeschält und dargestellt
worden sind.

Während Leibniz und Kant wußten, daß Freiheit
und Notwendigkeit zusammengehören, aber dann doch
ihr richtiges Verständnis durch Auseinanderreißen der
intelligiblen und der empirischen Sphäre verfehlten, er-
' scheinen in der vorliegenden Schrift einseitige Determini-
j sten und einseitige Indeterministen, daneben solche, die
eine Freiheit meinten, die keine Freiheit ist, z. B. eine
„Freiheit des Aufschubs" und eine „Freiheit als eine ge-
' wisse Macht über Motive". Die empirischen Psychologen
i weisen bereits in die Kantische Richtung, sie wissen
darum, daß die Freiheit kein empirisch-psychologisches
j Problem ist. Alle Einzelheiten und Belege muß man in
, der Schrift selber nachlesen.

Der eigenen „dialektischen" Lösung des Verfassers
kann man nur zustimmen: In der Welt des Seienden, zu
der auch der Mensch gehört, ist alles bedingt, aber in
; dieser handelt der existente, von Gott angeredete Mensch
in Verantwortung und freier Entscheidung. Ein Absehen
von dieser persönlichen Existenz des Menschen, wie sie
j bei den Deterministen und Indeterministen vorliegt, ist
i eine rationalistische Grenzüberschreitung, die an der
i Wirklichkeit des Menschen vorbeigeht. „Wir haben un-
j ser Da-Sein nur im Ich-Sein dem göttlichen Du gegen-
: über, das heißt als die von Gott zum Handeln Ge-
: rufenen".

j Der Verfasser bezieht sich mit Recht auf Luthers
Stellung zur Freiheitsfrage und sieht die letzte übergreifende
Uberklammerung der Dialektik von Freiheit und
Notwendigkeit im Schöpfungswunder, daß wir Geschöpfe,

j aber als Du angesprochene Geschöpfe sind.

Lanz (Westprignitz)._Kurt Kesseler.

Will er, Heinrich: Die Geschichte der Evangelischen Gemeinschaft
in Lippe. Stuttgart: Christi Verlagshaus. (88S.) 8°. Geb. RM 1.85.
| _ Die vorliegende kleine Schrift ist eine sehr bemer-
| kenswerte Ergänzung zu dem auch hier gewürdigten
Buche von W. Lohmeyer: Die Erweckungsbewegung
| in Lippe im 19. Jahrhundert, 2. Aufl. 1932 (Theol. Lit.
i Ztg. 1933, Nr. 11). Die Evangelische Gemeinschaft, die
um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Lippe ent-
i stand, berührt sich stark mit dem von Norden her um
, dieselbe Zeit eindringenden Methodismus. W. schildert
i das im Einzelnen und unter Mitteilungen aus der Geschichte
der entstehenden Gemeinden und ihrer Prediger.
| Besondere Aufmerksamkeit ist den Beziehungen zur Landeskirche
und zum Staat gewidmet. Sehr wohltuend ist
j der Abschnitt, in dem von der gegenseitigen 'Befruchtung
zwischen Gemeinschaft und Landeskirche die Rede
j ist. In den letzten Jahrzehnten ist das Verhältnis unter
einander auch durchweg besser geworden.

Alles in allem handelt es sich auch hier um einen
; zwar kleinen aber doch aufschlußreichen Beitrag zur
! Geschichte der deutschen evangelischen Freikirche, der
j bewußt von der Kirche aus geschrieben ist.
I Berlin.__Otto Lerche.