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Ausgabe:

1938 Nr. 1

Spalte:

283-285

Autor/Hrsg.:

Franz, Alfred

Titel/Untertitel:

Der pädagogische Gehalt der deutschen Romantik 1938

Rezensent:

Werdermann, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 15/16.

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Wegfall der Afterlehenschaft und blieb eine Waffe in
der Hand der Landstände, als es galt, dem katholischen
Herzog Religionsreversalien abzunötigen. Dankenswert
ist die Mitteilung von 17 meist ungedruckten Aktenstük-
ken, z. T. aus außerwürttembergischen Archiven im Vatikan
und in Luzern. Die staatsmännische Klugheit und
weit-beherrschende Macht des Vatikans springt ins Auge.
Kein Wunder, daß die leitenden Männer in Württemberg
auf ihrer Hut waren. Kauften doch katholische Mächte
Rittergüter auf, um die Rekatholisierung anzubahnen,
und erbat sich der Herzog das Kirchengut vom Papst
als Geschenk! Zuerst zeichnet T. die Lage der katholischen
Kirche in Altwürttemberg bis 1733 und ihr Aufkommen
am Hof. Dann schildert er die Konversion des
Herzogs, wobei ein Heiratsplan und der kaiserliche
Kriegsdienst, aber vor allem die innere Überzeugung
des früh vaterlos gewordenen Prinzen in Erwägung zu
ziehen sind. Auf die Erziehung des Prinzen geht der
Vf. nicht ein. Und doch wäre darüber in der Literar. Betlage
des Staatsanzeigers 1913, 282 einiges zu finden
gewesen. Wir hören dann von den Maßnahmen zur Sicherstellung
der „Landesreligion", von den Verhandlungen
mit der Kurie wegen Einrichtung des katholischen
Hofgottesdienstes. An der Frage der Militärseelsorge
und des Kirchenguts wird gezeigt, welche Hindernisse
der Herzog fand und wie er neue Wege zu gehen
suchte. An dem Reichsvizekanzler Schönborn, dem Würzburger
Bischof, fand er einen einsichtigen Berater. Der
Vf. sucht wahrscheinlich zu machen, daß es dem Herzog
mehr um die Fürstengewalt als um Glaubenskampf ging.
Das mag sein. Daß die evangelischen Landstände sich
des ganzen Ernstes bewußt waren, das vermag er von
seinem Standpunkt aus nicht zu sehen- Aber"seine Arbeit
macht auf neue Gesichtspunkte aufmerksam, so wenn
er auf die 13j. serbische Statthalterschaft des Herzogs
hinweist, bei der er sich seine Regierungsgrundsätze bildet
- Die Schloßkirche Herzog Christophs nahm er nicht
für den katholischen Kult in Anspruch, ließ aber seinem
katholischen Hofkaplan aus dem Kirchengut die Besol>-
dung reichen, was ja nach dem Vorgang unter Eberhard
Ludwig nicht verwunderlich war, der das Kirchengut für
viele außerkirchliche Zwecke in Anspruch nahm- Daß
er für den aufsteigenden Pietismus kein Verständnis
hatte, zeigt sein Eingriff in die kirchliche Verwaltung
durch die Verhaftung zweier Pfarrer. Seine Hofkirche
suchte er der bischöflichen Aufsicht zu entziehen durch
direkten Verkehr mit Rom, was den Bischöfen natürlich
ein Ärgernis war, aber durch die frühere Zugehörigkeit
des Herzogtums zu verschiedenen Bistümern erleichtert
war. An kleineren Druckfehlern sei nur S. 133 angemerkt
, wo es „anführte", statt „aufführte", heißen muß.
Im Ganzen ist das Buch zu begrüßen als eine Bereicherung
der Kenntnis der Zeit, in der eine Grävenitz
und ein Jud Süß das Herzogtum über die Maßen beschwerten
.

Stuttgart-Berg. Q. Bossert.

Franz, Alfred: Der pädagogische Gehalt der deutschen Romantik
. Zur erziehungswissenschaftlichen Würdigung des romantischen
Romans. Leipzig: Felix Meiner Verlag 1937. (IV, 132 S.) gr. 8°
= Erziehungsgeschichtliche Untersuchungen. Hrsg. v. A. Fischer, O.
Kroh, P. Leuchtenberg. Heft 6. RM 5.40.

Der Verfasser gliedert seinen Stoff in drei große Kapitel
: die Menschenauffassung der Frühromantik, die der
Spätromantik, die romantischen Bewegungen als pädagogische
Strömungen. Ausgegangen wird von der Feststellung
, daß kaum anzunehmen sei, daß eine so bedeutsame
Strömung wie die Romantik ohne Folge für die
Wissenschaft von der Erziehung gewesen sein soll. Der
Grundgedanke der Schrift ist zu zeigen, daß man die
Romantik erst ganz versteht, wenn man sie nicht als einheitliche
Bewegung ansieht, sondern wenn man erkennt,
wie die Periode der Spätromantik von der Frühromantik
nicht nur unterschieden ist, sondern weitgehend im Gegensatz
zu ihr steht. Die Frühzeit wird charakterisiert
als egozentrisch; sie lebt hauptsächlich im Jünglingsalter.

Deshalb begegnen uns so viel Sfimmungsschwankungen,
ferner die Trauer um den Verlust der Unbefangeiiheit
und Grazie. Die Gesamtentwicklung wird triadisch, als
„großhistorische Bewegung" gesehen. Der gegenwärtige
Weltzustand ist kein endgültiges Stadium. Man lebt in
dem Lebensgefühl des „Nicht mehr und — noch nicht".
Stark ist darum die Sehnsucht, symbolisiert in der blauen
Blume. Das Böse wird als notwendig verstanden, wie
der Irrtum notwendig ist für die Wahrheit. Die Frühromantiker
verfolgen die Aufhebung der Trennung zwi-
! sehen Mensch und Natur. Eine strenge Ethik kann es darum
nicht geben. Auf Arbeit wird sehr wenig Wert gelegt;
in den Romanen wird eigentlich nie gearbeitet! Die nationalen
Unterschiede werden nicht sehr ernst genominen.
„Obwohl der völkische Gedanke in der Gegenwart oft
als Erbschaft der Romantik angesehen wird, so ist doch
j hervorzuheben, daß sich die Frühromantik in ihrer Blüte-
j zeit nicht als Kronzeugen dafür anführen läßt" (S. 47).

Die Mitglieder der Romantik „sind alle keine wirklichen
i Männer geworden" (51). Eigenartigerweise, so wird
J nachgewiesen, endet der frühromantische Mensch in der
j „Spießbürgerei und der Sonntagsromantik", also in Resignation
. Die Frühromantik hat eine Kampfstellung
nicht so sehr gegen die Klassik, sondern gegen die Auf-
[ klärung. Die „verderbte Vernunft" wird für den gegenwärtigen
Zustand verantwortlich gemacht. Diese Frontstellung
gegen die Aufklärung ist sogar beiden Perioden
gemeinsam.

Die Spätromantik verhält sich zu der früheren Periode
wie das Mannesalter zum Jünglingsalter. Die Vergangenheit
erscheint dem Spätromantiker als der reinere,
edlere Zustand; daher entstehen historische Romane,
| deutsche Sprach- und Altertumsforschungen. Der Mythos
i vom „finsteren Mittelalter" wird bekämpft. Die Jugend
wird in der Entwicklung des Menschen nur die Vorstufe
zur Reife. Das Menschsein gipfelt nicht mehr im Dichter,
! sondern im tätigen Bürger. An die Stelle von Kunst und
I Philosophie tritt jetzt die Religion, ja ganz konkret das
Christentum und die Kirche, z. T. ein naiv gefaßter
Katholizismus. Es handelt sich um tätige Religion und
wirksames Christentum. Eine strenge Ethik gibt die
Richtschnur für das Handeln: Reinheit, Einfalt, Treue
werden hochgehalten. Auch die Arbeit wird höher einge-
1 schätzt, und wenn nicht viel „gearbeitet" wird, so wird
doch gehandelt, verantwortlich und sinnvoll gehandelt.
„Die drängende Leidenschaft ist mit der Ruhe und Sicherheit
ehelicher Treue vertauscht" (74). Der Mensch
erkennt sich als Geineinschaftswesen mit Bindungen und
j Pflichten. Z. T. klingen Rousseausche Töne an in der
i Rückkehr zu den natürlichen Zuständen (patriarchalische
i Verhältnisse). Aufrüttelnd und umgestaltend hat das nationale
Unglück der napoleonischen Invasion gewirkt.
| Bei der furchtbaren Bedrohung Deutschlands wurde der
| Wert des Volkes und Staates erlebt und erkannt. Sogar
die Reichsidee, die Sphäre des Gesamtdeutschen tritt in
' den Sichtkreis.

Der pädagogische Hauptteil (S. 85 ff.) beginnt mit
der Feststellung „Jeder Menschenauffassung ist bereits
irgend eine pädagogische Intention immanent". Die früh-
romantische Zeit lehnte es ab, direkt pädagogisch auf das
Kind einzuwirken ; es darf nicht in den organischen Werdeprozeß
eingegriffen werden. Es herrscht ein „unakti-
I ver Entwicklungsglaube". „Der frühromantische Mensch
i sucht die Bewußtheit auf das höchstmögliche Maß zu
steigern, während der spätromantische Mensch sich mög-
liehst von der Reflexion und Bewußtheit fernhält" (95).
1 „Aus der negativen und unfruchtbaren Entsagung ist
eine fruchtbare und tätige Resignation geworden" (110).
| „Der spätromantische Mensch ist fromm und ist zugleich
mehr auf das Diesseits gerichtet." Die Bedeuüing des
! Beispiels in der Erziehung tritt stark hervor. Es wird
I auch bewußt pädagogisch auf das Kind eingewirkt. Der
j frühromantische Roman hat keinen eigentlichen Schluß;
in der Spätromantik mündet der Held' ein in die Männlichkeit
.