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Ausgabe:

1938 Nr. 1

Spalte:

272

Autor/Hrsg.:

Bertholet, Alfred

Titel/Untertitel:

Hesekiel 1938

Rezensent:

Beer, Georg

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 15/16.

272

ners Aufhellung der Verhältnisse von Hofübergabe und
Heirat im bayrischen Alpenvorland zeigt, daß die Form
der Hofübergabe und des Ehekontrakts uralter Stammesgewohnheit
entspringt, die sich in der Sorge um
Haus und Hof, um Blut und Boden in stinkt mäßig
herausgebildet hat. Leider verschweigt der Verfasser
trotz dieser richtigen Erkenntnis die Nüchternheit und
drastische Natürlichkeit des Vorgangs, wie sie bei Ludwig
Thoma „Meine Bauern" S. 251 ff. noch für die Gegenwart
bestätigt wird. Zu der Vermutung Demleitners
über die Zunahme der unehelichen Geburten zu Ende des
18. Jahrhunderts wären die Zahlenangaben nachzutragen,
die von Herzog errechnet sind (Vergl. Vorwahl, Uneheliche
Geburten im 18. Jahrhundert, Arch. f. Geschichte
d. Medizin Bd. 22, Heft 2. 1929). A. Dörrer ordnet
„das Schemenlaufen in Tirol" in den Bereich der winterlichen
Lärmumzüge und Vermummungen ein, von denen
Bonifatius sagte, daß die Germanen sie nicht aufgeben
wollten. Ist auch dem Barock der Hauptanteil
an der Stilisierung des heutigen Schemenlaufens zuzuweisen
, so ist der ursprüngliche Sinn einer Beschwichtigung
der Totenseelen und des Dämonenaustreibens
nicht zu verkennen. A. Naegeles Abhandlung über
„Schwäbische Kunkelstuben" macht deutlich, wie ein
Jahrhunderte alter Brauch den technischen Faktoren der
Maschine und des elektrischen Lichts zum Opfer gefallen
ist. Seit 1502 Gegenstand behördlicher Kegelungen
und Überwachung ist die Spinnstube nicht nur Trägerin
von Volksbräuchen, volkstümlichen Überlieferungen, lied-
und sagenbildender Kräfte, sondern auch ein Mittel der
Bändigung des Trieblebens und der gesellschaftlichen
Erziehung. F. von Bassermann-Jordans Zusammenstellung
von Weinmedaillen des 16. Jahrh. mit Motiven
wie der Kundschafter, des trunkenen Noah, Loths mit
seinen Töchtern und des Weinstocks als Symbol der
Fruchtbarkeit (Psalm 128,3) bietet wertvolles Material
zur Richtigstellung vorschneller Thesen über den Einfluß
das Alten Testaments, wie sie jetzt von I I. Schöff-
ler (Abendland und Altes Testament) vertreten werden-
Wenn A. Naegele in seinem Beitrag über „Schwäbische
Kultstätten des Dulders Hiob und den Besenbrauch"
den Besen als Votivgabe völlig unverständlich nennt,
darf wohl an die Zusammengehörigkeit von Besen,Stroh-
wisch und antikem Priap (Vergl. Horaz, Satiren 1,8)
erinnert werden, worauf sowohl der in Questenberg
übliche Brauch der Aufrichtung einer „Queste" wie ein
Soldatenlied der Kriegszeit deutet (Schornsteinfeger). Die
übrigen Beiträge behandeln „die vierzehn Nothelfer im
deutschen Osten" (J. Klapper), „Wasserkult und heilige
Quellen im Elsaß" (L. Pfleger), „Das Nachleben
der Heiligen in der Dichtung" (H. Hansel), „die Innen-
geschichte der deutschen Passionsspiele" (L. Schmidt),
denen sich zahlreiche Miszellen und Buchanzeigen anschließen
. Steht auch die Erforschung der Dynamik
und der Wanderungen römisch-katholischer Kulte im
Vordergrund des Interesses, so ist doch die Unterstellung
absichtlicher „Verfälschungsversuche unserer völkischen
Lebensgrundlagen" völlig abwegig. Der „gläubige
" Volkskundler bewegt sich nicht in einem wesentlich
anderen Räume als dem seines Volkstums, sondern bevorzugt
nur eine andere Schicht, und er übersieht nicht
die „biologische Wirklichkeit Volk", sondern sieht nur,
daß der Mensch wie das Volk über die organische und
seelische Schicht in eine geistige hineinragen (E- Spranger
). Wir werden daher nicht von „unversöhnlicher Gegnerschaft
gegen völkischen Eigenwuchs" sprechen können
, sondern mit Herder trotz der Erkenntnis von Spannungen
zwischen Volkstum und Ausbreitung des Christentums
seiner These zustimmen, daß sich das Christentum
mit jedem Volkstum als wertvolles Gut verschmelzen
läßt (W. Krievvald). Darum begrüßen wir die lebendige
Vielseitigkeit des Interesses und der Fragestellung
, die Fülle der Ausgangspunkte und die weite Dehnung
des Horizonts, die das Jahrbuch bisher auszeichnete
, und wünschen ihm wegen seiner Lebensnähe und

der praktischen Anregungen zum Finden und Sammeln,
' zum Sichten und Deuten deutschen Volkstums weiterhin
1 Wachsen und Gedeihen.

Quakenbrück. H. Vorwahl.

Bertholet, Prof. emer. Alfred: Hesekiel. Mit einem Beitrag von
Kurt Galling. Tübingen: J. C. B. Mohr 1936. (XXIV, 171 S.) gr. 8°
= Handbuch zum Alten Testament. I. Reihe, Abt. 13.

Subskriptionspreis RM 7.35, Einzelpreis RM 8.10.

Zur Zeit dürfte „Hesekiel" die problematischste alt-
testamentliche Prophetenschrift sein. Das gilt nicht von
der Wortkritik, worüber eine gewisse Übereinstimmung

I unter den Fachgelehrten eingetreten ist, wohl aber von
der Frage nach der Herkunft der einzelnen Stücke und

| des Ganzen. Die Einheitlichkeit des Buches ist innerhalb
der "letzten 50 Jahre in zunehmender Weise bestritten
worden. Paralleltexte, die das ganze Buch durchziehen,
führten zu der Annahme verschiedener Redaktionen, bis
schließlich die Kabinettskrise ausbrach: Hesekiel hat

j nichts mit dem nach ihm benannten Buch zu tun.

In seinem neuen Kommentar zu Hesekiel bietet Bertholet
— bereits 1897 behandelte er im gleichen Verlag
denselben Stoff — eine eigne Lösung der obschwebendeu
Probleme. Er glaubt der Hauptschwierigkeit des Buches
dadurch Herr zu werden, daß er ein doppeltes Wir-

i kungsfeld Hesekiels unterscheidet 1) von 593 bis 585
in Jerusalem und 2) von 585 ab in Babylonien. Den

: beiden Wirkungskreisen entsprechen die 2 Berufungsvisionen
. Die Buchrollenvision 2,3—3,9 eröffnet die

I jerusalemische, die Thronwagenvision 1, 4—2, 2 die babylonische
Tätigkeit des Propheten. Eine vorläufige Übersicht
über die babylonischen Kapitel s. S. XVI.

Mit seiner Materialscheidung hat Bertholet m. E.
im Allgemeinen einen recht guten Griff getan. Im Einzelnen
bleibt noch gar manches unsicher.

Wenn ich 2 Desiderata hervorheben darf, so betrifft
das erste das Fehlen einer grundsätzlichen Behandlung
des Krankheitsbildes Hesekiels, das für das richtige Vcr-

i ständnis der vielen seltsamen Handlungen des Propheten,

! seiner geistigen Erlebnisse, seiner Visionen und Audilio-
nen von Wichtigkeit ist. Was S. XVII u. 18 f. geboten
wird, ist zu dürftig. Das andre betrifft das Verhältnis
Hesekiels zu Jeremia. Jeder scheint seinen Zeitgenossen
nicht zu kennen; jedenfalls nennt der eine nicht den andren
. Woran liegt das? Das gleiche Verhältnis besteht

; bei Jesaja und Hosea.

hur die wichtigen Abschnitte aus dem Verfassungs-

' entwurf Hesekiels: 40—42. 43,10—17 hat Galling die
Erklärung übernommen. Dazu befähigter, ihn sein bau-
technisches Talent und sein baugeschichtliches Verstehen

; aufs Beste. S. XIXff. vertritt ü. mit einleuchtenden
Gründen die Verfasserschaft Hesekiels für den Entwurf
des Tempels Kap. 40 ff.
Neckargemünd.__Georg Beer.

Obbink, W. H.: Daniel. (Tekst en Uitleg, Praktische Bijbelver-
klaring I. Het Otide Testament). Groningen Den Haag - Batavia:
J. B. Wolters Uitgevers-Maatschapping 1032. (158 S.)

Wenn die Forschung — wie im Falle des Daniel-
' buches — den pseudepigraphischen Charakter einer bib-
; lischen Schrift feststellt, so erscheint dieses Buch als-
: bald für viele als eine „Fälschung", was sich wiederum
mit dem Offenbarungscharakter der Schrift nicht vertrage
. H. W. Obbink weiß um diesen Tatbestand (S. 27),
er weiß aber auch dies, daß ein solches Urteil aus
einer falschen Gesamtsicht von Art, Umfang und Er-
j scheinung der alttestameritlichen Offenbarung entspringt.
; So besteht für ihn kein Grund, von einer nüchtern-
kritischen wissenschaftlichen Bearbeitung des biblischen
Schrifttums abzugehen. Daß auch sie — oder besser
gerade und grundlegend sie — eine positive und aufbauende
ist, dafür liefert O. mit seinem Danielkomrnentar
den besten Beweis.

Die klare und knappe, dennoch der Größe und
I Zahl der Probleme entsprechend recht umfangreiche Ein-
. leitung (S. 1—38) beschäftigt sich zunächst mit dem