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Ausgabe:

1938 Nr. 14

Spalte:

262

Autor/Hrsg.:

Schick, Erich

Titel/Untertitel:

Der Christ im Leiden 1938

Rezensent:

Knevels, Wilhelm

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Seite 1

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"261 Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 14. 262

tums in der Geistesgeschichte und eine Aufgeschlossen- nen. Wir glauben nicht, daß die „Christengemeinschaft"
heit für das Musikalische und Okkulte. Mit Feinheit : noch eine größere Zukunft hat und, wie auf dem Um

und Tiefe enthüllt er die Beziehungen zwischen ihm
und seinen Eltern.

Das Gymnasium brachte ihm fast nur „Frondienst",
und er tat nicht mehr, als nötig war, um seinen Rang
als Primus zu behaupten. Auch das Universitätsstudium
war ihm eine tiefe Enttäuschung; Eindruck machten
ihm nur Claß, Reinhold Frank Kaftan, Harnack und

schlag des Buches zu lesen ist, den „Aufstieg zu einer
neuen, umfassenderen Gestalt des Christentums" bedeutet
; auch der neuerdings dabei betonte „germanische
Geist" wird hier nicht viel helfen. Aber was Rittelmeyer
und seine Freunde in der „Christengemeinschaft" geleistet
haben, wirkte befruchtend auf Theologie und Kirche
(etwa im Sinn eines „kosmischen Christentunis" und einer

Treitschke. Wieviel Licht fällt oft durch kleine Züge j Gestaltwerdung des Glaubens auch im Leiblichen) und
auf die geschilderten Personen! Etwa auf Harnack und soll weiter seine Wirkung haben. Und die Kritik am geZahn
, die großen Gegner: Harnack riet ihm dringend, | genwärtigen protestantischen Kirchentum, wie sie aus
in Erlangen Zahn zu hören: „Er ist der größte Gelehrte I Ritt€lmeyers Erinnerungen spricht, wollen wir ernst neh-
auf diesem Gebiet . . .". Diese Bemerkung erzählte Rit- ! men; es muß uns bedrücken, daß einer der Besten von
telmeyer dann Zahn, um eine menschliche Brücke zwi- uns ging, und wir wollen „Schuld" auch bei uns suchen,
sehen beiden zu schlagen. Zahn sagte bloß: „Harnack? Heidelberg. Wilhelm Kneveis.

Wenn er nur Griechisch könnte!" Und über Stöcker: An
seinem Tisch widersprach ihm der junge Bernoulli, als
*r Harnack heruntersetzte. Stöcker rächte sich, indem er
in der Hausandacht am Schluß ein freies Gebet sprach:
„Herr, lenke auch das verblendete Herz des jungen
Mannes, der heute abend hier gesprochen hat . . .".

Den Ritterschlag der Menschenwürde glaubt Rittel-

Schick, Erich: Der Christ im Leiden. Ein Buch evangelischen
Trostes. Berlin: Furche-Verlag 1937. (253 S.) 8°. RM 3.80; geb. 4.80.
Der Wert des Buches liegt nicht in einer systematischen
Behandlung des Problems des Leidens, sondern
in der seelsorgerlichen Führung. Hier wird wirklich
getröstet, und zwar nicht in der weithin üblichen weichen

Art, sondern mit sieghafter Kraft. Jeder, der leidet
nieyer durch eine Stelle aus Carlyles „bartor resar- d w£T me „icht?) und Christ sein wü, k v(m
tus" empfangen zu haben; das Königtum des Ich trat ; d ß h ■ { haben'

In den Mittelpunkt gestellt ist das wirklich tiefe
(wenn auch künstlerisch anfechtbare) Gedicht von K.
Friedr. Harttmann: „Endlich bricht der heiße Tiegel.. ."
(1782); das ganze Buch ist sozusagen eine Auslegung
des Gedichtes. Viele Beispiele und Zitate aus den
verschiedensten Lebenskreisen und Weltanschauungen geben
dem Werk eine große Weite und vergrößern seine
Wirkungsmöglichkeit, werden allerdings etwas in die
Auffassung Schicks zusammengebogen. Eine Fülle von
Bildern, Symbolen, Vergleichen und Wort-Ausdeutungen
(letztere m. E. zuweilen zu sehr „gemacht") tragen zur
Anschaulichkeit bei. Zusammenhang und fortschreitenden
Aufbau der Gedankenreihen finden wir nicht immer;
doch mag das mehr Aphoristische dem Zweck, den das
Buch verfolgt, besser dienen. Der Standpunkt ist streng
bibelgläubig und christozentrisch. Aber gerade von diesem
Standpunkt aus (dies meine einzige ernstliche Kritik
) hätte das Leiden als solches nicht so gepriesen
werden sollen und hätte mehr das Endziel hervortreten
müssen: die Aufhebung und Beseitigung des
Leidens.

Nun noch eine kurze Übersicht über den Inhalt des tiefen und auch
sprachlich edel geformten Werkes:

Der erste Teil, überschrieben: „Das Leiden und der Hohepriester
", stellt eindringlich das Wesen und die Tiefe des Leidens dar, die

ihm da vor die Seele. In Herrnhut ahnte er etwas
von dem, was Gemeinde, was Gottesdienst, was kosmisches
Christentum ist; in Bethel erlebte er die christliche
Liebe, aber in einer Form, die nur für die paßt,
die im alten Christentum zuhause sind; in Naumann sah
er einen Menschen im wahrsten Sinn des Wortes —
und die Tragik einer ganzen Zeit.

Nach allerhand Kämpfen, Verhandlungen und Bekenntnissen
vor den Männern der Behörde entschloß er
sich, in den Dienst der ev.-luth. Landeskirche Bayerns
einzutreten. 1895—1902 war er Stadtvikar in Würzburg,
1903—1916 Pfarrer in Nürnberg, wo er in der Hauptsache
Nachmittagspredigten zu halten hatte — noch
in einer Zeit, wo er durch seine gedruckten Predigten
längst in ganz Deutschland bekannt war! Sehr schön
Jst sein Zusammenarbeiten mit Christian Geyer, dem er
<lie umfassendere Bildung („Genie der Empfänglichkeit
") und die größere Liebenswürdigkeit zuspricht, —
während Geyer in seinen Lebenserfahrungen neidlos die
Größe Rittelmeyers anerkennt-

In die Werkstätte seiner Predigten hineinzusehen
(die ganze Woche benutzte er in systematischer Weise
zur Vorbereitung), ist uns wertvoll, desgleichen, etwas
von dem Echo zu hören, das seine Predigtbücher hervorriefen
. Wie viel diese von anderen Pfarrern benutzt

Wurden, z. T. wörtlich, habe auch ich oft bemerkt. Von Versuchung, die im Leiden liegt, und den letzten Sinn, den es hat,
^en kirchlichen Kämpfen die Rittellliever schildert, ist nämlich: Brücke zu sein zwischen unserm irdisch-körperlichen Dasein
<*«■ mit Bezzel, der sich' gewaltsam an den Bibelbuch- ™d dem Auferstelurngsleib

stakn„ i i i. j -r__a i i„(or Hph 'm zweiten Teil: „Aus dem Fegefeuer des Lebens wird das ganze

Petf, ank aml,iert£' i?Had!ZU ergre/e"d" „t nhannes Leben' besonders aber das Leiden' als F<*efeuer Sedeutct ulld

Ui, leil> dlG ful' lh" bedeutsam werden, ragt Johannes j das Ernste wje dag Befreiende daran herallsgearbeitet: nur auf dem

I T« " hervor, den er, wirklich aufschlußreich, mit KU- , bitterseiigen Weg der Rechenscnafti des „Offenbarwerdens vor dem Richt-

"Olf Steiner vergleicht. stuhl Christi", gibt es Frieden.

Von 1916—22 war Rittelmeyer Pfarrer an der Neuen , Der weitaus beste und seelsorgerlich besonders weise Teil ist der
Kirche in Berlin. Die Berliner Volksart weiß er treffend j dritte, genannt: „Von der Insel der Schwermut". Hier begegnen wir
211 Schildern und das, was sich für Seelsorge und Ka- den „Halbgesegneten", die einen Schatz im Herzen tragen, ihn aber
SUalrede daraus ergibt, ebenso treffend die Zustände , "«<*t auswirken können, den Sehern der Nacht", dem gequälten Gelter
den Pf .rrern deren Unverst'ind und Hilflosig- ' schlecl,t. den. „Golem -Menschen, in denen das Innere völlig ertötet
keit in i 1 f ia a ^ a t m " hlhpn« i wurde vom Äußeren, den durch das „Erdbeben" im inneren Leben Ge-
f e t in den entscheidenden Stunden des Volksgeschehens zeichneten (0eadeUeili aber oft dadurch an sich selbst Festgehaltenen)

"USiert er scharf, m. E. mit Recht. I den unmittelbar durch das Reich der Finsternis Gequälten. Hier wird

Ein Unfall, der ihn lange arbeitsunfähig machte, , gezeigt, wie man, nach dem Befehl und mit der Hilfe des Heilandes,

Sab ihm den äußeren Anstoß zur Aufgabe des Pfarr- i zwischen den beiden großen Gefahren des Rausches und der Betäubung
amts. Was ein Sprung aus einer gesicherten Lebensposi- hindurch ans Ziel gelangt.

tl0" ins Dunkel für Rittelmeyer bedeutete, der sechs Im vierten Teil: „Schöpferisches Leiden" fallen besonders kluge

Unversorgte Kinder hatte und gesundheitlich sehr ge- Worte über die Schmerzzufügung und Schmerzbekämpfung in der heu-
schwäeht war kann man prmewn und muß davor Re- ''gen Zeit auf. Im übrigen wird das christliche Leiden vom natürlichen
spekt hXZ biuT ermessen una raun ™r we unterschieden und der Glanz gezeigt, der von Christi Kreuz

halb nS R tt^,Ime>;er m«f*! el"e ne"e ^llche IVrJL^ auf jedes Leiden fällt, das sich ihm weiht.

4 i "°og' Wei1 Christus Wirklich leuchtend gegenwartig Von der 0emcingc,iaft der Leidenden" handelt der letzte Teil

Stnri + Wem. So folgte er dem Rufe einiger : Fürbitte, die durch die dämonischen Fesseln und Hüllen dringt! Kraft-

Beh *5i " U"d trat an die Spitze der „Christengemein- [ mitteilung im Leiden statt Verzehren der eigenen Kräfte und der Kräfte
cnatt |. Was er als deren „Erzoberlenker" geleistet anderer!

at» wird bei anderer Gelegenheit beurteilt werden kön- l Heidelberg.__Wilhelm Kneveis.