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Ausgabe:

1938 Nr. 14

Spalte:

257-260

Titel/Untertitel:

Markgraftum Brandenburg (Bayern I. Abteilung) 1938

Rezensent:

Dörries, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 14.

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den Nenner einer Zentralidee zu bringen, da Calvin seine
Theologie nicht aus einem Grundsatz logisch ableitet,
sondern aus dem Schriftzeugnis gewinnt. Man braucht
z. B. auch nur den paradoxen Satz Calvins zu zitieren:
„Cadit igitur homo Dei Providentia sie ordinante; sed
suo vitio cadit (Inst. III, 23,8), um jenen Vorwurf zu
widerlegen. Daß die Formel der Prädestination bei Calvin
den Versuch darstelle, „Gott mit einem einzigen Gedanken
zu durchschauen" (S. 116), dem widerspricht
einfach die keineswegs zentrale Stellung der Prädestina-
tionslehie in Calvins Theologie. Ebenso gebraucht Calvin
das Bild von der Leib-Seele-Einheit für das Verhältnis
der beiden Naturen in Christus nicht, wie der Verf.
S. 76 behauptet, um dies „logisch erträglich zu machen,
sondern weil „siquid in rebus humanis tanto my-
sterio simile potest reperiri, hominis similitudo appo-
sitissima videtur" (Inst. II, 14,1), also um am menschlichen
Gleichnis gerade das unlösbare Geheimnis
der Zweinatureneinheit in Christus zu veranschaulichen.
Wie wenig der Verf. Calvin verstanden hat, zeigt sich
ferner in seiner Darstellung des Syllogismus prakticus
bei Calvin (S. 110/12), der die Erw'ählungsgewißheit
keineswegs auf die Werke des Wiedergeborenen gründet,
sondern auf Christus als „den Spiegel unserer Erwählung
" und die Werke nur dem auf Christus gegründeten
Glauben als Bestätigung der Erwählung dienen läßt,
ferner in der Verständnislosigkeit gegenüber der escha-
tologischen Begrenzung, die Calvin der Christusgemeinschaft
des Gläubigen zuspricht (S. 78./Q). Schließlich
dürfte Calvin ganz im Recht sein, wenn er den Glauben
nicht wie E. als „Innewerden der Gnade Gottes im
Gewissen" (S. 87) beschreibt, in dem „unser Gewissen
uns im Angesicht Gottes unserer Kettung gewiß
macht" (S. 112). Eine solche anthropologische Lokalisierung
des Glaubens im Gewissen als Empfangsorgan
ist den Reformatoren fremd. Kurz, dem Verf. ist von
seinen theologischen Voraussetzungen aus der innere
Zusammenhang der Theologie Calvins verborgen geblieben
trotz des reichen Stellenmaterials, das er bietet.
Wir haben sicher das Recht, kritisch an die Theologie
der Reformatoren heranzutreten, aber der Maßstab der
Kritik kann nur das Wort Gottes in der Schrift sein,
nicht ein vorgefaßtes philosophisches oder theologisches
Prinzip. Im Übrigen wirkt sich bei dem Verf. die im
lutherischen Konfessionalismus traditionelle Deutung
Calvins als Rationalisten aus, eine Deutung, der die
Quellen widersprechen und die deshalb, schon um der
Fruchtbarkeit des konfessionellen Gesprächs willen, am
besten möglichst bald aus der wissenschaftlichen Diskussion
verschwindet.

Halle a. S. Werner W i e s n e r.

'•Schornbaum, D. Dr. Karl: Quellen zur Geschichte der

Wiedertäufer. IL Bd. Markgraftain Brandenburg (Bayern I. Abt.).

Leipzig: M. Heinsius. (VII, 375 S.) gr. 8" = Quellen II. Forschgn. z.

Reformationsgesch. (früher Stud. z. Kultur u. Oesch. d. Reformation)

hrsg. v. Verein f. Reformationsgescli. Bd. XVI. RM 24 - .

2-Bai n ton, Roland H.: David Joris, Wiedertäufer und Kämpfer

für Toleranz im 16. Jahrhundert. Leipzig: M. Heinsius Nachf. 1937.

(VII, 229 S.) gr. 8° = Archiv für Refonnationsgeschichte. Texte u.

Untersuchungen. Im Auftrage des Vereins f. Reformationsgeschichte

herausgeg. v. Walter Friedensburg und Otto Scheel. Erg.-Bd. VI. RM 9—.
1. Nachdem durch G. Bossert für Württemberg ergiebige
„Quellen zur Geschichte der Wiedertäufer" erschlossen
waren, wird in einem zweiten Bande durch
den um die Erforschung der fränkischen Kirchenge-
scliichte verdienten Nürnberger Archivdirektor K. Schorn-
baiin, das gleiche für das Markgraftum Brandenburg gemistet
. Die zweite Ausgabe darf sich neben der vorbildlichen
ersten sehen lassen, was Sorgfalt des Sam-
rnelns und Bestimmens, Umsicht in Aufnahme oder Wie-
de'gabe, doch auch, was Reichhaltigkeit des Inhalts
angeht. In zahlreichen Briefen, Erlassen, Prozeß- und
Koinmissionsprotokollen ist eine Menge von Nachrichten
über Ergebnisse und Ideen niedergelegt, die nun für die
historische Forschung wichtige Erkenntnisse vermitteln

I können. Jetzt erst ist es auch möglich, im Vergleich der
Sondergruppen und Richtungen die Mannigfaltigkeit der
Bewegung wie die Gleichartigkeit ihrer Grundzüge deutlich
zu erfassen. Der Unterschied der fränkischen von
der schwäbischen Gruppe tritt schon im Umfang ihrer
Zeugnisse vor Augen, — der zweite Band umfaßt knapp
j ein Drittel des ersten. Das liegt nicht nur an der gef
! ringeren Ausdehnung des behandelten Gebietes, sondern
vor allem daran, daß die württetnbergischen Quellen
| die zeitliche Grenze von 1560 weit überfluten, während
sie in Franken schon Mitte der 30er Jahre nahezu
versiegen: hier ist es gelungen, die Täuferbewegung
| frühzeitig zum Aufhören zu bringen.

Nun ist auch in dem Jahrzehnt, in dem sie den
Regierenden eine wirkliche Gefahr zu bedeuten schien,
j wo also eine lebhafte Abwehrtätigkeit uns reichlich Do-
/ kumente hinterlassen hat, die Bewegung nicht überall
durch reges geistiges Leben und eigengeprägte Persönlichkeiten
ausgezeichnet. Manche der ausgehobenen
Konventikel haben wenig eigenes zu sagen, und die langen
, stets nach dem gleichen Schema gehaltenen Ver-
I höre jedes einzelnen von deren Mitgliedern haben nur
I etwa dadurch ein Interesse, daß sie den Eindruck des
I Typischen der fast mit den gleichen Worten ausgesprochenen
Gedanken befestigen. Nicht wenige der bäuerlichen
Getauften lehnen jede Antwort auf Einwände
ab und wiederholen nur beharrlich die ihnen von den
Lehrern übermittelten Sätze. Aufschluß gibt der Vergleich
der „gütlichen" mit den „peinlichen" Verhören;
diese fördern manchmal nähere Angaben zu Tage, brechen
wohl auch den Widerstand, führen aber fast nirgends
zum Eingeständnis der überall geargwöhnten revolutionären
Vorhaben. Durchweg kann man beobachten,
daß der Schatten des Bauernkrieges und später des
Münsterschen Aufstandes für Wachsen und Gedeihen
der Täufergemeinden verhängnisvoll geworden ist. Der
Verdacht ruht unausrottbar auf ihnen, daß sich in ihnen
Herde künftiger Aufstände bildeten. Wo keinerlei hus-
sitischen Züge sich entdecken lassen, müssen die kommunistischen
Neigungen, die oft hervortreten, den Verurteilungsgrund
herteiihen. Daß, trotz der scharfen
Reichsgesetze, die täuferischen Lehren an sich in der
Regel den staatlichen Strafbestiimmungen in Brandenburg
nicht unterworfen werden, ist ein Verdienst der Theologen
, die hier — im Gegensatz zur gesetzlicheren
Schärfe der Juristen — immer zur Milde reden und im
Drängen auf geistige Überwindung der Irrtümer auch der
Versuchung widerstehen, Nachgiebigkeit durch längere
Haft zu erzwingen.

Zeigt sich in der sicheren Unterscheidung von
staatsgefährdender Rede und Glaubensirrtüniern ebenso
wie in dem gegenüber den katholischen Ge-
fluß der Reformation, so erklärt sich der trotzdem erreichte
volle Erfolg der Gegenmaßnahmen wohl auch aus
der Schwäche des Gegners. Denn mögen auch die Entschlossenheit
des Linzer Studenten Ambrosius Spittel-
meyer und die schlichte Wärme des namenlosen Hand-
werkers „Hans Nadler" nicht ohne Wirkung geblieben
j sein, im ganzen fehlen hier die großen Führer. Alle
! Sorgfalt der Verhörenden, die mit ihrem Fragen nach
den „Vorstehern und Lehrmeistern der Bruderschaft"
i dem Interesse des modernen Historikers für geistige
: Stammbäume vorgearbeitet haben, konnte unter den be-
i kannteren Täuferlehrern nur den einen Hans Hut
als in Franken wirksam aufspüren. Über ihn geben denn
| auch die Akten mancherlei Aufschlüsse. Wie seine Person
geschildert wird („ein fast gelerter geschickter gesell
, ainer zimblichen guten mannslent und ain paurische
person mit einem lichtpraunen stutzeten hare und oben
unter der nasen ainem falben pertlein", angetan mit
grauem Rock und breitem grauen Hut), so begegnen die
Grundzüge seiner Lehre in eigenen (bes. die Augsburger
Urgicht Nr. 51) und in den Worten seiner Schüler (die
Taufe unsakramental, „nur ein zaichen^ das sie ein
pusfertig leben an sich nemen, frumin werden und von