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Ausgabe:

1938 Nr. 11

Spalte:

204-205

Titel/Untertitel:

Kirche Volk und Staat 1938

Rezensent:

Schian, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 11.

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der Bibel vergewaltigt hat. Demgemäß wird die
historische Kritik gelobt, weil sie „die Bibel aus ihrer
dogmatischen Gefangenschaft befreit hat". (S. 59).

Das A. T. wird besonders behandelt. Es hat Autorität
als Voraussetzung des N. T. und Weg zu ihm.
Das wird an seiner Gottesauffassung, seinem Gesetz
(Dekalog), seiner Erkenntnis der Wirklichkeit des Menschen
vor Gott, seiner Heilsfrage und -erwartung, ja
Heilsgegenwart — „Christus ist in ihm schon da" —
nachgewiesen. Wir sind aber als Nicht-Juden frei von
seinem Gesetz als Volksgesetz und als Christen vom
A. T. überhaupt, „soweit die Erkenntnis Gottes in ihm
noch in Bindungen liegt, die durch Jesus Christus gefallen
sind". (S. 66 ff.).

In dem Abschnitte über die Autorität der Kirche, als
Vermittlerin der Offenbarung ist die Stellung A.'s zur
Bekenntnisfrage besonders bemerkenswert. Die Bekenntnisse
enthalten „den Ertrag des Ringens der Kirche um
den echten Sinn der Offenbarung", darin ist ihre Autorität
begründet. An ihr haben neben dem reformatori-
schen auch die altkirchlichen teil, sie sind „von bleibender
regulativer Bedeutung für die christologische und
trinitarische Lehrbildung". Die B.'e sind so einerseits
Nonn für die rechte Schriftauslegung, andrerseits ist ihre
Autorität eine abgeleitete und also bedingte, an ihrer
Übereinstimmung mit der Schrift zu bewährende. Die
Freiheit ihnen gegenüber ist aber auch mit ihrer zeitgeschichtlichen
Bestimmtheit gegeben. Die „theologische
Gestalt" ihrer Bezeugung der Wahrheit „ist vergänglich
und für uns unverbindlich", verlangt daher „NeuTnter-
pretation für die jeweils neue Geisteslage" (S. 75 f.
78f.). Auch hier wieder Autorität und Freiheit in
„Spannung".

Die „Apologetik" beschäftigt sich zunächst mit dem
Verhältnis von Offenbarung und Vernunft und bietet da
eine theologische Erkenntniskritik, welche theoretisches
Verstandeserkennen und existentielles d. h. mit der geschichtlichen
Existenz des Menschen und ihrem Sinn
sich abgebendes und den Einsatz der Existenz selbst
forderndes unterscheidet und innerhalb des letzteren
wieder Vernunfterkennen und auf Offenbarung sich

fgründendes. Ersteres „begrenzt" das rein gegenständ-
iche, nicht in die Tiefe der Wirklichkeit reichende theoretische
, letzteres das die Existenzfrage nicht radikal
durchführende philosophische existentielle Erkennen.
Weil die Vernunft „durch die Sünde mitbestimmt ist",
kann sie den Sinn des Lebens nicht deuten, und wenn
sie es dennoch unternimmt, macht sie sich „menschlicher
Hybris" schuldig und wird durch die Offenbarung gerichtet
. „Die Offenbarung ruft die Vernunft als sündige
zur Buße." „Erst die Offenbarung gegründet gültiges
und gewisses existentielles Erkennen' . . . und somit
alle Wahrheitsgewißheit und alle Erkenntnis." (S.
85 ff.).

Was wohl die Philosophie zu dieser ihrer Unterordnung
unter die Theologie sagt? Doch das ist ihre
Sache. Ich möchte nur fragen, wie es sich verträgt, daß
die Existential-Philosophie, wenn sie als solche ihre
Aufgabe lösen will, wegen ihrer „gottlosen Selbstherrlichkeit
" dem Gericht der Offenbarung verfällt, und daß
(nach dem Anhang zu diesem Abschnitt (S. 93 f.) sie
eben in der Existenzfrage mit der Theologie ein „gemeinsames
Feld hat, bei dessen Bearbeitung .beide voneinander
lernen können' (vgl. auch das Urteil über Kant
als Bahnbrecher der Erfassung des existentiellen, speziell
auch religiösen Erkennens und damit eines „neuen Begriffs
der Offenbarung" (S. 87).

Weiter beschäftigt sich die Apologetik mit dem Verhältnis
von Offenbarung und Religionen (S. 95 ff.).
Es wird da auf der einen Seite zugestanden, daß „die
biblische Geschichte in die Religionsgeschichte eingebettet
ist", und daß diese „einen weithin offenkundigen
Aufstieg von niederen zu höheren Stufen" . . . entsprechend
der fortschreitenden Bereicherung und Vertiefung
der sittlichen Erfahrung, z. T. auch im Zusammenhange
mit dem Fortschreiten der Kulturge-

! schichte", allerdings auch Verfallserscheinungen und -Zeiten
aufweist (S. 95 f.). Es wird von dem „Wahrheitsgehalt
der Religionen" aufgrund der Uroffenbarung gesprochen
, welcher dem Evangelium einen Anknüpfungspunkt
bietet (S. 99f. vgl. 16f.). Auf der anderen Seite
wird doch die alte Gegenüberstellung von Heidentum

; und biblischer Heilsreligion, und zwar gerade mitbezug
auf die (von A. allein ins Auge gefaßten) pantheistisch-
mystischen und ethischen oder Gesetzesreligionen, fest-

| gehalten (S. 95. 100 f.), ihr eben zugegebener Wahrheitsgehalt
als „Lüge" und „Betrug" bezeichnet und

i ihre Heilslehren als „erdacht", also „menschliche An-

| maßung" (S. 102. 96).

Zuletzt wird über „Aufgabe und Methode der Dog-
matik" gehandelt (S. 103 ff.). Ihr Denken ist kritisch,
systematisch, dialektisch, d. h. ihr Gegenstand „läßt sich
nur in je zwei Gedanken, zwei Worten, die einander
widerstreiten und zugleich fordern, ausdrücken". (S.
107 ff.). Von der Anwendung dieser Methode durch A-

I haben wir im Vorigen viele Beispiele gegeben. Damit

I komme ich zum Schluß.

A.'s Ausführungen sind durchgehends widerspruchs-

; voll. Ich kann nicht finden, daß dies das Ideal dogmatischen
Denkens ist. Die vielangefochtene moderne Theologie
sah, wie ich glaube mit Recht ihre Aufgabe darin,
die christliche Wahrheit verständlich, wohlgemerkt verständlich
, nicht begreiflich zu machen. Sie ging dabei
von der religiösen Erfahrung aus, in der wir Gottes und
seiner Offenbarung inne und gewiß werden. Aber so
etwas soll es ja nach K. Barth, dem Urheber der dialektischen
Theologie nicht geben. Nun, dann sind wir
eben auf Autoritätsglauben angewiesen oder auch eine
mechanisch-supranaturale Beibringung der Glaubenswahrheit
. Beides findet man heute weithin vertreten. A. will
ich das nicht grade vorwerfen trotz seiner starken Betonung
der Autorität, und wiewohl er die Erfahrungsgewiß-
heit der Gewißheit um Christus unterordnet. (S. 53). Wie
soll diese denn dann begründet sein? Immerhin zeigt
schon seine Inanspruchnahme der Freiheit zu historischer
und religiöser Kritik, daß er doch mit einer persönlichen
Stellungnahme zu Offenbarung, Schrift, Bekenntnis rechnet
. Aber das kann ich nicht gutheißen, daß sich seine
Ausführungen darüber in lauter unver einbaren Gegensätzen
bewegen. Er hält das zwar für sachlich
notwendig (S. 107). Nein, unvermeidlich ist nur die
Inadäquatheit unserer Vorstellungen und Ausdrücke
von Gott und den göttlichen Dingen, da wir bei ihrer
Bildung auf irdisch-menschliche Bilder und Gleichnisse
angewiesen sind, unvermeidlich auch, daß sie in Spannung
miteinander geraten, wenn sie, losgelöst von
dem religiösen Erleben, in ein System gebracht
werden. Aber das sollen sie eben nicht. Im unmittelbaren
Zusammenhang und Zusammenschluß mit jenem
sind sie wohl verständlich und vereinbar. Daher halte ich
es für abwegig, wenn die Dogmatik sich jetzt in lauter
eklatanten Widersprüchen gefällt.

Königsberg i. Pr.__^_M. Schulze.

Gerstenmaier, Lic. Eugen, u.a.: Kirche, Volk und Staat. Stimmen
aus der Deutschen Evangelischen Kirche zur Oxforder Weltkirclicnkonfe-
renz. Berlin: Furche-Verlag ig37. (311 S.) 8°. RM 4.80; geb. 5.80.
Das Vorwort von Bischof Th. Heckel unterrichtet
darüber, daß das Buch bestimmt war, die Oxforder
Weltkirchenkonferenz 1937 wissenschaftlich vorbereiten
zu helfen. Die DEK. schuf dafür eine eigene wis-
| senschaftliche Arbeitsstelle; außerdem wurde ein deutscher
Arbeitskreis gebildet, der etwa 50 Persönlichkeiten
umfaßte. Eine literarische Zusammenfassung der Vorarbeiten
war nicht von Anfang an geplant; sie wurde
beschlossen, als es als notwendig erkannt wurde, die
deutsche Vorarbeit allen Konferenzmitgliedern und Delegationen
in geschlossener Form darzubieten. Weiter
reicht die Orientierung durch das Vorwort nicht. Es
bleiben Fragen unbeantwortet, die der Inhalt aufzwingt.
Dieser Inhalt ist recht mannigfaltig und sehr uneinheitlich
. P. Althaus schreibt über Kirche, Volk und Staat,
J. Belim über Volk und Gottesvolk, G. Mav (Cilli,