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Ausgabe:

1938

Spalte:

189

Autor/Hrsg.:

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich

Titel/Untertitel:

Dokumente zu Hegels Entwicklung 1938

Rezensent:

Zeltner, Hermann

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18«»

Theologische Literaturzeitung 1938 Nr. 10.

190

fer herausgearbeitet worden wären und daß auch die
theologischen Ansichten der Gegner der E. A. deutlicher
würden. Letzteres wird nur bei Stahl gemacht. Soweit
ich das von N. vorgelegte Material prüfen konnte, ist
es gut, und die gezogenen Schlußsätze sind wohl
begründet. Auch die Partien über Deutschland dürften
richtig sein und enthalten viele treffende und feine
Beobachtungen. Es wäre wohl an der Zeit, wenn einmal
ein deutscher Spezialist die Bedeutung der £. A.
in Deutschland untersucht. Gerade beim Studium von
N.'s Buch erwachsen allerlei Fragen. Welche Bedeutung
hatte der Allianzgedanke bei Geibel, Wichern und anderen
? Welches Interesse hatten Männer wie Beysehlag,
Schenke! und andere an der E. A.? Welche Rolle spielt
der Gedanke der evangelischen Katholizität im 19. Jahrhundert
im Deutschland (vergl. auch den von N. erwähnten
Vortrag von Bethmann-Hollweg auf dem Kirchentag
in Stuttgart 1857 über evangelische Katholizität).

tinige kleinere Anmerkungen zu N.'s Buch. Bei
Besprechung der Baseler Konferenz S. 165 ff. vermißt
man eine Erörterung der Behauptung Achelis' (P. R- E.:1
Band 1, S. 381), daß Baur und Dryander eine Debatte
über die Tätigkeit der Albrechtsleute herbeiführten, die
aber nicht in die offiziellen Berichte aufgenommen
wurde. Th. Kaftan's Protest in der „Christlichen Welt"
im Jahre 1891 gegen ähnliche Sektierer wird erwähnt. —
Zu S. 243. Schleswig-Holstein wurde schon teilweise
1864 (nicht erst 1866) preußisch. — Zu S. 106 über
Schmettau vergl. Gennrich „Evangelium und Deutschtum
in Portugal", Berlin 1936, S. 103.

Es ist kein Zweifel, daß N. ein Werk geschaffen hat,
das für viele Jahre das Buch über die E. A. sein wird.
Es ist nur schade, daß es nur denen zugänglich ist,
die der schwedischen Sprache mächtig sind. Aber vielleicht
findet sich ein deutscher Verleger, der es übersetzen
läßt.

Abo. Q. Sentzke.

Dokumente zu Hegels Entwicklung. Herausgegeben von Jons.

H off m ei st er. Er$J. Bd. 2 zu Hegels Siimtl. Werken, Jub.-Ausg.

Stuttgart: Frommann 1936. (XII, 476 S.) 8° = Texte und Forschgn.

z. dt. Philos. 2. RM 10 —; Lw. RM 12—.

Dieser Band bildet eine sehr schätzenswerte Ergänzung
zu der im gleichen Verlag erschienenen Jubiläumsausgabe
von Hegels Werken. Hoffmeister stellt
nicht nur das Wichtigste aus den bereits veröffentlichten
Teilen des Nachlasses in revidiertem Text zusammen,
sondern er fügt dazu wesentliche neue Stücke aus Berliner
und Harvarder Besitz. Durch die Veröffentlichung
■zahlreicher Exzerpte, die als Dokumente für den Studienfleiß
des jungen Hegel auf uns gekommen sind
«nd die Hoffmeister mit einem aufschlußreichen philologisch
-historischen Kommentar versehen hat, wird deutsch
, in welchem Maße Hegel „Anschluß an das 18.
Jahrhundert" gesucht hat. Derselben Absicht dient der
Nachweis von Anknüpfungen an die wissenschaftliche
Literatur der Aufklärung, der sich für die Originalarbeiten
Hegels aus dieser Zeit erbringen läßt. Man soll
zukünftig, das ist Hoffmeisters leitender Gedanke, nicht
mehr in den Fehler verfallen können, „bestimmte Gedanken
und Sätze, die zweifellos Aufklärungs-Erbgut sind
und vor Hegel in hundertfacher Schattierung vorkommen
, für originelle Einsichten und Prägungen des jungen
Hegel zu halten, — als ob es mit ihm erst anfinge"
(391). Als willkommene Ergänzung zu den theologischen
Jugendschriften seien die Predigten aus der Tübinger
Zeit besonders hervorgehoben.

Leider fehlt für die Texte C IV (Berner Tagebuch) und für das
letzte der Gedichte die Quellenangabe. Der versehentlich nicht genannte
T'tel der mehrfach zitierten Schrift von Waller Betzendörfer (nicht
"etzendörffer, wie S. 394 zu lesen ist) lautet: Hölderlins Studienjahre
"" Tübinger Stift. Heilbronn 1922.

Göttingen. Hermann Zeltner.

Löwlth, Karl: Jacob Burckhardt. Der Mensch inmitten der Geschichte
. Luzern: Vita Nova Verlag 1936. (380 S.) 8°. Fr. 11—.

Nietzsches Schrift über „Nutzen und Nachteil der

! Historie" kann geradezu als Streitschrift gegen die Ge-
I Schichtsauffassung Burckhardts verstanden werden (H.

Schaeder), obwohl N. um seine Zustimmung bis zuletzt
j gerungen hat. Denn der Nutzen einer historischen Aneignung
dessen, was war, stand für B. unerschütterlich
fest. Obgleich somit B. im Lichte von Nietzsches Anschauung
als eine „ironische" Existenz erscheint und
auch in gewisser Weise ist, sind beide doch miteinander
verbunden durch ihren überhistorischen Blick auf eine
dem zeitlichen Wandel innewohnende Dauer und Ewigkeit
. B.s weiter Blick in die Zukunft beruht aber nicht
wie etwa bei Baudelaire und Dostojewski auf einer
dichterisch-prophetischen Intuition, sondern auf einem
festgefügten historischen Wissen. Gegenüber dem allgemeinen
Taumel von 1848 stellt daher Burckhardt
nüchtern fest: „Ich bin nämlich der Meinung, daß Demokraten
und Proletariat, auch wenn sie noch die wütendsten
Versuche machen, einem immer schroffer werdenden
Despotismus definitiv werden weichen müssen."
Darum wird in dem angenehmen 20. Jahrhundert die
1 Autorität wieder ihr Haupt erheben. Als Folge der
! neuen Gewaltherrschaft, welche die Massen zu bändigen
hat, sah B. die Simplifizierung an, welche das Leben
j uniformiert. Bis zu solcher Einsicht konnte B. gelan-
| gen, weil er an der „Erkenntnis des Menschen als solchen
" — wie er schon immer war, ist und auch sein
I wird — ein Maß gewonnen hatte. Und darin, daß man
I die menschlichen Dinge sieht, wie sie sind, besteht nach
B. der rechte „Malismus", wie er statt des irreführenden
Wortes „Pessimismus" zu sagen pflegte. Indern er
sich von allen Wünschbarkeiten befreite, wird ihm nicht
Nietzsches „Ich will!", sondern die Resignation zu der
I dem Menschen notwendigsten Eigenschaft. Durch diese
j historische Kontemplation, deren letztes Ziel die „Überwindung
des Irdischen" ist, macht B. die Einsamkeit
! des zurückgezogenen Lebens zu seinem Standort und interpretiert
in der Darstellung des Diogenes nicht zuletzt
sich selbst. „Eine Familie", so schreibt er 28jährig
an Kinkel, „will ich dieser infamen Zeit nicht in die
Krallen liefern" und bemerkt zu der Polybiosstelle, daß
i die Menschen aus Habsucht und Vergnügungssucht nicht
' heirateten oder die Kinderzahl beschränkten, ob nicht
I eher die Desperation die Hauptursache sei.

Trotz des Umschlags von Hegels Optimismus in
j eine nach Schopenhauers Art pessimistische Beschauung
, der Welt blieb B. Hegel doch sehr viel näher als alle
zeitgenössischen Junghegelianer. Aber was er trotz die-
! ser Nähe zu Hegels theoretischem Ethos an seinem Sy-
i stein bestreitet, ist die Voraussetzung einer göttlichen
Vernunft im Gang des Geschehens. „Der Fürst dieser
i Welt ist laut der christlichen Lehre der Satan" sagt B.
einmal und bestätigt damit Nietzsches Erkenntnis, daß
die Feindschaft der Historie gegen das Leben ihren
letzten Grund in der christlichen Religion habe, bei der
N. aber oberflächlicher nur von der Idee der Vollendung
ausging. Die Stellung des Menschen zur Frage
der Unsterblichkeit ist nach B.s Einsicht von ausschlaggebender
Bedeutung für die Entwicklung des modernen
■ Geistes Oberhaupt. Der christliche Einfluß, der B.s
moralische Reflexion bestimmt, kommt innerhalb seiner
Bevorzugung des Altertums darin zum Ausdruck, daß
seine eigenste Stellung zu den irdischen Gütern des Lebens
am klarsten heraustritt, wo er die spätantike Denkweise
schildert. Seine ganz unromantische Vorliebe für
die Naivität des griechischen Daseins war durchkreuzt
von seiner Erziehung im Christentum, dessen Moral von
ihm an entscheidenden Stellen vorausgesetzt wird. Der
für B. so charakteristische Satz von der Hinfälligkeit
alles Irdischen erweckt nicht nur den Anschein einer
' christlichen Ansicht vom Leben, sondern seine Hochschätzung
des Christentums beruht gerade auf seiner Anschauung
desselben als einer Lehre vom Leiden. Der
unhistorische N. kam folgerichtig zu einem „Jenseits
von gut und böse", während der Historiker B. „diesseits
i von gut und böse" blieb. Wenn das aber zum Anlaß
genommen wird, ihn ästhetisch mißzuverstehen und seine