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Ausgabe:

1938

Spalte:

179-180

Autor/Hrsg.:

Luther, Martin

Titel/Untertitel:

Vom unfreien Willen 1938

Rezensent:

Dörries, Hermann

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung; 1938 Nr. 10.

180

beiden Vciständnisse bei Luther vorliegt. Er hätte dann auch beobachten
können, daß z.B. S. 1Q5f. Bemerkungen zu einem von ihm gerade
auf S. 178 berührten Abschnitt aus der Genesisvorlesung stehen, den
hernach (ThStKr 100, 1927/28, 167 ff.) H. Volz einer etwas breiteren
überlieferungsgeschichtüchen Untersuchung unterzogen hat (vgl. dazu
auch Luth. Bekschr., Kirchenausschuß-Ausgabe, 1930, S. 889, Anm. 2).
So aber fehlt jeder sachliche Anlaß auf der Seite M.s, mein Buch zu
nennnen. Den Leser fördert die voreilige Kritik so wenig wie sie M.s
Buch zu schmücken vermag. Dies nebenbei. — S. 415 ist der Text |
durch Zeilenverschiebung bzw. -ausfall unklar.

Blickt man auf das Buch, das Vf. E. Seeberg widmet, (
als ganzes zurück, so wird man die Leistung, die sich i
darbietet, auch abgesehen van der etwas umstrittenen i
Frage nach dem Ausmaß ihrer Selbständigkeit im Blick
auf E. Seebergs Studien als beachtlich bezeichnen dürfen, j
Die Lutherforschung wird M.s Untersuchungen sowohl
was die künftige Benützung der Oenesisvorlesungen anlangt
wie auch im Blick auf zahlreiche Einzelbeiträge
zur Theologie Luthers und zur Theologiegeschichte des
frühen Luthertums mit Dank begrüßen und an ihr nicht
vorbeigehen dürfen. Vf. ist einer lohnenden und wichtigen
Aufgabe weithin gerecht geworden.

Halle a. S. E. W o 1 f.

Luther, Martin: Vom unfreien Willen. Kampfschrift gegen den
Mythus aller Zeiten aus dem Jahre 1525. Nach d. Urtext neu verdeutscht
von Otto Schumacher. Göttingen: Vandenhoek & Rup-
recht 1937. (228 S.) gr. 8° = Das Wort der Reformation. 2. RM 4.80.

Nicht als Lesehilfe für Studenten, sondern als Kampfmittel im Gegenwartsringen
ist diese Übersetzung von Luthers mächtigem Werk gemeint.
In der Einsicht, daß das streitkräftige Buch gerade uns heute die Waffen
darbiete, wendet sich der Übersetzer an einen möglichst weiten Leserkreis.
Er erklärt darum in kurzen Anmerkungen die dogmengeschichtlichen und
klassischen Anspielungen, macht mit Stichworten im Stil von R. Thiels
Lutherbuch auf den Gehalt der einzelnen Abschnitte aufmerksam, und
schildert in einer Einleitung Anlaß und Sinn des Kampfes zwischen Luther
und Erasmus, um daran die Aktualität des antihumanistischen lutherischen
Hauptwerks zu verdeutlichen.

Von diesem Zweck her verstellt sich auch die Art der Übertragung.
Es ist keine leichte Aufgabe, die gedrängte Gedankenfülle und scharfe
Dialektik, mit der Luther vor einem bildungsfrohen Humanistenpublikum
dessen gefeierten Führer des trügerischen Schimmers seiner Rhetorik ent- I
kleidet, heutigen Lesern verständlich zu machen. Denn auch die andere I
Voraussetzung, von der Luther ausgehen konnte, die autoritative Geltung
der Bibel, ist für die modernen Gegner hingefallen, so verwandt ihre
Grundhaltung der des Erasmus auch ist.

Eine besondere Schwierigkeit bietet die Vorrede, deren elegantes
Fechterspiel doch die Wucht des folgenden Angriffs schon ahnen läßt
und in der Luther in geistvoller Überlegenheitu nd feiner Ironie Erasmus i
mit dessen eigener Kunst entgegentritt. Hier wird auch erkennbar,
daß die kurzen Sätze, an die uns Volksrede und Journalistik gewöhnt
haben, wenigstens dann das Verständnis nicht erleichtern, wenn es sich
um verwickelte Geda ikengänge handelt. Gehört eine geschulte geistige j
Kraft dazu, längere Perioden zu umgreifen, so ist doch nichts gewonnen,
wenn man sie in unverbundene Sätzchen zerstückelt, die die Über-,
Neben- und Unterordnung der einzelnen Gedanken nicht so sicher zum
Ausdruck bringen wie ein wohlgebautes Satzgefüge. Man ist, wenn die
modernen Leser die langen Sätze Luthers nicht mehr bewältigen, gc- j
nötigt, auch seine Gedanken zu vereinfachen, büßt aber damit nicht
wenig von dem Glanz und der Fülle seines geistigen Reichtums ein.
Erliegt der Übersetzer nicht selten dieser Gefahr, so ist doch seine eigne
Sprache klar und fesselnd genug, um zwar nicht aus der Not eine Tugend
zu machen, aber sie nicht als drückend empfinden zu lassen.

Einige Proben von Art und Grenze der Übertragung: WA 18,601, j
24 „illis enim, qui spiritum magjstrum in nostris libellis hauserunt,
satis abunde a nobis ministratum est" wird abgeblaßt zu „wer vom
heiligen Geist erleuchtet unseie Schriften gelesen hat, der weiß Bescheid"
(S. 18). 601,26 der Satz: den anderen „nec Deus satis dixerit, etiam si !
omnes creaturae in linguas verterentur" wird vereinfacht: „der versteht I
nichts, und wenn die Steine schreien". Z. 32 wird der „impetus" I
respondendi unterdrückt. 604, 7 wird der Gegensatz von animus und
verba, der die folgenden Sätze beherrscht, nicht zum Ausdruck gebracht;
heißt „meo iuri et mori cedo" nicht „nach meinem Recht und Brauch", j
statt umgekehrt „wie ich dürfte und sollte" ? 605, 23: „quid hic pre- !
mam" bedeutet: „worauf ich hinauswill", nicht „was ich hier noch zu
sagen unterdrücke".

Doch das sind Einzelheiten, die ich nur anführe, weil sie zeigen, I
daß der lutherische Grundsatz, auf den sich der Übersetzer beruft: I
„Warum die Worte ohne Not so steif und streng halten, daß man nichts
daraus verstehen kann?" ihm Rechtstitel bedeutet, mit dem Text ziem- I
lieh frei umgehen zu dürfen. Doch das Urteil über das Buch darf sich |
weder durch das Bedauern, daß der Übertragung manche Feinheit und 1

Schärfe verloren gegangen ist noch durch das Bedenken bestimmen lassen,
ob Luthers großes Buch einem weiteren heutigen Leserkreis überhaupt ohne
Kommentar zugänglich ist. Wer neben der Wichtigkeit der vom Übersetzer
ergriffenen Aufgabe deren Schwere erwägt, der wird beides hinter
der freudigen Anerkennung zurückstellen, daß es gelungen ist, das uns
so nahe angehende Werk nun auch unmittelbar zu uns zum Reden zu
bringen.

Göttingen. H. Dörries.

Arnold, Dr. theol. habil. Frz. Xav.: Zur Frage des Naturrechts
bei Martin Luther. Ein Beitrag zum Problem der natürlichen
Theologie auf reform. Grundlage. München: Max Hueber 1937. (VIII,
133 S.) gr. 8°. RM 6.80.

Der Titel nennt ein höchst beachtliches und bekanntlich recht umstrittenes
Thema und seine Formulierung verspricht „dazu" einen besonderen
Beitrag. Aber die Studie selbst enttäuscht. Sie führt nirgendwo
über schon vor ihr zum Thema Erarbeitetes hinaus und könnte daher
eine kurze, etwas vergröbernde Zusammenfassung des Ertrags anderer
Arbeiten darstellen, wenn Vf. diese anderen Arbeiten zur Kenntnis genommen
und herangezogen hätte. Leider weist das Literaturverzeichnis
eine bei einer Promotionsarbeit zum Dr. habil. höchst bedenkliche Genügsamkeit
auf; ganz zu schweigen davon, daß vieles vom neueren
Schrifttum zu den Fragen: natürliche Theologie, Schöpfungsordnnng,
Naturrecht im allgemeinen und „bei Luther" im besonderen völlig fehlt
— ohne an Vollständigkeit heranzukommen lassen sich leicht zwei
Dutzend wichtiger Abhandlungen und Aufsätze hier aufzählen, an denen
man nicht vorbeigehen darf —, hat Vf. beispielsweise von E. Troeltsch
nur die historische Skizze „Protestantisches Christentum und Kirche in
der Neuzeit" genannt, dagegen nicht das große Werk über die Soziallehren
, obwohl sich der vom Vf. gewählte Gegner, K. Holl, gerade damit
auseinandersetzt!

Im wesentlichen geht es Vf. um die in der Durchführung recht
äußerliche, wenngleich in der Zielrichtung zutreffende Abwehr zweier
Thesen von K. Holl: 1) daß Luther „als Erster in den vom Altertum
her überlieferten Glauben an ein bei allen Völkern gleichmäßig vorhandenes
Naturrecht eine Bresche geschlagen" habe; 2) daß Luther als
„Regel des Sittlichen" nur das „evangelische Gesetz" kenne, sodali ihm
als wahrer Billigkeitssinn „nur" — dieses „nur" vergröbert K. Holls begründete
Beobachtung (Ges. Aufs. 1, 3. Aufl. 263 f.) — „ein am christlichen
Liebesgedanken geschultes Empfinden" gelte.

Die Ergebnisse werden in § 10 zusani inenuefa ßt: Luther kenne kein
„christliches" Naturrecht. Aber „die natürliche Gotteserkenntnis sowohl
wie die natürliche Sittlichkeit samt dem Naturrecht sind für Luther in
der lex naturae, in ihrem Vollsinn verstanden, enthalten" (119). Luther
kenue somit eine über die „christliche theologia naturalis" hinausgehende
natürliche Theologie vor der Offenbarung, mit Einschluß der „monotheistischen
Überzeugung". Zugleich lehne er ein säkularisiertes, naturalistisches
und individualistisches Naturrecht ab. Holls Urteil über
Luthers Ablehnung des Naturreclits überhaupt hänge damit zusammen,
daß Holl von diesem Naturrecht ausgehe; eine richtige, z.T. von
K. Hol! selbst als Korrektur in späteren (Vf. kennt nur diese späteren !)
Auflagen ausgewertete Erkenntnis. Luthers Theorie des Naturrechts
stimme, abgesehen vom Fehlen der lex aelerna-Lehre weithin mit dem
Thomismus überein, ihr fehle aber die „organische Verbindung des Naturrechts
mit der geoffenbarten Ordnung" (128) — womit Vf. den Leser
vor das Rätsel führt, was er dann eigentlich bei seinem Bestreben,
Luther möglichst in das katholische Verständnis des Naturrechts einzugliedern
, unter dem auch für Luther von ihm festgestellten „Vollsinn"
des Naturrechts verstehe. § 10 faßt so in weithin wörtlicher Wiederholung
die Ergebnisse der voraufgegangenen Abschnitte zusammen und
blickt auf die etwas dürftige „Einleitung" zurück. In den §§ 1—9 werden
viele mehr oder minder bekannte Lutherzitate zusammengestellt.
Entscheidendes fehlt: so z. B. in dem Abschnitt über iustitia civilis und
iustitia aliena gänzlich die grundlegenden Ausführungen in der Vorlesung
über den Römerbrief. Auch das gegen Holl entscheidende Urteil Luthers,
das das „Liebesgebot" der lex naturae zuweist, hat Vf. sich entgehen
lassen, zugleich mit der Erkenntnis, daß das „Gesetz Christi" der Glaube
ist. Die Analyse der angeführten Stellen dringt im allgemeinen nicht
sonderlich tief ein Die richtige Feststellung eines dialektischen Verhältnisses
zwischen weltlicher und christlicher Gerechtigkeit bleibt so
z. B. nur These, ohne daß Vf. dieser Dialektik, an der wirklich alles
hängt, im einzelnen nachzugehen sich entschlösse. Daß die natürliche
Gotteserkenntnis — bei Luther eine nicht bestrittene Anerkennung eines
religionsphänomenologischen Tatbestands — die „monotheistische Überzeugung
" einschließe, ist in dem Sinne, in dem bei einem katholischen
Forscher diese Formel verstanden werden muß, irrig und Folge nicht
nur eines mangelnden Eindringens in den Gesamtzusammenhang der
Aussagen Luthers über natürl. Gotteserkenntnis, nicht nur des Vorbeigehens
an den guten Untersuchungen Voßbergs und Holstens dazu,
sondern auch eines geringen Achtens auf präzise Bestimmung und Anwendung
einzelner Begriffe. Die Darlegungen über synteresis (26 ff.)
befriedigen nicht einmal in der Andeutung der scholastischen Lehre.
Dem Problem Schöpfung und Sünde in Bezug auf die „Welt" bei
Luther wird Vf. mit seinem unzureichenden Nebeneinander zweier Welten