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Ausgabe:

1937 Nr. 10

Spalte:

176-177

Autor/Hrsg.:

Mulot, Arno

Titel/Untertitel:

Frühdeutsches Christentum 1937

Rezensent:

Kesseler, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 10.

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einen Glauben, der sich auch in Not und Anfechtung j
bewähren sollte. Vielmehr brach er in der Stunde der
Not zusammen, wie die germanischen Gottlosen zeigen,
die nicht etwa Mystiker des inneren Lichtes, sondern
ganz echte Gottlose sind, die ihren Glauben verloren
haben, als es nicht nach ihrem Willen ging. Neben
Thor stehen Odin und andere Götter, einen germanischen
Monotheismus hat es nicht gegeben. „Es steht in dieser
Beziehung mit der germanischen Religion nicht anders
als mit der griechischen und römischen. Ihren
polytheistischen Charakter zu bestreiten, beißt dem übereinstimmenden
Zeugnis der Quellen widersprechen".

Gegenüber den Versuchen, die germanische Gottesauffassung
auf das Freundliche, auf das „Fascinosum" I
zu beschränken, betont B. auch das Furchtbare, das j
Gefährliche, das „Tremendum", selbst bei Thor. „Der

Glaube an die Macht der Götter.....hatte auch eine I

dunkle Seite: das Bewußtsein der eigenen Ohnmacht, f
von dem schon Tacitus spricht, und das damit verbundene
Gefühl des numinosen Schauers vor der göttlichen j
Majestät. Erst diese beiden Seiten der Frömmigkeit zusammen
ergeben das wahre Bild des germanischen Götterglaubens
". Dies Tremendum zeigt sich besonders bei
den Opfern, die als Sühnopfer die Vorstellung des
göttlichen Zornes voraussetzen, besonders beim Menschenopfer
, das aus der germanischen Religion als wesentlicher
Bestandteil nicht wegzudenken ist. „Es kann
kein Zweifel sein, daß das Menschenopfer die größte
und feierlichste der germanischen Kulthandlungen war".
Wie das Opfer so spielt auch das Gebet bei den Germanen
eine große Rolle. Es ist nicht bloß Bitte um
Frieden und Erntesegen, die Sagas sind reich an Beispielen
für mannigfaltiges Gebet, von denen B. einige anführt
. „Es ist unverständlich, wie man angesichts dieser
und mancher anderen Stellen behaupten kann, eigentliche
Gebete seien uns aus dem nordischen Heidentum
nicht überliefert".

Mit dem religiösen Glauben des Germanen steht sein
sittliches Verhalten nicht in wesentlichem Zusammenhang
. Auch die Gottlosen bleiben an die sittlichen Forderungen
von Ehre, Recht und Treue gebunden, ebensowenig
kann auch sittlicher Verfall in späterer Zeit auf
das Schuldkonto der Religion geschoben werden. Während
das Christentum gut und böse von Gott her versteht
, erhalten im germanischen Heidentum alle sittlichen
Begriffe von Sippe und Volk her ihren Sinn.
Dies Ethos ist kämpferisch und auf Selbstbehauptung
gestellt. Die letzte Verantwortung hat der Mensch nicht
vor Gott, sondern vor sich selbst. „Die entscheidende
Instanz ist der eigene Wille". Damit hängt der germanische
Schicksalsglaube zusammen,, mit dem der
Mensch aufrecht dem unentrinnbaren Schicksal entgegengeht
, bereit es zu erleiden und zu erfüllen. Es ist daher
falsch, im Schicksal nur die äußere Macht zu sehen.
„Kummer verkennt die Tiefe der germanischen Schicksalstragik
, wenn er von dem Schicksal immer als von
der von außen wirkenden Macht spricht und sie der
dem Menschen innewohnenden Macht, der „lebensmächtigen
Seele" gegenüberstellt." Auch Kummers Gegenüberstellung
von Götterglauben und Scbicksalsglauben ist
irrig, denn in allem Schicksalsglauben steckt ein Stück
Gottesglauben, ja ursprünglich fielen Schicksalsglauben
und Gottesglauben zusammen. Mit dem Zerfall des
Gottesglaubens wurde der Schicksalsglaube zur eigentlichen
Frömmigkeit, die aber auch hier noch das Tremendum
ahnte. „Der Schicksalsglaube ist Frömmigkeit. Das
demütige Gefühl der Abhängigkeit von einer höheren
Macht, das tief religiöse Bewußtsein davon, daß der
Mensch nicht alles kann, was er will, findet in ihm
seinen letzten erhabensten Ausdruck."

Auf Grund der dargestellten Erkenntnisse kann B.
wohl mit Recht der Meinung entgegentreten, daß der
Germane in seitner Frömmigkeit kühler gewesen sei als
andere. Aber freilich konnte seine Gottessehnsucht innerhalb
der germanischen Religion keine Erfüllung finden
. Er endete in der Negation, der Gottlosen oder in
der Resignation des Schicksalsglaubens. So kam es,
daß der Germane sich dem Christentum erschloß, als
er die Erfahrung machte: „Krist ist mächtiger als das
Geschick". So fanden sich Germanentum und Christentum
, als der Germane sein Ja zum Anspruch Gottes
sprach und die Botschaft von der Erlösung annahm.
Lanz (Westprignitz). Kurt Kessel er.

Mulot, Arno: Frühdeutsches Christentum. Die Christianisierung
Deutschlands im Spiegel der ältesten deutschen Dichtung. Stuttgart:
J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung 1935. (149 S.) gr. 8°.

Der Verfasser steht in seiner Grundhaltung durchaus
auf dem Boden der deutsch-völkischen Frömmigkeit, soweit
diese nur das „Arteigene" gelten lassen will. Er
unterscheidet sich aber von vielen seiner Gesinnungsgenossen
dadurch, daß er nun von dieser Grundlage aus
nicht das Christentum als dem germanischen Wesen
restlos wesensfremd abtut, sondern daß er einen bestimmten
christlichen Gehalt in das deutsche Wesen
eingegangen sieht. Wirklich große germanisch-christliche
Dichtung, wie sie in den frühchristlichen Denkmälern
vorliegt, war nur möglich bei wirklich innerlicher
Verschmelzung von Germanentum und Christentum
. M. zeigt an den großen Dichtungen vom Wessobrunner
Gebet bis zum Evangelienbuch des Otfried, wie
sich hier ein kennzeichnendes deutsches Christentum
herausgestaltet hat, das freilich nicht ungebrochen blieb,
sondern mehr und mehr unter den Einflüssen von
Mönchtum und Bildung überfremdet worden ist. An
Otfrieds Evangelienbuch wird diese Überfremdung besonders
deutlich gemacht. Der Verfasser sagt mit diesen
Dingen nichts unbedingt Neues, aber er rückt die frühchristlichen
Literaturwerke so entschlossen unter diesen
einheitlichen Gesichtspunkt, daß auch der zünftige
Germanist das Buch nicht ohne Gewinn lesen wird.

Kurz zusammenfassend läßt sich das Ergebnis des
Buches so kennzeichnen: Im Wessobrunner Gebet mit
seinem Bekenntnis zum almahtico cot und zum manno
miltisto vereinigt der germanisch-christliche Schöfergott-
glaube „das Beste germanischer Art mit dem Wertvollen
der neuen christlichen Botschaft". Im Muspilli sind
„die Schrecken der Apokalypse und die Schauer des dies
irae in die germanisch-mystischen Phantasiegebilde eingeströmt
". Aber sie werden in den Gerichtsvorstellungen
doch entgermanisiert, denn die Menschen werden passiv
gemacht, die Überwelt wird von der Welt'getrennt, und
das Leben wird moralisiert. Im Heliand ist das germanisch
kämpferische Christentum zu schönster Ausprägung
gelangt: Christus der Herzog, seine Jünger die
Gefolgschaft, Christus der Lichtbringer, die hohe Bedeutung
der Sippe. Aber auch hier finden wir artfremde
Züge, die in das Ganze einen inneren Widerspruch hineinbringen
: Verdammung der Ruhmbegierde, Ablehnung
der kämpferischen Gesinnung, der Blutrache usw. Besonders
anerkannt wird am Heliand das Fernhalten von
den „Spekulationen der Erlösungslehre", das aber doch
tatsächlich mehr ist als die Verdrängung der Logosspekulation
und — was der Verfasser nicht sieht —
den Nerv des christlichen Erlösungsgedankens trifft.
Über die altchristliche Genesis mit ihrer stark germanischen
Prägung gelangt der Verfasser zu Otfried, bei dem
sich die Überfremdung besonders stark ausprägt: Das
Mönchtum drängt vor, die Volkseinheit wird aufgesprengt
(Kunstdichtung), die Erde wird zum Jammertal,
die Sünde übergroß, Erlösungsspekulationen dringen ein,
und — hier stehen wohl Gedanken der Psychoanalyse im
Hintergrund — die so verlorene Welt wird in Psychologisierung
, Idyllisierung und Lyrisierung zurückgewonnen.
Über den Lyriker Otfried weiß Mulot viel Feines zu sagen
. Sein Gesamturteil über Otfried aber lautet: „Er
wollte das Beste in persönlich unantastbarer Ehrlichkeit.
Er mußte aber die schöne Eigenart seines Landes hingeben
, um sein vorgestrecktes Ziel zu erreichen".
; Bei allem Bemühen des Verfassers um eine gerechte