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Ausgabe:

1937 Nr. 9

Spalte:

165-166

Autor/Hrsg.:

Mombauer, Hans

Titel/Untertitel:

Bismarcks Realpolitik als Ausdruck seiner Weltanschauung 1937

Rezensent:

Lerche, Otto

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165

Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 9.

166

kultus zu treiben" und dem „Mangel an geschichtlichem
Sinn".

Es ist ein unbestreitbares Verdienst der Heilerschen
Bewegung, daß sie das allen Konfessionen Gemeinsame
immer wieder stark heraushebt. Wenn aber Paula Schafer
meint (vgl. Theol. Lit. Ztg. 1935 Nr. 14), daß eine
Einigung der Konfessionen auf dem Boden der anglikanischen
Kirche möglich sei, so vergißt sie, daß die
römische Kirche das Papsttum nicht aufgeben „kann".
Und dieses Papsttum stützt auch die volkstümliche Heiligenverehrung
.
Stettin. Hugo S t e 11 e r.

Binkowski, Dr. Joh.: Die Wertlehre des Duns Skotus. Berlin
& Bonn: Ferd. Dümmlers Verlag 1936. (95 S.) 3°. = Philosophie
in Geschichte & Gegenwart, hrsg. v. Joh. Hessen H. 1. Kart. RM 3.80.
Die Wertlehre des Duns Skotus wird hier im organischen
Zusammenhang des skotistischen Systems dargestellt
und mit der des Thomas von Aquin verglichen.
Während Thomas Sein und Wert gleichsetzt und daher
den Unwert als ein Nichtsein ansieht, trennt Skotus
Sein und Wert und erblickt im Unwert ein fehlgeleitetes
Sein. Die Wertordnung steht hier selbständig neben der
Seinsordnung. Während nach Thomas das Werterleben
Sache des Intellekts ist, ist es nach Duns Skotus Sache
des ganzen Menschen, besonders des Willens. Dieser
ist frei. Während jedoch bei Thomas der Verstand Ursache
der Willensfreiheit ist, der Wille aber durch das
erkannte Gut determiniert wird, ist nach Skotus das Erkennen
determiniert, der Wille dagegen gerade infolge
seiner Unabhängigkeit vom Verstand frei.

Die Seligkeit besteht nach Skotus in der eigentlichen
Tätigkeit des Willens: in der Liebe. Der Verf. hat völlig
recht, wenn er sagt, in den beiden Worten: „Individuum"
und „Liebe" sei die ganze Wertlehre des Doctor sub-
tilis begriffen. Während bei Thomas das Sein umso
wertvoller ist, je allgemeiner es ist, gilt dem Skotus
das Individuum als Vollendung der Natur; erst in der
Fülle der Einzelwesen vermag sich der unermeßliche
Reichtum Gottes darzustellen. Während bei dem Aquina-
ten jede Liebe ichbezogen, anthropozentrisch ist, da ihr
eine metaphysische unio zugrundeliegt, erblickt Skotus
das Wesen des Liebenden darin, daß er aus sich heraus
und von sich weggeht. Skotus fordert von der wahren
Liebe, die sich auf Gott, den primären Wert, richtet,
daß in Ihr das Ich ausgeschaltet, daß sie lauter Gottbe-
zogenheit ist.

Der Verfasser betont in seiner Darstellung mit Recht,
wie gegenwartsnah gerade die besonderen Lehren dieses
scharfsinnigsten mittelalterlichen Denkers sind und
wieviele seiner Gedanken heute noch Gültigkeit besitzen.
Schöntal/Jagst. Walter Betzendörfer.

Monibauer, Dr. Hans: Bismarcks Realpolitik als Ausdruck seiner
Weltanschauung. Die Auseinandersetzung mit Leopold v. Gerlach 1851
bis 1859. Berlin: Dr. Emil Ebering 1936. (88S.)gr. 8°. RM 3.60.
Der Verfasser stützt seine Ausführungen Zeile um
Zeile auf die Äußerungen Bismarcks und des Generals
Leopold v. Gerlachs. Er behandelt das politische Geschehen
der Jahre 1851 — 1859 soweit, wie es notwendig,
um die Gegensätzlichkeiten der Korrespondenten Gerlach
und Bismarck in grundsätzlichen Fragen der Politik
und der Geschichte überhaupt aufzuzeigen. Über das
Thema ist schon mancherlei, auch von maßgeblicher
Seite gesagt; auch wenn M. Fragen erörtert, in denen
er zu einer der traditionellen Darstellung entgegengesetzten
Feststellung kommt, steht er nicht allein. So insbesondre
in dem Problem von der „Entwicklung" des
großen Staatsmanns; nach M. — und anderen vor ihm
~- hat Bismarck als Gesandter am Bundestage nicht
Lehr- oder Entwicklungsjahre durchgemacht, sondern
Meisterleistungen vollbracht.

Die eigentlichen Ergebnisse der Arbeit sehen wir
|" folgenden Sätzen (S. 50f.): „Beiden, Bismarck und
Merlach, ging es um den Bestand einer christlichen Ordnung
hu Diesseits, aber mit dem Unterschied, daß Gerlach
von einem idealen, normativen Wertreich aus Forderungen
an die Welt richtete, ohne zu fragen, ob er mit
diesen Normen in dieser Welt überhaupt noch Fuß fassen
könne; während Bismarck diese Ordnung in der
eigenen Staatsmacht und vermöge dieser Macht am
besten gesichert sah, deshalb dieser Macht und nur
dieser Macht in einem unbeirrbaren Pflichtgefühl und
einer leidenschaftlichen Hingebung diente, die kein bloßer
Materialismus des Machtgedankens oder gar des
persönlichen Ehrgeizes zu erklären vermag, die vielmehr
aus den tieferen Bereichen des Glaubens und der
Bindung an überpersönliche Werte genährt ist. Gerlachs
Konservativismus war von einer allgemeingültigen
absoluten Idealität, aber es fehlte ihm in seiner theoretischen
Weite und abstrakten Gedaniklichkeit an realisierender
Kraft; es fehlte ihm der fruchtbar-tätige Impuls
eines staatlich-patriotischen Wollens. Bismarcks
Konservativismus hat durch die Konzentration auf den
eigenen Staat scheinbar an Weite und Weltgültigkeit
verloren, aber er barg durch die Vereinigung mit der
friderizianisidhen Tradition des preußischen Staatsgedankens
alle praktischen Möglichkeiten zu fruchtbarer Tat."

Als entscheidenden Gegensatz zwischen Bismarck und
Gerlach führt M. (S. 77) auch den Generationsunterschied
an. Das ist gewiß sehr modern, aber damit noch
nicht praktisch erwiesen. Außerordentlich schwach ist
die Skizzierung der kirchengeschichtlichen Umwelt und
der Hintergründe. Mit einem Satz von später Goethezeit
und einem Hinweis auf Novalis ist weder die geistige
Welt Gerlachs noch die Friedrich Wilhelms IV. nur angedeutet
; tatsächlich ist das gemeinsame in der christlich
-religiösen Gedankenwelt bei Gerlach und Bismarck
reichlich vorhanden und leicht zu belegen. Wenn Bismarck
die Revolution nicht fürchtete, die liberale Canaille
aber zertrat, wo er konnte, so weist auch das in
eine Welt, in der Gerlach zu Hause war. Und das Christlich
-Historische ist doch nicht eine so weinerlich-belanglose
Angelegenheit, wie es in Mombauers Sicht bei Gerlach
erscheint.

Berlin.__Otto Lerche.

Mund, Fritz : Pietismus — eine Schicksalsfrage an die Kirche
heute. Marburg (Lahn): Spener-Verlapr 1936. (135 S.) RM 2—.
Es ist verständlich und erfreulich, daß in einer Zeit,
wo die Kirche um ihre Existenz ringt, von allen Seiten
Vorschläge zur Abwehr der Gefahr gemacht werden.
So sieht Mund die Rettung der Kirche allein in der Erneuerung
des Pietismus. In ständiger Polemik gegen
Karl Barth erweist er zunächst den Pietismus als biblisch
-lutherisch. Ohne die Gefahr des Pharisäismus, Perfektionismus
und sonstiger schwärmerischer Entgleisungen
zu leugnen, betont er immer wieder, daß der
Pietismus „mit dem 3. Artikel stets Ernst gemacht" habe.

Schon mehrmals habe der Pietismus die Kirche gerettet
. Spener und Francke hätten die Orthodoxie, der
Neupietist Tholuck den Rationalismus überwunden. Eine
Schar großer Männer, unter denen auch Laien wie Bismarck
genannt werden, habe sich aus dem Pietismus
das Rüstzeug geholt. Die Gemeinschaftsbewegung und
neuerdings die Gruppenbewegung hätten unstreitig zur
Belebung der Gemeinden beigetragen. Darum hinge das
Schicksal unserer Kirche davon ab, ob Gott uns wieder
eine Erweckungsbewegung schenkt.

Nun ist das ja unbedingt richtig, daß die Erneuerung
der Kirche von innen her geschehen und
„das Wort Gottes in Seelsorge umgesetzt" werden muß
Aber in dem heutigen Kampf der Kirche um ihre Existenz
handelt es sich außerdem noch um ganz andere
Probleme.

Wenn auch Mund diese Probleme, weil sie ihm nicht
im Bereich seiner Auffassung der „Schicksalsfrage" zu
liegen schienen, nicht weiter berührt hat, so sind doch
seine Ausführungen an sich so wertvoll, daß sie bei
der Neuordnung der Kirche nicht überhört werden
sollten.

Stettin.______ Hugo S t e 11 e r.