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Ausgabe:

1937 Nr. 8

Spalte:

144

Autor/Hrsg.:

Stutz, Ulrich

Titel/Untertitel:

Papst Alexander III. gegen die Freiung langobardischer Eigenkirchen 1937

Rezensent:

Klewitz, Hans-Walter

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 8.

144

nicht auf, sondern „der Geist der Wahrheit" lebt in
den Jüngern weiter, und so wird Christus fort und fort
in der Welt bezeugt. Dies ist die Wirklichkeit der Kirche
: Wer „an Christus glaubt", gibt durch den Geist
für Christus auch Zeugnis, und dieses Zeugnis der Christen
ist gleichbedeutend mit der Wirklichkeit und Ge-

fenwart Christi in der Welt". Dieses lebendige Zeugen
indet sich auch in der Apokalypse und ist hier —
weil es von den Feinden abgelehnt wird — Voraussetzung
der Verfolgungen. Alle Christen sind zum Zeugen
verpflichtet, sollen sich als Bekenner der Wahrheit
Jesu bewähren. Erst im Tode ist aber das Zeugnis
aller Zweideutigkeit des Lebens und aller Möglichkeit
des Versagens entnommen, und die Zeugepflicht definitiv
erfüllt. Dadurch das der johanneische Zeugenbegriff
— das konkrete, geschichtliche Zeugnis Jesu — mit dem
Gedanken an die endgültige Vollendung durch den Tod
zusammentrifft, entsteht die martyrologische Auffassung
des Blutzeugen (p. 46). Wie dieser Begriff unter Einfluß
des johanneischen Schriftkreises sich in die altkirchliche
Sprache einbürgert beschreiben die folgenden
Seiten (p. 46—55).

In diesen zwei ersten Kapiteln liegt m. E. das Hauptverdienst
des Buches, weil hier eine sehr scharfsinnige
Lösung eines wichtigen altkirchlichen Problems gegeben
ist. Der Verf. hält aber nicht damit inne, sondern
er gibt uns in drei weiteren Kapiteln eine sehr ausführliche
und sorgfältige Behandlung der Entwicklungsge^
schichte der martyrologischen Gedanken in der alten
Kirche. Es wird gezeigt, wie die Zeugen-Terminologie
andere Benennungen der im Tode leidenden Christen
vertrieben hat, und wie der ursprüngliche Zusammenhang
zwischen Jesus, der selbst die Wahrheit war und
sie zur selben Zeit bezeugte, auf der einen Seite und den
den Jüngern, die sein Zeugen wiederholen und sich zu
seinem Namen bekennen, auf der anderen verloren gegangen
ist. Statt dessen wird das Leiden eine Nachahmung
der Leiden Christi, die den Wert einer Opferleistung
besitzt. Die Leiden der Märtyrer werden für die
Gemeinde eine Quelle des Heils und der Sühne. Mit
dieser Verschiebung der Auffassung ist dann auch gegeben
, daß das Martyrium als menschliche Tat verstanden
wird, und die Aufmerksamkeit richtet sich auf das,
was der Märtyrer macht; das Martyrium wird die große
Chance der Frommen, die ihnen einen besonderen Lohn
verschafft. Der Märtyrer wird der christliche Held,
dessen Bild bei den einzelnen (Gnostiker, Alexandriner,
Tertullian, Cyprian etc.) verschieden gezeichnet wird.
Endlich hören wir auch (im 5. Kap.), wie das Verhältnis
zwischen Märtyrer und Verfolger sich wesentlich ändert
dadurch, daß das Interesse sich nicht mehr auf das
Zeugen sondern auf die Person des Märtyrers richtet.

Diese drei letzten Kapitel enthalten in klarer Form
und übersehbarer Ordnung so viel Stoff und so viele
scharfsinnige und feine Beobachtungen, daß sie allein
genügend wären, um das Buch v. Campenhausens zu
einem unentbehrlichen Hilfsmittel für jeden Patristiker
zu machen. Der Verf. kennt genau alle Quellen und
verweist sorgfältig auf die ganze neue Literatur. Zum
Verständnis der Verschiebung des Märtyrerbegriffes hätte
der Verf. doch gut getan, wenn er die Frage weniger
literarisch und mehr „praktisch" behandelt hätte. Ich
meine damit, daß die rein äußere Technik der Verfolgungen
, wie sie uns im großen ganzen doch in den
Märtyrerakten klar liegt, ein Hauptfakitor dieser Verschiebung
gewesen ist. Tatsächlich handelte es sich
hier nur ausnahmsweise um ein Zeugen; statt dessen
war die Frage die, ob der Christ sich allen Verlockungen
und allem Zwang gegenüber standhaft zu halten
vermochte. Das Martyrium wurde so rein buchstäblich
zu einer Leistung.des Märtyrers, während das urchristliche
Zeugen m. Notw. zurücktreten mußte. Dieser
Faktor hätte m. E. größere Aufmerksamkeit verdient
.

Das wesentliche des Buches und das, was den Skeptizismus
beschämt, sind doch, wie schon oben gesagt,

die beiden ersten Kapitel, die den früheren Untersuchung
gen des Märtyrerbegriffes (wie etwa von Kattenbusch,
Schlatter und Achelis) gegenüber das große Verdienst
haben, daß der Verf. die ganze Frage von Anfang an
d. h. von den Reden Jesu ab untersucht hat, und dazu
noch daß er es gesehen hat, wie zentral die ganze
Frage des Zeugens in der Urkirche ist, eine Frage die
nur im Zusammenhange mit dem Christsein und der
kirchlichen Verkündigung überhaupt verstanden werden
kann. Die Analyse der synoptischen Reden und des
johanneischen Zeugenbegriffes bedeutet einen wichtigen
Fortschritt innerhalb der neutestamentlichen und altkirchlichen
Wissenschaft, und so viel ich sehen kann,
ist es dem Verf. gelungen, sowohl die »christliche Idee
des Martyriums in seiner Reinheit herauszustellen als
auch zu erklären wie sie sich zum kirchlichen Märtyrerbegriff
entwickelt hat.

Kopenhagen. Hai Koch.

Stutz, Ulrich: Papst Alexander III. gegen die Freiung lango-
bardischer Eigenkirchen. Berlin: Akad. d. Wissensch.; W. de
Oruyter & Co. in Kommiss. 1936. (37 S.) 4" = Abhandl. der Preuß.
Akad. d. Wissensch. Phil.-Hist. Klasse Jahrg. 1936, Nr. 6. RM 2.50.

Stutz' Abhandlung gewinnt ihren Stoff aus einer
Urkunde Alexanders III., die sich bei den Diploinatikern
einer großen Berühmtheit erfreut. Denn es handelt
sich um eines der ersten und lehrreichsten Beispiele
mittelalterlicher Urkundenkritik, weil der Riichterspruch
des großen Papstes, den diese Urkunde überliefert;,
in dem Streit zwischen dem Erzbisehof von Capua
und einer Äbtissin dieser Stadt um die Rechtsstellung
ihres Klosters zwei ältere Papsturkunden als Fälschungen
verwirft, mit denen jene Äbtissin die Freiheit ihres

j Klosters von der bischöflichen Jurisdiktion hatte beweisen
wollen. Beide Urkunden, die eine sollte von
Papst Zacharias (741—52), die andere von Papst Leo
(wahrscheinlich Leo IV., 847—55) herrühren, sind nicht
mehr erhalten, aber die Beschreibung ihrer äußeren
Merkmale durch Alexander III. überzeugte auch die modernen
Urkundenkritiker von der Richtigkeit des päpstlichen
Urteils, obwohl seine Begründung völlig unzureichend
war und nur bewies, wie wenig vertraut man
an der Kurie des 12. Jahrhunderts mit dem älteren
päpstlichen Urkundenwesen gewesen ist.

Demgegenüber würdigt St. den Richterspruch Alexanders
III. vom Standpunkt der kirchlichen Rechts-

j geschichte aus und kommt nach einer meisterhaft durchgeführten
Untersuchung zu dem Ergebnis, daß „die
von der Äbtissin produzierten Privilegien inhaltlich nichts
Unmögliches besagten" (S. 35), wenn auch das Zacharias
-Privileg erst mit Hilfe einer älteren Bischofsurkunde
hergestellt sein wird, um der Erwirkung des leoninischen
Privilegs zu dienen. Denn die Freiung eines langobar-
dischen Klosters, die den Inhalt der beiden verworfenen
Papstprivilegien ausmachte, war in der langobardischen
Zone Süditaliens umso weniger eine außergewöhnliche
Erscheinung als durch Eugen II. und Leo IV. — wie

I St. bereits früher unter allgemeiner Zustimmung festge-

j stellt hat — der Übergang Roms zum Eigenkirchenrecht
vollzogen worden war. Alexander freilich mußte an
solchen Rechtsgedanken Anstoß nehmen, da sie dem
neubegründeten Kirchenrecht zuwiderliefen, für das er
als praktischer Jurist nicht weniger geleistet hat als der
Theoretiker Gratian. Auf diese Weise trägt St. Studie
über ihren engeren Rahmen hinausgreifend zugleich auch
viel Wesentliches für die Erkenntnis der Rolle bei,
die Alexander III. in der kirchlichen Rechtsgeschichte
gespielt hat. St. Anregung, daß die Forschung die Darstellung
des Kirchenrechts jenes Papstes versuchen möge,
konnte nicht nachdrücklicher gerechtfertigt werden und

' wird besonders von denen freudig unterstützt werden,
die sich die Fülle des Materials vergegenwärtigen, das

! für jenes Thema durch die Arbeit des von P. Kehr gelei-

I teten Göttinger Papsturkundenufiternehmens bereits zusammengebracht
ist.

I Göttingen. Hans-Walter Klevitz.