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Ausgabe:

1937 Nr. 8

Spalte:

140-141

Autor/Hrsg.:

Mittring, Karl

Titel/Untertitel:

Das Christusgeheimnis 1937

Rezensent:

Michel, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 8.

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der Menschenopfer bei den Nordgermanen, von denen
besonders die letztere bei der gegenwärtig in gewissen
Kreisen üblichen Bestreitung des germanischen Menschenopfers
sehr zeitgemäß ist. Sch. zeigt, daß gegenüber
dem periodischen Menschenopfer das einzelne Opfer
in den letzten heidnischen Jahrhunderten immer mehr
zurücktrat, ja daß es sich bei manchen solchen wohl
nicht um offizielle, sondern um abergläubische Gebräuche
handelte, wie sie ebenso sonst vorkamen. Ob
freilich auch nur bei den Nordgermanen ursprünglich
Glieder des eignen Volkes geopfert wurden, möchte ich
bezweifeln, und ebenso, ob der Pferdephallus in dem
Volsathattr ein Opfer für den Fruchtbarkeitsgott sein
sollte. Aber solche kleinen Ausstellungen können das
Urteil über den Wert dieser Arbeit in keiner Weise einschränken
. Sie stellt vielmehr durch ihre staunenswerte
Beherrschung des weitschichtigen Materials, ihre Kenntnis
auch nicht-germanistischer Literatur und namentlich
die Schärfe und Besonnenheit des Urteils eine glänzende
Erstleistung dar und läßt uns hoffen, daß wir dem Verfasser
auch weiterhin auf diesem Gebiet begegnen
werden.

Bonn. Carl C1 e m e n.

Wörthwein, Dr. Ernst: Der 'amm ha'arez im Alten Testament
. Stuttgart: W. Kohlhammer 1936. (X, 71 S.) gr. 8°. = Beiträge
zur Wissenschaft vom Alten u. Neuen Testament. Vierte Folge.
H. 17. RM 4.50.

Die vorliegende Studie untersucht den 'amm ha'arez
im Alten Testament. Nach einer kurzen Einleitung wird
in einem ersten Teil der judäische 'amm ha'arez der
vorexilischen Zeit, in einem zweiten Teil der Gebrauch
des Begriffes 'amm ha'arez in nachexilischer Zeit geschildert
. Der erste Teil setzt mit einer Darbietung
der in Betracht kommenden Stellen der alttestament-
lichen Überlieferung ein, fügt daran eine Analyse des
Begriffs 'amm ha'arez und bietet dann eine Geschichte
des judäischen 'amm ha'arez in drei Abschnitten, die der
Zeit Davids und Salomos, der Periode von Athalja
bis Ahas und schließlich der Zeit von Amon bis zum
Exil gewidmet sind. Ein kleiner Anhang gilt den Vorkommen
bei Ezechiel und in Lev. 4,27. Der zweite
Teil umfaßt nur zwei Kapitel, von dem das erste dem
Begriff und seiner Bedeutung in der nachexilischen Literatur
, das zweite dem Verhältnis von 'amm ha'arez
und gola in der Zeit nach der Rückkehr aus dem Exil
bis zu Nehemia gewidmet ist.

Die Arbeit ist erfreulich klar und übersichtlich,
'amm ha'arez wird richtig mit Eva Gillischewski (ZAW
40 (1922) S. 137—142) und dem Rezensenten (Festschrift
O. Procksch (1934) S. 146) als die Gesamtheit
der Vollbürger eines Territoriums definiert. Einwandfrei
ist auch das im ersten Teil gegebene Bild der geschichtlichen
Entwicklung des 'amm ha'arez. Richtig wird
auch rrrirp 09 mit dem judäischen 'amm ha'arez identifiziert
. Dagegen dürfte die Gleichsetzung der -b»n
rrniT mit 'amm ha'arez, die nicht genügend begründet
wird, etwas vorschnell erfolgt sein. Zum mindesten
hätte W. fragen müssen, aus welchem Kreis die d^dn
stammen, und hätte sehen müssen, daß hierunter ursprünglich
die Männer eines kanaanäischen Stadtstaates
verstanden wurden, sodaß eine Übertragung des
Ausdrucks auf Juda und Israel eine Übernahme kanaanäi-
scher Gesellschaftstheorien bedeutet. Der os ist ein
Kollektivum, die crasN sind eine Summe von Einzelnen.
Wenn aber schon der Rahmen über die Vorkommen des
'amm ha'arez hinaus weitergezogen wurde, dann hätte
man schließlich auch ein Eingehen auf die Frage erwarten
dürfen, wie sich der rmrr titk (etwa II. Sam.
19,42; Jes. 5,7 u. ö.) zum judäischen 'amm ha'arez
verhält, ja ob nicht auch bloßes nvn oder rmrr-'ba
denselben Kreis umschreiben könnte. Dann hätte auch
Israel in den Kreis der Untersuchungen einbegriffen
werden können.

Für den nachexilischen Teil aber hätte noch schärfer
herausgehoben werden dürfen, daß ein jüdischer
'amm ha'arez ein Widerspruch in sich selbst ist. Denn
wenn die von W. gegebene Definition des 'amm ha'arez
richtig ist — und sie ist es offensichtlich — dann
ist es gewiß, daß die jüdische Gemeinde, die nicht im
Besitz der vollen politischen Rechte, vor allem nicht
des Wehrrechtes war, also durchaus nicht in einem
Territorium Souveränität ausüben konnte, gar keinen
'amm ha'arez bilden konnte, daß vielmehr nun das
fremde Herrenvolk und die von diesem mit politischen
i Rechten ausgestatteten Samaritaner, Ammoniter, Moa-
I biter usw. ms-isn ^rv besaßen, von denen die jü-
i dische Gemeinde politisch abhängig war. Von hier aus
| hätten sich die nachexilischen Vorkommen bequemer
einordnen lassen. Aber diese Bemerkungen sollen nur
zeigen, wie anregend W's Untersuchung des judäischen
'amm ha'arez ist. Wer sich mit verfassungsrechtlichen
Fragen im alten Israel und Juda befaßt, wird sich mit
ihm auseinandersetzen müssen.
Berlin. Leonhard Rost.

Mittring, Lic. Karl: Das Christusgeheimnis. Eine Einführung
in den Epheserbrief. Berlin: Furche-Verlag 1936. (120 S.) gr. 8°. =
Die urchristl. Botschaft. X. Abt. RM 3 - ; geb. 3.80.

In weiten Kreisen besteht der Wunsch, auf die Botschaft
des Epheserbriefes zu hören, es ist darum eine
lohnende Aufgabe für die Exegese, die uns zunächst
fremde und rätselhafte Gedankenwelt dieses Schriftzeugnisses
zu erschließen. Hier liegt aber noch manches
Stück Land brach und unbebaut. Haben wir die religionsgeschichtliche
Fragestellung ganz überschaut? Die sonst
so gute Untersuchung von H. Schlier „Christus und
die Kirche im Epheserbrief" 1930 weist ausschließlich
und darum auch einseitig in einen ganz bestimmten Zusammenhang
. Uns fehlt auch ein guter theologischer
Kommentar, der die Problemstellungen kennt und aufweist
, der in die literarischen und theologischen Zu-

j sammenhänge einführt und der zuletzt etwas von der
Kirche weiß und aus dem Leben der Kirche heraus
geboren wird. Man kann eben keinen unkirchlichen Kommentar
zum Epheserbrief schreiben. Man kann auch
nur dann mit kurzen „Einführungen" an die kirchliche
Öffentlichkeit treten, wenn eine schwierige und entsagungsvolle
Kommentararbeit vorausgesetzt ist. Leider

i scheinen die gründlichen und gediegenen Arbeiten von
Harleß (1834) und Hof mann (1870) heute nicht
genügend bewertet und ausgenutzt zu werden; im „NT.
Deutsch" 8, 1933, S. 44 werden sie in der Literaturangabe
nicht einmal genannt. Das, was bei diesen alten
Erklärern besonders auffällt, ist das Ringen um das
Eigentümliche und Besondere des Ausdrucks, das Gebundensein
an eine theologische Sachlichkeit, die das
Ganze und die einzelnen Teile zusammenhält, und nicht
zuletzt das gewissenhafte Abwägen der verschiedensten
Möglichkeiten. Leider ist dies Erbe nicht immer und
überall bewahrt geblieben, und gerade im Epheserbrief
ist die Versuchung besonders stark, allzurasch in das allgemeine
Fahrwasser der Auslegung und Dogmatik abzudrehen
. Darum wird gerade auch in der Verkündigung
der Kirche der Epheserbrief eigentlich recht stiefmütterlich
behandelt — was er nicht verdient. Die vorliegende
Arbeit von K. Mittring hat demgegenüber manche
Vorzüge: sie ist klar in der Sache und nüchtern in der
Sprache, sie weiß aber auch etwas von der stilistischen
und formgeschichtlichen Eigenart des Briefes. Die Übersetzung
, die den einzelnen Abschnitten vorangestellt ist,
löst die langen griechischen Perioden auf und bedient
sich eines guten deutschen Satzbaus; dabei verliert die
Sprache doch nicht eine gewisse Gewähltheit des Ausdruckes
. Freilich ist auch hier in der Erklärung das
Eigenwillige und Besondere des Textes allzuoft vereinfacht
und abgeschleift, aber falsche Modernisierungen
und Erbaulichkeiten werden durchweg vermieden. Grundsätzliche
Bedenken, die man z. B. gegen Rendtorffs
Auslegung des Epheser- und Kolosserbriefes im „NT.