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Ausgabe:

1937 Nr. 6

Spalte:

110-112

Autor/Hrsg.:

Hersey, Rexford B.

Titel/Untertitel:

Seele und Gefühl des Arbeiters 1937

Rezensent:

Vorwahl, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 6.

110

bestätigt und verstärkt den Eindruck des früheren zweiten
Bandes daß hier ursprüngliches Leben zum Pulsen
gebracht wird. Spinoza erscheint nicht als abstrakter
Theoretiker, der ein System abwickelt, sondern als geistig
lebendiger Mensch im Ringen mit letzten Lebensfragen
, die auch uns auf der Seele brennen. So hat eine
Beschäftigung, zumal eine Auseinandersetzung mit diesem
Buch nicht nur gelehrten, sondern auch unmittelbaren
Lebenswert. Dem Gelehrten hat es ein fast unerschöpfliches
Quellenmaterial aufgedeckt, dem Philosophen
kann es zur Existenzerhellung helfen.

Berlin. Kurt Kessel er.

Hartmann, Nicolai: Zur Grundlegung der Ontotogie. Berlin:
W. de Qruyter & Co. J935. (XVI, 322 S.) gr. 8°. RM 8 - ; geb. 9-.

Hartmann will im Anschluß an Aristoteles die Ontotogie
als die Wissenschaft vom Seienden als solchem
erweisen. In dieser Grundlegung geht es ihm vor allem
um die Rückwendung des ontologischen Denkens zum
natürlichen Realismus und zu dem Ansichsein des Seienden
. Er hat vier Einzeluntersuchungen zusammengefaßt.
In einer Einleitung weist er zunächst die Notwendigkeit
der Ontologie nach. In allen Einzelwissenschaften findet
sich ein metaphysischer Einschlag, der, weil er das
Seiende betrifft, selber ontologischer Art ist. Es ist die
Aufgabe der Ontologie, dieses Unbekannte zu erforschen
, soweit es am Bekannten sichtbar ist.

Im ersten Teil „Vom Seienden als Seienden überhaupt
" hält Verf. den traditionellen Bestimmungen des
Seienden vor, daß sie zwar einzelne Seinskategorien
hervorgehoben haben, aber nicht die Einheit des Seins
zu erfassen vermochten.

Der zweite Teil behandelt das Verhältnis der beiden
Seinsmomente Dasein und Sosein (existentia und essen-
tia) und das der beiden Seinsweisen Realität und Idealität
. Er sucht die gegensätzliche Ausschließlichkeit in
diesen Verhältnissen zugunsten einer wechselseitigen Be-
zogenheit zu überwinden. Er bezeichnet es als das onto-
logische Grundschema im Weltaufbau, daß sich die beiden
Seinsmomente konjunktiv, die beiden Seinsweisen
aber disjunktiv zueinander verhalten. Das Seiende als
solches ist die Überschneidung der beiden Gegensatzpaare
.

Der dritte und vierte Teil untersucht die Gegebenheit
des realen und des idealen Seins. Über ihren Seinscharakter
und über ihr Verhältnis zueinander sollen noch
zwei besondere Arbeiten vorgelegt werden. Das Ansiehsein
des realen Seins weist er mit Hilfe der transzendenten
Akte nach. In den Akten des Erkennens, des
Emotionalen und der größeren Lebenszusammenhänge
findet sich die Erfahrung des Ansichseins des Seienden:
der Erkenntnisgegenstand geht nicht im Erkennen auf
Und wird durch dieses auch nicht verändert; im Emotionalen
findet sich ein Widerstandserlebnis und vor
allem ein Rückbetroffensein, durch das besonders im
Umgang mit anderen deren Ansichsein sich nachweisen
«ßt; und diese Akte stehen selber in größeren Lebenszusammenhängen
, die ebenfalls das Ansichsein des Seienden
antreffen.

Das ideale Sein wird in der apriorischen Erkenntnis
^rfaßt. Auch dieses hat ein selbständiges Ansichsein.
jJie mathematische Gesetzlichkeit trifft auf die reale
weit zu, noch bevor sie in der Mathematik erkannt
'st. Sie ist deshalb genau so real wie die Welt. Die
Selbständigkeit des idealen Seins ergibt sich daraus, daß
es für die Totalität der Fälle gilt, in seiner Notwendigkeit
und Allgemeinheit unabhängig von ihnen ist und
'nhaltlich über die Realisation hinausgeht. Auf vier
Arten des idealen Seins geht Hartmann näher ein: auf
^'e mathematischen Gesetze, die Wesenheiten der Wesensschau
, die logischen Gesetze, die er als Seinsgesetze
'egreift, und auf die Werte. Abschließend wendet er
j'cl1 gegen eine Höherbewertung des Idealismus. Das
aeale Sein ist nur allgemein. „Die Realität schon rein
•"S solche ist die höhere Seinsweise ... die wahren

Werte des Menschen liegen immer im Vergänglichen"
(S. 317).

Die Zurücklenkung auf den Realismus ist recht
! bedeutsam. Doch ist gegenüber der Grundthese von
i dem Ansichsein des Seienden ein dreifaches Bedenken
I auszusprechen. Zunächst besteht eine unüberwindliche
! Schwierigkeit, dieses Seiende zu erkennen. Die einseitige
Lösung des Problems von Idealismus und Realismus
innerhalb der Ontologie führt zu einer erkenntnistheoretischen
Übergangsschwierigkeit. Das zweite
Bedenken richtet sich gegen die behauptete Irrationalität
eines Teils des Transobjektiven. Es ist
i das für uns Unerkennbare. Verf. zählt dazu Problem-
i gruppen, die unserer menschlichen Erkenntnis unzu-
! gänglich sind, wie z. B. die Rätsel des Lebendigen,
| die Freiheit, die erste Ursache (S. 173) und verschie-
i dene Seinskategorien: die Unendlichkeit, das Kontinuum,
j die Individualität und die konkreten Totalitäten. Das
Irrationale wind also von ihm zweifach bestimmt: es
ist das für uns grundsätzlich Unerkennbare innerhalb
des Transobjektiven und es ist das Unerkennbare imner-
! halb des Erkennbaren. Nach beiden Seiten hin läßt sich
aber eine Irrationalität nicht behaupten, und zwar aus
einem doppelten Grunde. Zunächst ist es ein logischer
Widerspruch, über ein Unerkennbares überhaupt eine
Aussage zu machen. Sodann braucht das Unerklärbare
durchaus noch nicht unerkennbar zu sein; denn die
erwähnten Seinskategorien und logischen Gesetze sind
für die Erfahrung schlechthin begründend und deshalb
auch in ihr erkennbar. Das dritte Bedenken richtet sich
gegen die Wahrheitsbestimmung. Die Wahrheit
ist bei ihm das Zutreffen der Aussagen auf etwas, „was
i unabhängig von ihr so ist, wie es ist" (S. 248; 6, 86,
i 232, 298 u. ö.). Eine Wahrheitsaussage bedeutet bei
| Hartmann soviel wie eine Wirklichkeitsaussage. Wirk-
j lieh ist aber oft doch auch Unwahres und Wertwidriges.
' Wir vermissen deshalb eine übergreifende Norm für die
Wahrheitsbeurteilung.

Irn Rückblick auf das Ganze müssen wir noch auf
eine entscheidende Tatsache hinweisen. An keiner Stelle
! dieser ontologischen Grundlegung findet sich eine Be-
i rücksichtigung des religiösen Phänomens. In einer eiu-
! gehenden Auseinandersetzung mit Hartmann sind wir
besonders dieser Tatsache nachgegangen und haben die
philosophische Bedeutsamkeit des evangelischen Glau-
i bens für die Ontologie aufgewiesen („Glaube und Sein",
Zeitschrift für Theologie und Kirche 1937, Heft 1).
Jena-__II. E. Eisenhuth.

Hersey, Prof. Dr. Rexford: Seele und Gefühl des Arbeiters.

Psychologie der Menschenführung. Mit einem Geleitwort von Reichs-
j Organisationsleiter Dr. R. Ley. Leipzig: Konkordia-Verlag 1935.
(XI, 171 S. m. 17 Kartentafeln) gr 8°. Geb. 6—.

j Durch die sozialpsychologischen Untersuchungen des
Verfassers an amerikanischen und deutschen Eisenbahnarbeitern
sollen die Faktoren festgestellt werden, die
den Menschen glücklich und unglücklich machen, zugleich
aber auch Klarheit darüber gewonnen werden,

[ unter welchen Bedingungen der Mensch am leistungsfähigsten
ist. Denn das Arbeitsergebnis ist Schwankungen
unterworfen, die durch den Ablauf des Gefühlslebens
bedingt sind und eine Spannung von 5,8 bis

! 8,5o/0 zwischen den Leistungen unter positiven oder

i negativen Gefühlszuständen bewirken. Es zeigt sich nach

1 H., daß die Sorgen und Nöte der Arbeiter und ihre seelischen
Reaktionen im beruflichen wie außerberuflichen
Leben grundsätzlich überall gleich sind und nur in

i gewissen Punkten dem Grade nach Abweichungen bestehen
. So ist die Masse an der Politik im allgemeinen

j nur insoweit interessiert, wie ihre Verdauungsorgane
davon betroffen werden (85), doch waren die Gedanken
der deutschen Arbeiter durchweg stärker auf politische
Dinge gerichtet als die der amerikanischen, oder hatte
bei den Münchener Arbeitern das finanzielle Problem
weit geringere Bedeutung als bei den Berlinern. Die
überwiegenden „Knsen"-quellen waren die Arbeit selbst