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Ausgabe:

1937 Nr. 6

Spalte:

106-107

Autor/Hrsg.:

Lilje, Hanns

Titel/Untertitel:

Luthers Geschichtsanschauung 1937

Rezensent:

Nöldeke, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 6.

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wie die beiden vorhergehenden Bände (seit 1933 im
Erscheinen begriffen) von dem gelehrten Zisterzienser
Dom Canivez herausgegeben worden ist. Dem gleichen
Verfasser verdanken wir bereits eine 1926 erschienene
Geschichte des Ordens in Belgien.

Wahrend noch der zweite Band der Beschlüsse der
<j. K. mit den Jahren 1221 — 1261 einen Zeitraum von
nur 40 Jahren umfaßte, bringt der neue Band die Beschlüsse
der Jahre von 1262 bis 1400, von fast anderthalb
Jahrhundert also. Er umfaßt dabei einen Zeitraum,
der nicht arm ist an bedeutenden Ereignissen der Geschichte
, die zugleich auch für den Orden wichtig waren.
Zu erinnern ist nur an den letzten Kreuzzug 1270,
an das zweite Lyoner Konzil 1274, an das Konzil zu
Vienne 1311/12, an die Kämpfe zwischen Bonifaz VIII.
und Philipp dem Schönen, an den Hundertjährigen Krieg
in Frankreich mit seinen großen Klosterzerstörungen
(s. G. K. von 1392) und an andere Ereignisse, die in
den Beschlüssen der G. K. dieses Zeitraumes einen reichen
Niederschlag gefunden haben, die den Hintergrund
der Geschichte des Ordens abgeben. Zu erinnern ist
weiter an die bedeutenden Ereignisse aus der Geschichte
des Ordens selbst, die in den Beschlüssen der G. K.
sich widerspiegeln. Gleich in den Beginn des von dem
neuen Band umschlossenen Zeitraumes fallen die großen
Streitigkeiten innerhalb des Ordens. Eine Spaltung war
eingetreten infolge der Übergriffe des Generalabtes Jakob
II. von Citeaux, die sich aus der strittigen Auslegung
von Bestimmungen der Carta caritatis ergaben
und die schließlich beendigt wurden durch die wichtige
Bulle „Parvus fons", darin Clemens IV. eine
autoritative Auslegung dieser Bestimmungen gab (G. K.
1265). Noch bis zu Ausgang des 13. Jahrhunderts
erfreute sich der Orden eines außerordentlichen Ansehens
. In mehreren z. T. erst neu gegründeten Ordensstudien
(z. B. Oxford G. K. 1280 § 26, Toulouse
G. K. 1281 § 40) wurden die Wissenschaften gepflegt
, in zahlreichen Konventen waren ansehnliche Bibliotheken
angelegt. Von dieser stolzen Höhe aber beginnt
langsam ein unaufhaltsames Abgleiten. Die Bulle
Benedikts XII. „Fulgens sicut Stella" (G. K. 1335),
der selbst ein Zisterzienser war, ist ein letzter starker
Versuch, den Verfall aufzuhalten. Die weitere Entwicklung
führt zu zunehmenden Verfallserscheinungen, die
Beschlüsse der G. K. verraten die Ohnmacht dieser
Institution gegen unbotmäßige Klöster, sie verraten aber
auch die Ohnmacht des einzelnen Klosters bzw. des
Ordens gegenüber zahlreichen Eingriffen weltlicher Herren
in den reichen Klosterbesitz. Das Studiuni der Beschlüsse
von etwa 1300 ab ergibt z. T. furchtbare Verhältnisse
(G. K. von 1305/06 Maßnahmen zum Schutz
der Äbte bzw. Äbtissinnen gegen Verleumdungen durch
Klosterangehörige. G. K. von 1310 gegen den Waffenbesitz
der Mönche. G. K. von 1315 moniert tätliche
Beleidigungen des Abtes durch Mönche desgl. böswil-
üges Verlassen des Klosters und Herumstreifen. G. K.
Von 1317 Verbot des Waffenbesitzes auf dem G. K.
Q- K. von 1318 Verbot der Veräußerung von Immobilien
usw.)

Nur langsam setzt die Besserung ein, der neue große
Aufschwung, den im 15. Jahrhundert fast alle Orden
nehmen, der bei den Benediktinern z. B. durch
Namen wie S. Justina, Bursfelde, Kastl gekennzeichnet
Wird. Für die Zisterzienser — in dieser Hinsicht ist
der neue Band der Beschlüsse der G. K. besonders wichtig
und aufschlußreich — läßt sich schon Ausgang der
«Oer Jahre des 14. Jahrhunderts der Anfang einer Besserung
der Verhältnisse erkennen, schon äußerlich an
deni größer werdenden Umfang der Beschlüsse, die inhaltlich
deutlich auf eine strenge Observanz, auf eine
Wiederherstellung der alten strengen Bestimmungen der
Kegel, Abschaffung des Fleischgenusses vor allem, hinseien
. Diesbezügliche ältere Diffinitionen werden erneuert
und ins Gedächtnis zurückgerufen (G. K. von
j87 und ff. Maßnahmen zur Wiederbelebung des Pa-

| riser Studiums, das fast leer ist. G. K. von 1390 Bestimmungen
über den Besuch der G. K., über Ablieferung
der Matrikularbeiträge, über Visitationen u. a.).
Der als gründlicher Forscher vor allem über die
j Zisterzienser Deutschlands bekannte Franz Winter hatte
bereits den Quellenwert der Beschlüsse der G. K. erkannt
. „Aus dem, was uns bruchstückweise für einzelne
deutsche Landschaften vorliegt, können wir schließen,
welche wichtige Fundgrube für die deutsche Spezialge-
j schichte sich öffnen würde, wenn uns die Capitelsbe-
schlüsse in ihrer Vollständigkeit erhalten wären" (Win-
I ter, Cistercienser III S. 201). Die Richtigkeit seiner
i Vermutung wird auch durch den vorliegenden Band
erwiesen, wenngleich gerade für diesen großen Zeitraum
, namentlich für das vierte bis achte Jahrzehnt des
j 14. Jahrhunderts mancherlei Einschränkungen zu machen
! sind. Es gibt, schon seit dem Erscheinen des ersten
! Bandes der Beschlüsse der G. K. ist dies bekannt,
I kein autoritatives Exemplar der sämtlichen Be-
j Schlüsse der G. K., wie noch F. Winter ge-
; hofft hatte. Den verschiedenen kleineren Saturn-
I lungen, die für den vorliegenden Band benutzt worden
sind, haftet daher eine gewisse Zufallsbedeutung an.
Für viele Jahre liegen überhaupt keine Beschlüsse vor,
entweder haben jeweils G. K. nicht stattgefunden (entgegen
der Vorschrift), oder die Beschlüsse sind nicht
überliefert (1351, 1353, 1354, 1359, 1364, 1376, 1378
j bis 1388). Von zahlreichen weiteren Jahren liegen nur
sehr wenige und inhaltlich oft unbedeutende Beschlüsse
j vor. Für die Spezialgeschichte einzelner, vor allem deut-
| scher Klöster ist das Studium dieser Beschlüsse des 14.

Jahrhunderts nicht so ergebnisreich, wie es wohl F.
I Winter noch geglaubt hatte. Eine Erklärung dafür liegt
! ja auch sehr nahe: die G. K. sind mehr und mehr Ver-
! Sammlungen der Vertreter französischer Klöster gewor-
j den. In dieser Hinsicht darf man dem folgenden vier-
i ten Band mit besonderen Erwartungen entgegensehen,
der die große Epoche der Reformversuche behandeln
wird.

Solange der Registerband noch aussteht, der das
: ganze Werk erschließen soll, sind einstweilen die einzelnen
Bände noch mit großen Schwierigkeiten zu benutzen
. Erst dann aber wird sich auch der große
Wert richtig abschätzen lassen, der diesem Quellenwerk
innewohnt. Es ist jetzt natürlich dem einzelnen
Benutzer nicht möglich, für eine einzelne Frage, einen
ganzen Band durchzulesen, wie es als Rezensent meine
Pflicht war. Diese Lektüre war jedenfalls eine leichtere
Aufgabe als die, welche dem gelehrten Herausgeber
! obgelegen hat, dem Leser den Text in brauchbarer Gestalt
vorzulegen. Nur wenige stehen gebliebene Druck-
t fehler sind mir bei der Lektüre aufgefallen, die ich hier
I anderen Lesern zu Nutz notiere, nicht etwa um den verdienstvollen
Herausgeber zu monieren: S. 504 Z. 3
v. u. iniungit für iuiungit, S. 565 Z. 8 v. o. conventus für
contus. S. 598 Z. 3 v. u. utilitati für uilitati'. S. XI
Z. 4 v. u. Pag. 200—354 für 100—354. Auf S. 348
Anm. f. fehlt die entsprechende Angabe im Text. Eine
sehr wertvolle Zugabe zum Text sind mehrere Tafeln
mit Faksimiles von benutzten Handschriften, unter anderem
auch von dem Fraginentum Succurmontense, das
die Beschlüsse des G. K. von 1320 enthält. In diesem
j Falle läßt ein Vergleich erkennen, daß in den Lesarten
nicht etwa alle Abweichungen mit aufgeführt
| sind, die die einzelnen Handschriften aufweisen.

Wolfenbiittel H. Herbst.

Lilje, Hanns: Luthers Geschichtsanschauung. Berlin- Furche
Verlag 1932. (160 S.) gr. 8°. = Furche-Studien. In Verbindg. m a
hrsg. v. H. Lilje. 2. Veröffentlichung. rm 5 80 . geb 6 80'

Der Verfasser ist bemüht, das Verhältnis der Geschichte
zur Offenbarung im Anschluß und in der Ausdeutung
von Luthers Geschichtsanschauung erneut klarzustellen
. In 6 übersichtlichen Kapiteln, die tatsächlich
die Hauptgedanken Luthers von „Gottes Alleinwirksam-