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Ausgabe:

1937 Nr. 5

Spalte:

93-94

Autor/Hrsg.:

Hirsch, Emanuel

Titel/Untertitel:

Die gegenwärtige geistige Lage im Spiegel philosophischer und theologischer Besinnung 1937

Rezensent:

Nöldeke, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 5.

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daß die philosophisch-idealistische und die theologische
Anthropologie nicht restlos zur Einheit zusammengehen
wollen. Einerseits wird die völlige Unfähigkeit des
Menschen zum Outen behauptet und daraus die Notwendigkeit
der übernatürlichen Erlösung begründet (OlL
*§ 91 3§ 70). Andrerseits soll der göttliche Geist
als die höchste Steigerung der menschlichen Vernunft
gedacht werden (Gl L 2§ 13,2). Zwischen Schöpfung
und Erlösung soll nicht bloß ein theologischer Zusammenhang
gesetzt sein, sondern der Schöpfung soll sogar
die Erlösungskraft, die in Christus erschienen ist, in
geheimnisvoller Weise so eingestiftet sein, daß sie nach
unbekannten Gesetzen zu seiner Zeit Christus hervorbringen
mußte, obwohl die Person Jesu nicht aus seiner
Zeit heraus zu erklären sei. (Gl L 2§ 13,1).

Ich möchte aber nicht mit Schultz (S. 150f.) behaupten, daß bei
Sehl, die Abhängigkeit von Gott „sich selbst aufhebt und zu einem Gefühl
der Identität wird." Denn die Behauptung, daß Gott gegenwärtig
ist im frommen Bewußtsein, besagt nur, daß Gott als der unser Dasein
tragende und durchwaltende Grund bewußt wird. Hierbei bleibt die Abhängigkeit
bestehen. Ebenso steht es mit der Behauptung, daß das Abhängigkeitsgefühl
dann am vollkommensten ist, wenn wir uns mit der
ganzen Welt „identifizieren" und „alles als Eines" fassen. Diese Identifikation
mit der Welt bedeutet doch nur, daß wir uns zusammen mit
der ganzen Welt von Gott abhängig wissen.

Doch ich will abbrechen. Die gegebenen Proben
genügen, um zu zeigen, daß Schultz in tiefgrabender und
förderlicher Weise die Anthropologie Sehls behandelt
bat. Das Ringen Sohl.s, Idealismus und Christentum
zu vereinigen, wird in seiner ganzen Schwere deutlich.
Basel. Johannes Wen dl and.

Heussi, Karl: Die Krisis des Historismus. Tübingen: J. C. B.

Mohr 1932. (VII, 104 S.) gr. 8°. RM 4.20.

Hat es Sinn noch nach Jahren, auf diese aus einem
Vortrag entstandene Schrift des bekannten Kirchenge-
schichtlers hinzuweisen? Zumal sich unser geschichtliches
Denken seitdem gründlich gewandelt und vertieft
hat! So zu fragen, erscheint berechtigt. Wem es
aber nicht nur um eine Begriffsklärung, sondern um Aufschluß
über eine entscheidende Neuorientierung geschichtlichen
Denkens seit der Jahrhundertwende zu
tun ist, findet beides hier, wenn auch oft nur in kurzen
Zusammenfassungen, auf engstem Räume dargestellt.
Ausgehend von dem für viele Theologen wie Philosophen
zum Schlagwort gewordenen Begriff des Historismus
schildert Heußi zunächst die Krisis desselben
in historischer Sicht, um schon 1929, aus dem der
„Grundstock der Ausführungen stammt" (S. 37), zu der
Erkenntnis zu führen: Man wird der Krisenstimmung
überdrüssig und ein Neues bahnt sich an. (S. 38). —
Dafür sind der Abschnitt „vom Aufbau der Geschichte
im Denken", sowie die anderen über die historischen Relationen
, geschichtliche Entwicklung, Immanenz und
Transzendenz besonders aufschlußreich. Ohne daß den
derzeitigen Ergebnissen bis ins Einzelne zugestimmt werden
kann, ist festzustellen, daß es Heußi gelungen ist,
Klarheit in die verschiedenen Begriffszusammenhänge
und ihre Folgen für den „Historismus" zu bringen.

Klein Freden, Hannover. Martin Nöldeke.

Hirsch, Einanuel: Die gegenwärtige geistige Lage im Spiegel
philosophischer und theologischer Besinnung. Akademische Vorlesungen
z. Verständnis d. deutschen Jahrs 1933. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1934. (165 S.) gr. 8°. RM 4.80; geb. 6—.
„Über Geschichte kann niemand urteilen, als wer
an sich selbst Geschichte erlebt hat" — dieses dem Geleitwort
vorangestellte Goethewort (S. 3) ist der beste
Schlüssel zum Verständnis der vorliegenden „Akademischen
Vorlesungen zum Verständnis des deutschen Jahrs
1933" auch heute noch, allen theologischen und re-
J'gionsphilosophischen, aburteilenden Einwendungen der
letzten Jahre zum Trotz. Darum kann sowohl über die
Philosophische wie theologische Besinnung von Professor
Hirsch nur der zu einer richtigen Beurteilung

kommen, der um ihre Voraussetzungen Bescheid weiß,
der aber zugleich auch die Erschütterungen volklichen
und staatlichen Lebens (S. 17 ff.), den neuen deutschen
Willen und seinen Ursprung (S. 26 ff.) so oder
ähnlich selbst geschichtlich miterlebt hat, der die theologische
Arbeit in Vor- und Nachkriegszeit (S. 78 ff.;
5. 102 ff.) in ihren Grundanliegen genau kennt und
durchschaut, dem aber vor allem „das Geheimnis des
Evangeliums und das geschichtliche deutsche Volkstum
" (S. 69 ff.) in ihren Beziehungen zu einander
mehr sind als interessante Größen, Begriffe, ja
„Probleme"! Hier hat Professor Hirsch nicht nur
die entscheidenden Gegensätze und Zusammenhänge
deutlich herausgearbeitet, sondern richtungweisend auch
die Beziehungen zwischen Philosophie und Theologie sowie
philosophischer und theologischer Besinnung ganz
besonders klar dargestellt.

Sollte diese Arbeit eine Neuauflage oder Weiterführung
ihrer Gedanken in neuer Form erfahren, so wäre
nur zu wünschen, daß ihre Sprache, wie verschiedene
spätere Arbeiten des Verfassers, weniger gedanklich abstrakt
, auch mehr an Gefühl und Willen sich wende.
Klein Freden, Hannover. Martin Nöldeke.

Schlink, Dozent Lic. Dr. Edmund: Der Mensch in der Verkündigung
der Kirche. Eine dogmatische Untersuchung. München
: Chr. Kaiser 1936. (XII, 331 S.) 8°. RM 6.30; geb. 7.50

Das Buch ist aus der heutigen Lage der Kirche
herausgewachsen, in der die Frage, was der Mensch in
der Theologie zu bedeuten habe, reichlich unklar geworden
ist. Es will eine Antwort auf diese Frage geben.
Als Norm der Beurteilung steht für alle Fragen die
Heilige Schrift fest.

Der 1. Teil überschreibt sich: Das Problem des
Menschen. Er will zeigen, daß menschliche Denkformen
in der Berührung mit der Offenbarung von dieser
gefangen genommen werden (S. 49). Der Aufweis wird
geführt an den Schriften des Paulus und Johannes, sowie
dem Jakobusbrief. Die Aufstellungen erscheinen sehr
interessant, doch fragt man sich, wie die aufgestellten
Unterarten der Denkformen so schön auf Paulus und
Johannes aufgeteilt werden können. Ebenso fragt man
sich, ob die nicht besprochenen Schriften des Neuen Testamentes
sich auch so leicht zu den Denkformen in
Beziehung setzen lassen.

Die Gefangennahme des Denkens durch die Offen*
barung erhält eine allgemeine Unterbauung im 2. Teil,
der eine Lehre vom Menschen enthält. In übersichtlicher
Form werden knapp gefaßte Gedanken zu diesem Thema
erläutert: Der ganze Mensch ist Geschöpf Gottes und
völlig verderbt zugleich. Der Mensch kann Gott nicht
erkennen und ihm nicht gehorchen. Er hat wohl natürliche
Gotteserkenntnis. Er hat auch natürliche Erkenntnis
des Willens Gottes, aber er erkennt sich ohne Gottes
Offenbarung im Wort weder als Geschöpf, noch als
Sünder. Er ist tot und lebendig zugleich. Die volle Lebendigkeit
wird wiedergegeben in der Auferstehung.
Dem Verfasser ist es nur möglich den Menschen in seiner
Verderbtheit zu schildern, es ist ihm unmöglich, ihn in
der Wiedergeburt zu beschreiben. Eigenschaften des
glaubenden Menschen können nur Tod und Verderbtheit
sein. Sie können geschildert werden, dagegen niemals
Rechtfertigung und Freiheit, die Gottes Wirklichkeit sind
(S. 204/05). Es kann nur eine Lehre von Jesus Christus
, dem Menschen ohne Sünde, geben. Wir können nicht
anders als hierzu unsern energischen Widerspruch anmelden
. Schlink will nur auf die Schrift bauen, setzt
sie aber hier außer Kraft. Der 2. Korintherbrief bes.
in seinem 3.-6. Kapitel, ist ein klarer Hinweis darauf
daß der neue Mensch Aussagen von sich machen kann!
Er spricht nicht von Eigenschaften, sondern von Gnadengaben
Gottes. Es bleibt schlechterdings unerfindlich,

j wie auf solche Weise den Hörern die Botschaft Gottes

i lieb werden kann.