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Ausgabe:

1937 Nr. 4

Spalte:

78

Autor/Hrsg.:

Ruland, Ludwig

Titel/Untertitel:

Von den Pflichten gegen den Nächsten 1937

Rezensent:

Knabe, E.

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77

Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 4.

78

hinzu, was oben über das Verhältnis von allgemeiner und
Schriftoffenbarung mitgeteilt wurde, so werden wir sagen
können, daß diese mehr nur als eine Ergänzung
und Bekräftigung jener erscheint. H. Engelland hat
wohl dasselbe mit anderen Worten ausdrücken wollen,
wenn er urteilt, daß bei C. „die innere Erleuchtung
durch den Heiligen Geist nur eine komparative Bedeutung
empfängt". Wenn der Verf. findet, „es sei
hiermit die Sache nur formal richtig umrissen, übersehen
aber, welch' ungeheure Umorientierung material gleichzeitig
vor sich geht", nämlich „daß der gewaltige Schöpfer
Gott als der Vater seiner Kinder in Christus deutlich
wird" (65 an. 91), so dürfte diese Beschränkung des
Komparativs auf das Formale nicht ganz zutreffen. Richtig
ist nur, daß neben der auch von mir herausgestrichenen
Gedankenreihe eine andere sich findet, welche
sich um die Verdorbenheit und Unfähigkeit des natürlichen
Menschen dreht. Aber selbst diese steht unter
dem immer wiederkehrenden Motto: lux adhuc in te-
nebris Iucet. Jene andere, und damit die Anerkennung
und der Ausbau der n. Th, hat sich bei C. immermehr
herausgearbeitet. Der Verf. hat selbst in einem besonderen
Abschnitte auf Anzeichen für „die Entwicklung
Calvins von einer fast ablehnenden Zurückhaltung gegenüber
einer natürlichen Theologie zu einer vollen Bejahung
hingewiesen" (77ff.).

Mir scheint, daß für dieses weitgehende Entgegenkommen
ihr gegenüber neben den hervorgehobenen Motiven
noch eins maßgebend gewesen ist, nämlich C.'s
humanistische Bildung. Das ergibt sich auch aus den
Ausführungen des Verfassers S. 135 ff. und 307 ff. Ich
weise besonders dafür hin auf seine Wertschätzung der
Vernunft als eines Zeichens der Gottverbundenheit des
Menschen (135 f. 138 f.), auf das begeisterte Loblied der
Antike in der Institutio, ihrer Wissenschaft und Philosophie
, die C, wie alle Erkenntnis, auf Gottes Geist,
als den Quell aller 'Wahrheit, zurückführt (308t.), sowie
im Zusammenhange damit die Aneignung des alten
Xöyog ojieencmxög- Gedankens (310f.).

Nach alledem glaube- ich nicht zu weit zu gehen mit
der Behauptung, daß der Verf. durch seine gründliche
Arbeit das Problem der n. Th. bei C. erledigt hat.
Königsberg i. Pr. M. Schulze.

Lovejoy, Arthur O.: The Great Chain of Being. A Study of
the History of an Idea. Cambridge, Mass.: Harvard Univ. Press 1936.
(XI, 382 S.) 8°. $ 4—.

Das wertvolle Buch enthält eine Reihe von Vorlesungen
, die im Rahmen der William James-Vorlesungen
— zu Ehren des Gedächtnisses William James'
— an der Harvard-Universität im Semester 1932—33
gehalten wurden. Der Verfasser will keine Geschichte
der Ideen als Philosophie-Geschichte geben, sondern
den Gang letzter, zusammenfassender Ideen durch die
gesamte Geschichte des menschlichen Denkens von Plato
und Aristoteles bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
aufweisen. Eine interessante, aber auch schwierige Aufgabenstellung
, die bei uns etwa ihre Parallele hat in
Heinz Heimsoeths gehaltreichem Buch: Die sechs großen
Themen der abendländischen Metaphysik (1922). Aber
L. beschränkt sich mit Absicht nicht auf die Philosophie,
sondern zieht auch noch Literaturwissenschaft, Ästhetik
, Astronomie und Biologie in den Kreis seiner Betrachtung
, den inneren Zusammenhang aller Gebiete
des Geistes betonend. Und es sind nicht sechs Themen,
deren Entwicklungskurve er aufzeigt, sondern nur drei,
nämlich Fülle (plenitude), Zusammenhang (continuity)
und Steigerung (gradation). Dabei versteht er unter
Fülle die unendliche Zahl der Formen, die — einer
unausschöpfbaren Quelle entstammend — das Universum
konstituieren — jene unendlichen Möglichkeiten,
die, wie Aristoteles es dachte, immer auf dem Wege
sind, sich zu verwirklichen. Das zweite Motiv sagt dann
aus, daß es zwischen diesen Formen keine Sprünge gibt,

daß sie eine große, vielstimmige Harmonie, ein unendlich
; gegliedertes Kontinuum bilden, „a Great Chain of
' Being", einen großen, kettenartigen Zusammenhang des
' Seins, der — nach dem dritten Motiv — in stufen-
! mäßigem Anstieg aufgipfelt in einem höchsten, voll-
i kommenen Sein.

L. ist sich der Schwierigkeit seiner Aufgabe sehr
wohl bewußt. Er weiß, daß ihre letzte Erfüllung eine
i völlige Beherrschung der Gebiete des Geistes und ihrer
I Geschichte erfordern würde, in denen er den Gang der
genannten Weltanschauungsmotive aufzeigen will Er
I erkennt die Gefahr, daß eine solche Ideengeschichte
leicht ausarten kann in leere Verallgemeinerungen. Nicht
immer fügt sich in L.'s Untersuchung die harte Wirklichkeit
der Geschichte den Forderungen seiner Weltan-
schauungsmotive. So scheint mir der Nachweis der
Verbindung von Piatos Weltjenseitigkeit der Ideen mit
! dem Prinzip der Fülle nicht gelungen zu sein und die
Analyse des Prinzips bei Leibniz und Schelling sehr
ergänzungsbedürftig nach den neuesten Arbeiten über
diese Philosophen. Manches — wie eine stärkere Heranziehung
des Protestantismus oder zuletzt Goethes
und Hegels, woran ausgezeichnet das Prinzip der Fülle
hätte illustriert werden können — wird man vermissen.
Aber als Ganzes genommen ist die Untersuchung als
eine äußerst lehrreiche und tiefgründige Analyse des
abendländischen Geistes zu werten, eine schon im Hinblick
auf ihre Aufgabenstellung bedeutsame wissenschaftliche
Leistung. Von besonderem Interesse für uns ist
der schließliche Nachweis, wie die genannten, das europäische
Geistesleben tief bestimmenden Denkmotive zuletzt
in einen Rationalismus enden, der sich selbst aufhebt
. Die Welt ist eine kontingente Welt, und Gott ist
die letzte Irrationalität.

Kiel. Werner Schultz.

Ruland, Prof. Dr. Ludwig: Handbuch der praktischen Seelsorge
. IV. Bd.: Von den Pflichten gegen den Nächsten. München:
Max Hueber 193o. (XII, 392 S.) er. 8°. RM 11.85; geb. 14.10.

1. Liebe und Gerechtigkeit als Grundlagen gegenseitiger
Beziehungen, 2. Die Pflichten hinsichtlich der
geistigen Güter, 3. hinsichtlich der leiblichen Güter, 4.
Pflichten des gesellschaftlichen Lebens, 5. Das christliche
Staatsleben.

Schon in c. 2 kommt R. unter dem Stichwort Toleranz
auf das Staatsleben und sonderlich auf die Judenfrage
zu sprechen, dazu bei „Wahrhaftigkeit, Lüge,
Ehre und Treue". Aber überall ist die Sorge um das
Seelenheil des Nächsten das Bestimmende. Auch im
3. Cap. sieht er hinter dem Individuum den Staat und
seine Gewalt (Kriegsdienst, Todesstrafe, Sterilisation,
Euthanasie) desgleichen in Cap. 4 (Eheschließung und
Kindererziehung) so daß im 5. Cap. vorwiegend die
Rechtspflege und die heilsame Zusammenarbeit mit der
Kirche das Neue ist.

Er verurteilt den Zweikampf, leibschädigende Wetten
, Leichenverbrennung, Ehescheidung, Geburtenein-
schränkung, Forensische Milde gegen Delikte im Rausch
u. a. Er betont den Wert der Einzelpersönlichkeit für
den Staat. Man muß die Gründlichkeit der Sammlung
I antikatholischer Einwürfe gegen die dargebotene Pflich-
I tenlehre und die Aufgeschlossenheit für moderne Gedan-
| kengänge erkennen, die ihn nicht hindert, manche Pflich-
j ten mit Begründungen zu unterbauen, die wir Evangelischen
nicht noch zu den andern, genügsamen, hinzubringen
oder überhaupt nicht bringen würden. Z. B die
„Pflichten gegen den Leichnam", bei Sterbenachhilfe
| Todesstrafe (über Ketzer).

Sein Ideal vom Staat ist nicht das nationalsoziali-
| stische. In der Judenfrage meldet er seinen beschei-
; denen Protest an. Keinesfalls aber will der Verfasser
| die katholischen Theologen staatsfeindlich belehren.

Moritzburg. E. Knabe.