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Ausgabe:

1937 Nr. 4

Spalte:

70-72

Autor/Hrsg.:

Engelhardt, Kirchenrat Adolf

Titel/Untertitel:

Die Reformation in Nürnberg 1937

Rezensent:

Schornbaum, Karl

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 4.

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Psalmen und vieler schlichter religiöser Erzählungen —
man denke an Paradies und Sündenfall, an die Erziehung
der Gottesmänner zum Glauben, zur Demut,
zum Gehorsam — der christlichen Gemeinde und den
Kindern im Unterricht zu bieten hätten. Anderseits aber
ists doch auch wahr: wir schleppen doch vieles mit,
was als vor- und unterchristlich abzustoßen ist. Man
denke, um nur ein Beispiel für viele zu geben, an den
Anfang des Liedes: „Dir dir Jehova will ich singen".
Das ist echt jüdisch. Der Name „Jehova" ist ein
Unform statt des Namens Jahve. Aber auch diesen
kann die christliche Gemeinde nicht anbetend preisen,
sofern der Name ihn von anderen Göttern unterscheidet,
wie das die Fortsetzung des Verses: „Denn wo ist doch
ein solcher Gott wie du", ja tatsächlich ausspricht
u.a.m. — Es ist richtig und wichtig, daß Sellin scharf
unterscheiden lehrt zwischen der „nationalen Kultreligion
" des israelitischen Volkes und der sittlich-prophetischen
Religion und auch betont, daß die alte Welt
der Reihe der israelitischen Propheten nichts Gleichwertiges
an die Seite zu setzen hat. Der Verwirrung,
die infolge der schädlichen Inspirationstheorie, die immer
„Wort Gottes" und „heilige Schrift" gleich setzt,
hat man auch in Gemeinde und Schule deutlich und klar
entgegenzutreten und es ist zu bedauern, daß ein Mann
wie Vischer in seinem Buch: „Das Christuszeugnis des
A.T. I das Gesetz" diese Verwirrung nicht beseitigt,
sondern vermehrt (S. 22 ff.). Was soll man dazu sagen
, daß in der Linie dieser „Theologie" ein Bonhöffer
(Junge Kirche 1936 Heft 2—4) sagt: Also Christus
War wirklich nach Fleisch und Verheißung in David
(S. 23, Anm.). Demgegenüber betont Sellin mit Recht
das Wort Luthers, daß die Schriften uns Wort Gottes
sind, sofern sie „Christum treiben". Allerdings: daß
wir dieses „göttliche Wort in allen Teilen des A.T. finden
" (S. 15), ist doch wohl zu viel gesagt. Da besteht
Luthers ablehnendes Wort betr. z. B. Esther doch zu
recht, daß es „zu sehr judenze und viel heidnische
Unart" habe, weshalb er es am liebsten aus dem Kanon
heiliger Schriften herausweisen wollte, wie das manche
Kreise der alten Kirche auch wirklich getan haben. Es
ist eben aus dem Geist des von Esra an sich ausbildenden
Judentums erwachsen. Und dies Judentum unterscheidet
Sellin mit Recht sehr scharf vom Israeliten-
tum (S. 33). Immerhin kann man den Schnitt zwischen
„Hebräertum und Judentum" nicht gar zu sehr betonen,
wie z. B. das wunderbare Buch Hiob der Zeit nach
Esra angehört und eine Reihe schöner Psalmen, die in
prophetischem Geist gegen dte^falsche Wertung des
Kultus und Opferwesens ankjjSpfen (Ps. 40, Ps. 50,
Ps. 51) oder in der Gemeinschaft mit Gott das einzig
Wahre hohe Gut erkennen und preisen (Ps. 73), ihre
Entstehung der nachexilischen „jüdischen" Periode verdanken
. Und die christliche Gemeinde hat recht, wenn
sie sich diese Perlen nicht nehmen läßt, ohne sich an
den Schlacken jüdischer Anschauung zu stoßen. Sie
atmen doch prophetischen Geist. Aber — auch die Propheten
stehn auf dem Boden der Nationalreligion, wenn
sie auch sich von ihm mehr und mehr lösen. Gewiß
die Gemeinde hat Recht, wenn sie über diese Reste
hinwegsieht oder sie umdeutet. Wer denkt denn und
stößt sich daran, daß der schöne Psalm 23 (Der „Herr
'st mein Hirte") die Gefühle eines aus dem Tempel zu
Jerusalem heraustretenden frommen Israeliten schildert?
Die Gefühle teilt man, den Anlaß übersieht man mit
Hecht. Anders natürlich die wissenschaftliche Exegese.
Die kann mit dem allgemeinen Wort Luthers: „was
Christum treibet" sich nicht so einfach zufrieden geben,
wenn man ja sieht, wie er viele der Psalmen unimittelbar
auf „Christus" bezieht, wie z. B. die Überschriften, die
er ps. 97—99 u. a. m. vorangestellt hat, beweisen,
so kann da eine gewissenhafte Auslegung nicht mit,
wie das Sellin ja auch deutlich ausspricht (S. 26). Aber
man kann auch nicht einfach die Worte und Stellung Jesu
zum A. T. als bindende Maßschnur nehmen. Denn auch

bei ihm ist in Bezug auf seine Stellung zum A.T. eineEnt-
. wicklung nicht zu verkennen. Und wenn er in Bezug
j auf die Frage der Ehescheidung Matthäus 19, 1 ff. auf
die Paradiesgeschichte 1. Mos. 2—3 zurückgreift und
und diese als wirkliche Geschichte nimmt, so wissen
wir, daß es sich da zwar um ein unvergleichbares
Kleinod der religiösen Literatur des Altertums handelt
, das auch uns nicht nur erfreuen, sondern tiefst
ergreifen kann in der Tiefsinuigkeit der Gedanken und
I der Schlichtheit der Darstellung — aber Geschichte
haben wir da nicht. Anderseits äußert Jesus im gleichen
Zusammenhang eine abweisende Kritik zu Gesetzen,
| die auf Moses und durch ihn auf Jahwe zurückgehen
sollen, stellt sich also über das Gesetz, dem er ja nach
der Bergpredigt Matth. 5 als die höhere Instanz gegenübertritt
. Es gilt also auch hier, wie denn überhaupt
j bei den neutestamentlichen Schriften (man nehme Pau-
| Ins), um entschlossene Abkehr von der Inspirationslehre
, die ja wirklich ein übles Erbe des Judentums ist.
Im Geist Jesu soll die Gemeinde das A.T. lesen,
nützen und lieb haben. Anderseits aber beherzigen: „da
i ich ein Mann ward, tat ich ab, was kindisch war." Das
von der Erfüllung Überholte soll man ruhig fahren
lassen und damit den Gegnern manche Angriffspunkte
nehmen; um so mehr wird das Große und Tiefe, das
von Jesus aufgenommen und verklärt wurde, im Wert
steigen. Und dazu will eben Sellins schöne Broschüre
für Gottesdienst und Schule passende Winke geben,
wie er denn für die Schule mit Recht die Schulbibel fordert
und voraussetzt. Möchte das Schriftchen viel gelesen
und beherzigt werden.

Bonn. J. Mein hold.

Engelhardt, Kirclienrat Adolf: Die Reformation in Nürnberg.

1. Bd. Nürnberg: J. L. Schräg 1936. (VII, 258 S.) 8°. RM 2.40.

Die Reformationsgeschichte Nürnbergs ist bedeutsam
genug. Zur Reformationszeit gehörte es in wirt-

I schaftlicher, finanzieller und kultureller Hinsicht immer
noch zu den ersten unter den Reichsstädten. Ja noch
mehr. Für viele gilt es, es sei an die Zeiten des Reichsregiments
erinnert, als der Mittelpunkt des Reiches.
Auf die Maßnahmen seines Rates schaute man weithin.
Es hat nicht an solchen gefehlt, die dies in der Weise
zum Ausdruck brachten, daß sie sagten, Deutschland
hätte sich in Nürnberg dazumal verkörpert. So bietet
dann seine Reformationsgeschichte einen eignen Reiz.

| Dennoch muß man sich mit der schon 1885 in Würz-

j bürg erschienenen für ihre Zeit trefflichen Arbeit von
Fr. Roth, die Einführung der Reformation in Nürnberg
1517—1528 begnügen. Auch das postume Werk H.
v. Schuberts über Lazarus Spengler ist wegen seiner

! speziellen Zielsetzung doch nicht im Stande, diesen Man-

! gel ganz zu ersetzen.

Der Grund liegt zunächst darin, daß über den Akten
I des Nürnberger Rates am Ende der Reicbsstädtischen
Zeit ein Unstern gewaltet hat. Wer die alten Repertorien
i der A Lade im Staatsarchiv Nürnberg durchsieht, sieht
j mit Schrecken, wie manche Unterabteilungen restlos
vernichtet sind. Andererseits aber, um Nürnbergs Reform
ationsgeschichte schreiben zu können, ist das Studium
einer Unmenge von anderer gedruckter und unge-
j druckter Literatur nötig, vom Bericht der päpstlichen
I Gesandten bis zum unscheinbarsten Flugblatt oder
Pasquill des Volkes, von den Akten des Kaisers bis
; zu den intimsten Briefen von Patriziern und Bürcern.
[ Zuletzt aber sei nicht vergessen die Unmenge&von
Nürnberger Chroniken, die neben vielem Unbedeutenden
und immer wieder Nachgeschriebenen auch höchst eigenartige
Erzeugnisse wie die Chronik des allgläubig
gebliebenen Claus Apel (Stadtbibl. Nürnberg. Nr. Ms!
j 60) oder die des Anton Kreuzer (Nr. 27) in sich schlie-
- ßen; sie sind bis jetzt gänzlich unbeachtet geblieben.

So begrüßt man denn mit Freuden die vorliegende
| Studie. Der mit einer seltenen geistigen Frische ausge-