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Ausgabe:

1937 Nr. 3

Spalte:

61-64

Autor/Hrsg.:

Nebe, Otto Henning

Titel/Untertitel:

Die Ehre als theologisches Problem 1937

Rezensent:

Eisenhuth, Heinz Erich

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 3.

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eine Aufhebung der Endlichkeit gibt. Die Grundhaltung
des Verf.'s geht auf eine kämpferische Einstellung dem
Tod gegenüber hin und nicht auf eine verstehensmaßige
Bejahung des Todes. Sein Ziel ist nach der einen Seite
hin als berechtigt anzuerkennen. Aber auf dem idealistischen
Wege wird noch nicht die Schwierigkeit, geschweige
denn die Unmöglichkeit eingesehen, die einem menschlichen
Freiwerdenwollen von der Macht des Todes entgegensteht
. Erst das Wissen um die Schuld und um eine
letzte Verantwortung führen überhaupt in die tiefsten
Fragen des Todesproblems, auf die Heidegger aber auch
nicht eingegangen ist. Zugleich zeigt es sich, daß irgend
eine optimistische Lebenshaltung den Tod in seinein
Sein nicht zu verändern vermag, sondern allein der
christliche Gottesglaube (1. Kor. 15,55 ff.). Der Hinweis
des Verf.'s auf Jakob Böhme: „Warten, wenn
sich dieses Leben endet", berechtigt nicht zu der Verallgemeinerung
„daß unter der Perspektive der Hoffnung
auch der Tod selber restlos mitverändert wird" (S.143).
Eine nichtchristliche Hoffnung kann den größten Selbsttäuschungen
unterliegen. Beiden Untersuchungen gegenüber
ist eine Arbeit notwendig, die vom Neuen Testament
aus die Frage nach dem verstandenen und nach
dem unverstandenen Tod in ein neues Licht hineinstellt
und vor allem auf die evangelische Bedeutung des ewigen
Lebens hinweist.
Jena. H. E. E i s e n h u t h.

Nebe, Lic. Dr. Otto Henning: Die Ehre als theologisches Problem
. Berlin: Furche-Verlag 1936. (119 S.) 8°. = Furche-Studien,
12. Bd. RM 3-8°; ßeb- 4 8°-

Das Ziel dieser Arbeit ist, einen lutherischen Begriff
der Ehre zu gewinnen (S. 15). Die Ehre als Tatbestand
ist nicht problematisch. Sie ist das Grundgesetz des
alltäglichen völkischen Gemeinschaftslebens (S. 11). Aber
ihre Struktur, die Frage nach ihrer Herkunft, nach
ihrem Sinn und ihrer Weite ist für die Theologie ein
Problem. Verf. bestimmt die Theologie in einer doppelten
Weise. Sie ist Gehorsam gegenüber dem Worte
Gottes, das sich „in der Reinen Lehre der Kirche ausprägt
", und ein Horchen auf die Stimmen der Zeit
(S. 13). Die Themen erhält die Theologie aus der Begegnung
mit diesen Stimmen. „Das im Kreuzungspunkt
vergegenwärtigte Thema wird im Wegverlauf inhaltlich
abgeleitet aus Ansätzen der Theologiegeschichte und
grundlegend aus der Reinen Lehre der Kirche, dem Worte
Gottes und den Bekenntnisscbriften, selbst (S. 15).
Sie hat in dem Paradox der Inkarnation ihr Wesensmerkmal
und sieht in dem Trinitätsdogma das Selbstverständnis
des Luthertums. Weil der Ehrbegriff ein Mischbegriff
aus dogmatischen, ethischen und soziologischen
Elementen ist, sucht Verf. nach der Heimat dieses Begriffs
in der Reinen Lehre.

Im Anschluß an Gogarten bestimmt Verf. die Ehre
als den Inbegriff der politischen Existenz. Der einzelne
kann sich die Ehre nicht geben und auch nicht
nehmen; er kann sie nur durch Untreue verlieren (S. 23).
Ehre ist Existenz-Gabe und -Voraussetzung; Treue ist
Tat-Aufgabe und Folge (S. 32).

Im Gegensatz zu Schreiner und Kattenbusch trennt
Verf. zwischen Ehre und Ehren. Ehre ist Gabe; Ehren
sind Erfolge von Leistungen. Die Ehre ist nicht radial,
sondern punktuell zu verstehen. Sie ist „verliehenes
Erfordernis zur Existenz", aber nicht Ergebnis eines
Tuns über einen bestimmten Aktionsradius hinaus (S. 27).

Weil die Ehre ein Existenzurteil anderer über andere
jst, ist damit der Tatbestand der Ordnung gegeben; aber
in der Weise, daß Ehre und Ordnung das Grundgesetztsein
der Existenz darstellen. Die Ordnung der Ehre erfahrt
eine doppelte Näherbestimmung: 1) Sie steht zwischen
der Liebes- und der Leistungsordnung. Sie ist
Weniger als die eine, weil sie nur die äußere Existenz
vor Menschen meint; sie ist mehr als die andere, weil
sie die Leistung erst ermöglicht. 2) Diese Ordnung
als gesetzte „Stilordnung zwischenmenschlicher Existenz"

1 ist von Gott (S. 51). Sie ist aber nur Notverordnung
| und gehört zu den „Schöpfungsordnungen zweiten Gra-
| des", die selber nicht eine Offenbarung Gottes sind.
Solche Ordnungen sind Gestaltereignisse. Sie sind escha-
tologisch begrenzt, gelten nur in dem Zerfall und tragen
die Dämonie der Verabsolutierung in sich.

Der Ordnungsträger für die völkische Ehre ist der
Staat. Er ist eine Ordnung Gottes, weil er den erhal-
l tenden Willen der „Schöpfungsordnung zweiten Gra-
! des" vollzieht. Staat und Ehre sind also begrenzte
i Verordnungen Gottes und Bewahrmittel vor der eigenen
i Bosheit (S. 78). Ehre besagt also nicht eine quali-
i tative Würde, die der Mensch hat, sondern bezieht sich
' auf die Tatsache der Sünde.

Verf. begreift die Ehre vor Gott als den Inbegriff
! der Rechtfertigungslehre (S. 99). Die Frage nach der
Ehre vor Gott ergibt sich aus der letzten Verantwortlichkeit
der irdischen Existenz, deren Inbegriff die Ehre
j ist. Diese Frage beantwortet Verf. nicht durch einen
I Rückschluß in wirklichkeitsphilosophischer Art, sondern
! durch den Christusglauben. In Christus sind die Erhal-
I tungsgesetze der Existenz als „Schöpfungsordnungen
zweiten Grades" bestätigt und eschatologisch begrenzt:
Weil die Ehre als Erhaltungsordnung wegen der Sünde
notwendig ist, ist sie vor Gott negativ eine radikale Unehre
(S. 89). Die Ehre vor Gott ist aber für den
Christen eine Gabe Gottes, die in der Ehre des Christus
besteht. Die Ehre vor Gott bestimmt daher Verf. positiv
vom trinitarischen Glauben aus dreiteilig: Gott der
Schöpfer will ihre Wiederherstellung; Gott der Erlöser
bewirkt sie; Gott der Heilige Geist läßt sie existenziell
erfahren (S. 102).

Wertvoll sind in dieser Arbeit die Ausführungen
über den Rechtfertigungsglauben. Verf. weist darauf
hin, daß die Rechtfertigung auch für die Ehre vor den
I Menschen grundlegende Bedeutung hat, weil sie diese
auf die Erhaltungsordnung Gottes zurückführt (S. 102).
Von dieser seiner Grundüberzeugung aus waren auch die
vorhergehenden Ausführungen über die Ehre als Ordnung
getragen. Sie sind „hintergründig von Jesus Christus
aus bestimmt" (S. 83).

Gegen die theologischen Ausführungen wie gegen
die Grundgedanken über das Ehrproblem sind aber
grundsätzliche Einwände zu erheben.

I. Die Näherbestimmung der Theologie unterliegt
einem dreifachen Mangel:

1) Die ständige Berufung auf die Reine Lehre und

i die Ineinsschau der Heiligen Schrift mit den Bekenntnisschriften
(S. 17) unterschätzen die Bedeutung der kritischen
und historischen Erkenntnis. Bezeichnend dafür
ist die gleichmäßige Zitierung des Alten und des Neuen
Testaments (S. 21, 35, 42, 51 (!), 111, 115; nicht so
S. 102). Die Gefahr des Dogmatismus liegt nahe. „Dog-
matik ist in sich geschlossen, Theologie hingegen ist
immer ungeschlossen" (S. 16).

2) Die Methode ist zwar nicht die der dialektischen
Theologie, kommt ihr aber weithin entgegen. An die
Stelle der gleichzeitigen Bejahung und Verneinung tritt
die gleichzeitige Bejahung und Beschränkung (S. 82).

3) Die Theologie hat sich von dem gesamtwissen-
j schaftlichen Denken getrennt und ist dadurch in ihren
I Aussagen unkonkret geworden. Die Lehre wird zur
I Lehrmeisterin des Glaubens erhoben. Verf. weist zwar
j mit Recht die verschiedenen Arten des Denkens zurück

die die Theologie bedrohen: das diastatische, synthetische
, scholastische, kulturprotestantische, das rationale
und das mystisch-transrationale Denken (S. 17). Von

| der Trinitätsdogmatik aus. müsse die Theologie die

| Mitte einnehmen zwischen ,;entgottender und vergottender
Wirklichkeitslehre", zwischen Deismus und Mystik

! Die lutherische Theologie muß „die Lehre von der
Offenbarung des Dreieinigen Gottes i n die Wirklichkeit

| hinein steif vor Augen haben" (S. 16). Damit ist
das entscheidende Problem aufgewiesen: in welcherWei-