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Ausgabe:

1937 Nr. 3

Spalte:

58-61

Autor/Hrsg.:

Sternberger, Dolf

Titel/Untertitel:

Der verstandene Tod 1937

Rezensent:

Eisenhuth, Heinz Erich

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 3.

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Krieck, Emst: Völkisch-politische Anthropologie, l.Teil: Die
Wirklichkeit. Leipzig: Armanen-Verlag 1936. (VIII, 119 S.) gr. 8 .
= Weltanschauung und Wissenschaft. Bd. 1. Kart. RM 3 . i

Das Buch E. K. gehört sicherlich zu dem Tempera- |
mentvollsten, was die nationalsozialistische Revolution |
auf philosophischem Gebiet hat von sich hören lassen.
Es ist nicht nur lebendig und packend geschrieben, son-
dem greift dauernd in unmittelbar bedrängende Fragestellungen
ein. Es handelt sich um den Versuch eines
universellen Monismais auf biologischer Grundlage. Es
wird nicht nur die Lehre vom Menschen zur Grunderkenntnis
überhaupt gemacht, sondern es gilt auch das
Leben des Menschen als ein Stück der All-Natur. Diese i
wird unter den mannigfaltigsten Namen zur tragenden |
Ursetzung eines Ideengebäudes erhoben, das alle Schichten
des Daseins umfaßt und bis ins Mythologische
hineinragt. Mit wohltuender Energie und großer
kämpferischer Wucht wendet sich Kr. gegen das mechanistische
Denken der Vergangenheit, wobei er allerdings
diese Kategorie so stark ausdehnt, daß er mit
ihr alles zu treffen meint, was seinem Gedankenzusammenhang
widerstreitet.

Mit Recht lehnt es Kr. ab, vom Einzelnen zum All,
vom Teil zum Ganzen aufzusteigen, er tritt vielmehr dafür
ein, vom Ganzen zum Glied, zum Einzelnen herabzugehen
. In Wirklichkeit aber erhebt er selbst den
Begriff des Teilgebietes Biologie zum Weltdeutungs-
Rrundsatz schlechthin. Die universale Biologie tritt in
der Gestalt der Anthropologie an die Stelle der „verbrauchten
Philosophie" (S. 43). Die „rassisch-völkischpolitische
Anthropologie" stellt allen Wissenschaften erst
die gemeinsame Aufgabe. Es gibt keine Wissenschaft,
die nicht an ihr Anteil hätte und von ihr ihre Umstellung
empfinge, wofern sie nicht zum Aussterben verurteilt
ist. Das Zentralproblem dieser Anthropologie heißt
Volk als Lebensgrund. Mit dieser Erweiterung der Biologie
meint Kr. weltanschauliche Sätze aufgestellt zu
haben die nicht im leeren Raum hängen oder die Wirklichkeit
verfehlen, sondern die sie ergreifen und angesichts
der Wirklichkeit der wissenschaftlichen Beweispflicht
unterliegen (S. 52). Andererseits muß er aber
doch auch zugeben, daß es sich nicht nur um reines Wissen
handelt, sondern daß Glauben und Wissen in eins
wird (S. 52), und daß das Ganze, das die totale Biologie
erfaßt, so stark urgegeben und uranfänglich ist, daß nach
seinem Sinn nicht gefragt werden kann (S. 44). Dieses
Einerseits-andererseits im methodischen Ansatz ist
grundsätzlich in der Denkform Kr. verwurzelt, die er
selbst im Gegensatz zum analytischen Begriff als Anschauung
charakterisiert, und in der er sich gegen Kant
und Hegel mit Goethe verbunden weiß (S. 28 u. 35).
Wir können sie als Intuitionismus bezeichnen: „Es kann
einer nur erkennen nach der Art, wie er ist" und: „Es
kann einer nur erkennen gemäß der Art, wie ihm der
Gegenstand zugehört und zugeordnet ist" (S. 33). Dieses
Anschauen, das allein an die Wirklichkeit herankommt
, muß Ausgang und Ziel aller Erkenntnis sein,
mag es auch notwendigerweise im Spannungsverhältnis
zum begrifflichen Erkennen stehen (S. 46). „Wer nicht
von der ganzhertlichen Wirklichkeitsanschauung zur ergriffenen
, durchleuchteten Schau der Ganzheit gehen
kann ist in den Kinderschuhen stecken geblieben oder
der Sünde der Vereinzelung und Absonderung verfallen"
(S. 47).

Es ist nicht ohne Reiz zu sehen, wie der Versuch
gemacht wird, einer solchen Ganzheitsschau schlechterdings
alle Probleme des Daseins einzugliedern: Religion
, Blut und Boden, Politik und Geschichte, Staat und
Volksordnungen, Gesundheit und Krankheit. Das gelingt
nicht, ohne daß der unentrinnbare Zirkel alles
{ntuitionismus auftaucht: Man ist notwendigerweise auf i
Begriffsbildung und Begriffsdenken angewiesen — will :
man das nicht, dann muß man überhaupt schweigen —
und lehnt es doch ab, sich der Struktur des begrifflichen
Fenkens und damit der Forderung der Distanz im Denzen
zu unterwerfen („alles Erkennen ist ursprünglich

eng mit dem Tun sinnhaft verknüpft") (S. 35). Es erhebt
sich an dieser Stelle die Frage nach einer doppelten
Aufgabe des Denkens. Es hat wohl das Ziel, in
der Hand des Tatmenschen echtes Handeln und mutigen
Einsatz zu klären und vorzubereiten. Daneben aber steht
doch, ebenso unentbehrbar, seine Aufgabe, dem besinnlichen
Grübler das Ringen um letzte und tiefste Wahrheiten
zu ermöglichen, aus denen, sobald sie aufsteigen,
auch der Tatmensch lebt und wirkt. Eine solche Arbeitsteilung
freilich lehnt Kr. entschieden ab. Er meint,
daß der Nationalsozialismus dem Anspruch des Geistes
ein Ende bereiten müsse, es gehe ihm um Leben, nicht
um Kultur und Werk (S. 8 Anm.). So fordert es die
monistische Energie unseres Denkers. Sie zeigt sich
überall dort, wo bisher unvereinbarte Gegensätze zusammengezogen
werden: so Organisches und Anorganisches
, Leben und Tod, Natur und Geist, Volk und
Staat, Politik und Religion.

Der Versuch, diesen letzten Gegensatz zu überwinden
, führt zu einem neuen Mythos. In ihm gewinnt die
große Mutter Erde eine hohe Bedeutung, aus der das
Kind kommt, und in die der alte Mensch wieder eingeht
(S. 24 Anm.) nach dem Grundsatz: Erde ist Leben.
All ist Leben (S. 26). Aus der Erde stammt das organische
Leben. Zeugung ist Hervorbringen neuer Individualität
aus dem erdmütterlichen Gesamtleben (S.
27). „Alles Leben aus dem Ei" ist eine Urweisheit.
Die Moira ist die Tochter der dunklen Mutter Erde,
von der aller Lebenstrieb ausgeht (S. 37). Gegen Vorsehung
— „der Gott der Vorsehung ist der Gott der bürgerlichen
Sekurität" — ist Schicksal das Dunkle und

Unerkennbare.....das Blut- und Erdhafte (S. 58 f.).

Die Mutter Erde ist der Wurzelgrund menschlichen Lebens
. Der Boden ist die äußere Stetigkeitskomponente
im Leben des Volksganzen, Rasse die innere (S. 76).
Aus dem Blut heraus wirkt das Schicksal, und es verwirklicht
sich in der Zeit, dieser rätselhaften Sphinx im
Leben der Völker und Einzelmenschen (S. 82). Im Volk
hat alles einzelne Leben seinen Ursprung und sein Ziel,
in der Erde wurzelt das Volk durch Blut und Boden:
Erde ist Einheit und Ganzheit irdischen Lebens, Erde ist
Leben, Lebensborn, Mutter ihrer Geschöpfe (S. 81).
Volk ist ein Gedanke Gottes, als Kind gezeugt aus der
kinderreichen Mutter Erde (S. 80). Dieses Volk —
in Einheit von Natur und Geist — ist Sohn Gottes,
dieser Sohn Gottes ist der Weg, die Wahrheit und das
Leben, er ist der Weinstock, an dem wir die Reben sind.
Darum wiederholt sich mit der Geburt eines jeden von
uns Volksgenossen die Wiedergeburt ewigen Lebens
aus dem gemeinsamen Lebensgrund, wird in Volksgemeinschaft
und berufenen Volksgenossen Gott (der
Sohn) immer neu geboren (S. 68). Mit dieser Auffassung
ist Deutschtum und Christentum eins und dasselbe
geworden (S. 69).

Es ist nicht möglich, in einer kurzen Besprechung,
einen Überblick über ein Werk zu übermitteln, das mit
seltener monistischer Energie in einer einheitlichen Gesamtschau
über schlechthin alle Probleme des Daseins
Größen zusammenzuzwingen versucht, die bislang zu
vereinen nicht glückte. Ob dieser Versuch gelungen ist,
vermag nur eine eingehende Auseinandersetzung mit
ihm selbst zu zeigen. Sie ist nicht nur um der führenden
Stellung willen nötig, die der Verfasser des Buches
im Dritten Reich einnimmt, sondern vor allem auch
deshalb, weil es in diesem Buch grundsätzlich und zutiefst
um die Frage geht: Deutschland gleich
Christus oder Deutschland mit Christus.
Leipzig. Fr. Sch ulze.

Sternberge r, Adolf: Der verstandene Tod. Eine Untersuchung
zu Martin Heideggers Existcnzialontologie, mit einer monographischen
Bibliographie Martin Heidegger. Leipzig: S. Hirzel 1934. (X, 155 S.)
8°. = Studien und Bibliographien zur Gegenwartsphilosophie. Hrsg.
von W. Schingnitz, H. 6. rm 4.50.

Diese sehr eindringliche Untersuchung, eine Frankfurter
Dissertation, hat das negative Ergebnis, daß das