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Ausgabe:

1937 Nr. 3

Spalte:

49-50

Autor/Hrsg.:

Silverstein, Theodore

Titel/Untertitel:

Visio Sancti Pauli 1937

Rezensent:

Hennecke, Edgar

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Seite 1

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49

Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 3.

50

Es hätte also wenig Zweck, im Einzelnen anzumerken,
zu welcher Auffassung er sich jeweils bekennt. Die
geistige Deutung dringt nirgends tiefer in den Oegeiistand
ein. Es wird kein Gesetz und kein Ziel
der Entwicklung sichtbar. Das Buch hat bezeichnenderweise
überhaupt keinen Schluß, sondern bricht
mit einer kurzen Würdigung Konstantins als Feldherrn {
und Staatsmann einfach ab, ohne Rückblick, ohne Vor-
blick, ohne Stellungnahme. Leider ist es aber auch in
ganz äußerlichem Sinne hinter dem Gang der Forschungsarbeit
zurückgeblieben. Die Darstellung des Mon-
tanismus gründet sich auf Bonwetsch und Calder statt
auf Labriolle und Schepelern; für die Beurteilung der |
Verfassungstheorie Theodorets wird auf Harnack und
Duchesne, aber nicht mehr auf Carl Muller verwiesen;
der Name Caspar begegnet nicht; die Skizze des frühen i
Mönchtums weiß nichts von den durch Bousset neu er- j
schlossenen Apophtegmen. Das sind nur einige, beson- j
ders krasse Beispiele.

Das Buch ist aus einer langjährigen Vorlesungs- -
tätigkeit herausgewachsen; es will neben den Fachge- ,
lehrten auch einen weiteren Kreis von Gebildeten erreichen
. Aber es befriedigt unter diesem Gesichtspunkt :
erst recht nicht. Gerade der Laie hat ein Recht darauf,
die Kirchengeschichte in einer Weise kennen zu lernen,
die Wesentliches bringt, und die dabei nicht veraltet,
sondern zeitgemäß ist.
Heidelberg. H. v. Campenhausen.

Silverstein, Theodore: Visio Sancti Pauli. The history of the
Apocalypse in Latin together with nine texts. London: Christophers
1935. (XI, 229 S.) gr. 8°. = Studies and Documents ed. by Kirsopp
Lake and Silva Lake. IV.
Die Visio s. Pauli, nach Sozomenos unter Theodo-
sius I., und zwar, wie aus dem Schriftstück selbst hervorgeht
, im Jahre 388 im Hause des Paulus zu Tarsus
wiedergefunden (was nach dem Urteil eines gleichzeitigen
dortigen Priesters freilich nicht zutraf), enthält
nach einleitenden Offenbarungen in Anknüpfung an
den in 2. Kor. 12, 2 ff. von Paulus geschilderten Vorgang
seine Führung durch einen Engel zunächst in den
zweiten Himmel und an das Firmament, und sodann in
den dritten Himmel, wo ihm der Eingang in das Paradies
, das Land der Verheißung und die Christusstadt
gezeigt und mit ihren Bewohnern gedeutet
werden, ebenso, nach Rückkehr auf dein gleichen
Wege, die Qualen der offenkundigen Sünder an den
Stellen der Finsternis, für die jedoch auf Fürbitte
des Erzengels Michael sowie des Paulus durch den
wiederkommenden Herrn eine Erleichterung für den Tag j
seiner Auferstehung (Sonntag) gewährt wird.

Die Visio „offers a complete Baedeker to the other- j
World" (Silverstein S. 5). Sie ist als ganze in deutscher
Übersetzung noch nicht bekannt geworden, während eine
englische bei M. R. James in seinem Apocryphal New
Testament (1924) vorliegt. Um ihrer anziehenden und
ausführlichen Beschreibung willen, die durchaus in griechischem
Geiste (mit östlichen Einschlägen) gehalten
ist und wiederholte Anlehnungen an die Bibel wie an
altcbristliche Apokalypsen aufweist, erfreute sie sich
während des Mittelalters um das Mittelmeer und darüber
hinaus, namentlich im Westen, hervorragender Beliebt- i
heit, ohne freilich offiziell anerkannt zu sein; „not j
the least important reason for its wide appeal was its I
preoccupation with those conditions in the!
other-world which face the soul immedia-
tely after death and are therefore a matter I
of imminent concern to the living" (S. 5, I
von mir gesperrt). Sonstige mittelalterliche Visionen, j
namentlich angelsächsische (Beda III, 19, ferner S. 6 ff.),
weisen ihr durchaus verwandte Züge auf, und eine
Reihe lateinischer Redaktionen (mitgeteilt S. 153 ff.)
wiederholen ihren Inhalt in verkürzten Formen, unter |
Beifügung novellistischer Zusätze (S. 64 ff. 82 ff.), während
zu dem lateinischen Hauptzeugen des Textes ein |

anderer aus St.-Gallen tritt, dessen Wortlaut S. 131 ff.
mitgeteilt wird (hier wird S. 133 oben statt furor fruor
zu lesen sein). Der von Tischendorf 1866 in der griechischen
Ursprache veröffentlichte Text ist auch nichts als
eine stark verkürzende Redaktion, doch treten den ausführlichen
lateinischen Texten mehrere östliche Versionen
an die Seite, woraus James seine Übersetzung zusammenstellte
und inzwischen R. Casey 1933 weitere Beobachtungen
anschloß. Die vorliegende sehr sorgfältige und
umsichtige Untersuchung läuft in der gleichen Richtung
weiter und gibt mit der umfangreichen Literaturangabe
am Schluß eine Vorstellung davon, was mit einer wirklich
abschließenden Arbeit zu bewältigen sein wird.
An der eigentümlichen Erscheinung, daß von c. 45 an
(nach der obigen Inhaltsangabe) eine erneute Beschreibung
des Paradieses einsetzt, diesmal in noch stärkerer
Anlehnung an die Bibel und im Verhältnis zu der
ersteren mit häufigen Wiederholungen, geht der Verfasser
vorüber, wiewohl schon James vermutet hatte, daß
es sich um ein „müßiges Anhängsel" handle, und der
St.-Gallen-Text eben mit c. 44 schließt!

Inwieweit die koptische Version wirklieh Anhaltspunkte
dafür liefert, eine Urschrift schon des dritten
Jahrhunderts anzunehmen (S. 20), wird nachzuprüfen
sein, ebenso ob ihr Ursprungsland, wie Verf. annimmt,
Ägypten ist, was ja auch für die ältere Petrusapokalypse
noch nicht feststeht. An diese lehnt sich die Schilderung
der Qualen (S. 28 f. zusammengestellt) unzweideutig an,
wie wohl auch die große Reihenfolge Paradies-Hölle,

die durch das Akhmim-Fragment bezeugt ist,--m. E.

auch durch die augenscheinliche Schlußstellung des von
K. Prümm veröffentlichten Bruchstücks s. Th L Z. 1930
Sp. 176, worin auch die Taufe im Acherusischen See
vorkommt! Im übrigen findet sich eine stufenweise
auftretende Nebeneinanderstellung der Seligkeitsorte
schon bei den Presbytern des Irenaeus, ebenso wie die
Schilderung wunderbarer Fruchtbarkeit von Gewächsen
(Iren. V, 36, 1 f. 33,3 f.). Schließlich möchte ich eine
Parallele der Vita Antonii 65 zu c. 17 der Versio hinzufügen
: Hier ruft Gott beim Gerichtsvollzug den Engel
der sündigen Seele auf, der die Sünden den Verstorbenen
seit seinem 15. Lebensjahre aufgezeichnet hat, begnügt
sich aber damit, nur die 5 Jahre vor dem Tode begangenen
Sünden zu erfahren, ja ist zufrieden, wenn
er nur ein Jahr vor dem Tode Buße getan hat; dort
wird Antonius bei seiner Entrückung Gegenstand des
Streites zwischen den finsteren Gewalten und seinen
Führern (vgl. Visio 15), welche erklären, daß der Herr
die Verschuldungen von seiner Geburt an getilgt habe,
jenen aber freigeben, die Zeit, seit er Mönch geworden,
zur Untersuchung zu ziehen. Solcher Atmosphäre
des 4. Jahrhunderts wird die Visio zugewiesen sein.
Güttingen. e. Hennecke.

Schebler, Dr. theol. Alois: Die Reordinationen in der „altkatholischen
" Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Anschauungen
Rudolph Sohms. Bonn: L. Röhrscheid 1936. (XVI, 307 S.) 8°. =
Kanon istische Studien und Texte hrsg. von Dr. Albert M. Koeniger.
10. rm 13.50.

Über das gleiche Thema handelten nach der grundlegenden
Arbeit von J. Morinus Hergenröther und 1907
L. Saltet (besprochen von F. Kattenbusch in Th L Z.
1908 Nr. 14), deren Ergebnisse Rud. Sohm unter Anwendung
seiner genialen, möglichste Fühlung mit dem
Urchristentum erzwingenden Leitgedanken bekämpfte
(,Das altkatholische Kirchenrecht und das Dekret Gra-
tians', 1908, und in seinem ,Kirchenrecht'), indem er
für den Zeitabschnitt erstes Jahrtausend bis hinein ins
12. Jahrhdt. eine wesentliche einheitliche Entwicklung
annahm und damit dem Begriff „altkatholisch" eine
ungewöhnliche Ausdehnung gab. Die geistliche Gewalt
des Bischofs ist nach ihm nicht Weihegehalt im neukatholischen
Sinne, sondern Amtsgewalt aufgrund göttlicher
Begabung für das Sakrament; Reordinationen als
neuerliche Bestellungen zum Amt sollen an der Tagesordnung
gewesen, und, wo sie nicht stattfanden, dispen-