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Ausgabe:

1937 Nr. 2

Spalte:

27-30

Autor/Hrsg.:

Buber, Martin

Titel/Untertitel:

Die Schrift und ihre Verdeutschung 1937

Rezensent:

Wendel, Adolf

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 2.

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heiten üblich sind, ist damit nicht gesagt, daß nun
alle Kultlieder notwendig diesen „esoterischen."
Sinn haben müssen. Hier nicht sorgfältig abzugrenzen,
ist ein methodischer Fehler ebenso wie der fehlende
Nachweis, bei welcher Gelegenheit die sexuellen Lieder
gesungen wurden, oder kritiklose Unterwerfung unter
das psychoanalytische Dogma, dessen Pansexualismus
den „Impuls" für W.'s Sexualisierung des Weltbildes
Primitiven gebildet zu haben scheint. Wie wir heute
eine psychoanalytische Deutung W. Büschs durch H.
Cornioley, bei der Pfeife, Gießkanne und Spargel in
der „Frommen Helene" als Sexualsymbole gefaßt werden
, nur als Komplex verstehen können, bleibt daher
Peekels Beurteilung der Winthuis'schen Darstellung als
Zerrbild bestehen, das nur durch die Logik eines Bücherwurmes
zustande gekommen sei (Anthropos Bd. XXIV
1929 S. 1005).

Winthuis Idee einer Zweigeschlechtlichkeit mutet ferner
den Primitiven zu, daß sie ihre Mythen nicht
nach menschlichen Zuständen geformt hätten, sondern
nach Naturobjekten und einer Kenntnis ihrer biologischen
Funktionen, die erst spät der Menschheit aufgegangen
ist. Diese Unmöglichkeit wird noch dadurch
offensichtlicher, daß nach Hartland und Malinovvski bestimmten
Südseestämmen unser Kausalschluß, die Nachkommenschaft
entspringe aus dem Umgang der Geschlechter
, überhaupt fremd gewesen sei. Darum ist
seine Deutung der Subinzision als Ausstattung mit weiblichen
Symbolen durchaus zweifelhaft, wie ihr Sudhoff
auch den Sinn einer medizinischen Auslesemethode
entgegenstellt (Vergl. meine Geschichte der Medizin,
Berlin 1928, S. 12). In seinem Werk „Maya" (Stuttgart
1936) sagt H. Zimmer treffend, daß es der delphische
Charakter des Mythos mit sich bringe, daß er
jedem auf eben der Ebene von Trivialität und Tiefe, perspektivischer
Verein seitigung und Nutzbarkeit Antwort
gebe, die der Fragende an ihn herantrüge. Entbehrt
also Winthuis Behauptung der endgültigen und
allgemeingültigen Enthüllung des Kultgeheimnisses der
Urzeit auch der Berechtigung, so bleibt doch nach dem
Urteil von K. Th. Preuß (Deutsche Lit. Zeit. 1931
S. 2141 f.) sein Ringen um die Wahrheit, wie er sie
versteht, achtenswert und müssen seine Einzelunter-
suchungen bei den Gunantuna nach wie vor als vortrefflich
bezeichnet werden.

Quakenbrück. H. Vorwahl.

Bu b e r, Martin, und Ro senzw e i g, Franz: Die Schrift und

ihre Verdeutschung. Berlin: Schocken-Verlag 1936. (351 S.) 8°.

Lw. RM 6-.

Die Schrift, zu verdeutschen unternommen von M. Buber gemeinsam mit
F. Rosenzweig. Das Buch der Preisungen. Verdeutscht von M. Buber.
Ebd. o. J. (276, 15 S.) 8°. Pp. RM 3.50 ; Lw. 5.25.

Theoretische Darlegungen und Rechtfertigungen
zu ihrer Übersetzer-Arbeit hatten beide Verfasser
Bereits vorgelegt. Teilweise waren sie in Zeitschriften
erschienen, teilweise auch als kleine Monographien oder
Sonderdrucke;so Franz Rosenzweig: Die Schrift und
Luther, 1926, Martin Buber: Über die Wortwahl in
einer Verdeutschung der Schrift, Lambert Schneider Verlag
, Berlin; Martin Buber: Zur Verdeutschung der „Preisungen
", ohne Jahreszahl und Verlag, etwa gleichzeitig
mit dem vorliegenden Werke.

Diese 3 mitsamt einer ganzen Reihe weiterer Abhandlungen
und „Anhängen" werden nun hier in stattlicher
Buchform vereinigt herausgegeben. Die Reihenfolge
ist die, daß zuerst vom Bibelverhältnis des heutigen
Menschen gesprochen wird, an den sich ja die
Übersetzung wenden will. Dann folgt ein Aufsatz über
die Einheit der Bibel, dann die eigentlichen Abhandlungen
über Ziel und Aufgaben des Übersetzers, z. T.
durch historische Betrachtungen (Die Schrift und Luther
, Einwirkung der hebräischen Bibel auf Goethe)
unterstützt. Auseinandersetzungen mit Kritikern und abschließende
Leitsätze schließen sich an. Der Anhang

bringt „allerlei illustrative Materie", wie Buber selbst sagt.

Der eingangs abgedruckte Vortrag von 1926 versucht
die Lage zu zeichnen. Der Verfasser (Buber) fühlt
selbst, daß das Bild der jüngsten Gegenwart dem Ausgeführten
nicht mehr ganz entspricht; vergl. die An-
! merkung auf S. 18. Aber die Zeichnung bleibt trefflich.

Auch, wenn frühere Geschlechter nein zur Bibel sag-
I ten, war das eine Bestätigung ihres Anspruchs. Der
I heutige Mensch „stellt sich dem biblischen Wort nicht
j mehr"; er bringt das Wort in einer der vielen unhei-
I ligen Laden unter und hat seine Ruhe davor" (S. 18).

„Es gilt nicht eine Rückkehr zur Bibel. Es gilt die
j Wiederaufnahme biblischen Einheitslebens mit unserem
j ganzen zeitverflochtenen Wesen . . ." (S. 45). Zur T h e-
1 o 1 o g i e vergl. etwa Rosenzweigs scharfgeschliffene
Sätze auf S. 52: Die Scheidung zwischen „Wissenschaft
I und Religion", der vorletzte Schrei der protestantischen
Theologie . . . „stammt von Kant — umso schlimmer
für Kant! Er stimmt sich auf die Barth- und Gogarten-
! weis — umso schlimmer für Barth und Gogarten!"
Gute Wegweisung zum Bf beiverhält nis zu
rechter „theologischer" Einstellung, finden wir man-
i cherlei. Rosenzweig, S. 46: „Wenn Wellhausen mit
I all seinen Theorien recht hätte . . . ., würde das un-
I seren Glauben nicht im mindesten berühren." Rosenzweig
S. 257f.: „Die Einzigartigkeit der Bibel läßt sich
unwiderleglich aufzeigen nicht am geschriebenen, son-
I dern nur am gelesenen Buch. Die Bibel ist nicht das
schönste Buch der Welt, nicht das tiefste, das wahrste

I....., sondern „das wirklichste."

Die Sprache und Stil des A. T. behandelnden
Aufsätze und Vorträge geben dem Fachgelehrten man-
j cherlei Anregung. Ihre Stärke und eigentümliche Note
beruht darin, daß diese Beobachtungen doch eben aus
' einer innigeren Lebensgemeinschaft mit dem hebräischen
! Bibeltext erwachsen sind als etwa die christlicher Theo-
| logen. Sehr feine Ausführungen, die heute eigentlich
! im Lager evangelischer Theologie offene Ohren finden
j müßten, betreffen die alttest. Sprache als „Sprache der
j Botschaft", als solche ihre Formkraft in der Rhythmik
besitzend. Wichtig sind hier die Gedanken über den
„Leitwortstil in den Erzählungen des Pentateuch", S.
211 f. auch über „das Formgeheimnis der biblischen
j Erzählungen", S. 239 ff. Gute stilgeschichtliche Ein-
1 zelbeobacntungeu bieten etwa die Seiten 58 ff.; 250 ff.
Zum eigentlichen Problem des Übersetzens, wie
es von den Verfassern gesehen wird und zu ihrem Weg
der Lösung habe ich in meiner ausführlichen Erstbesprechung
des Bibelwerkes im Jahrgang 1930 dieser
Zeitschrift seinerzeit Stellung genommen: Hier hat man
nun vielseitige Äußerungen handlich beisammen, die
seinen ganzen Umkreis betreffen.

Gerade Buber hat in seinen Aufsätzen und Schriften
I seit langem auch unserer Fach- und Gesamt-Theologie
wie Kirche viel mehr zu sagen, als man nach dem gemeinhin
festzustellenden Widerhall annehmen könnte.
I Seine Schriften verdienen es wirklich, von den Theo-
' logen mehr gelesen zu werden. Schon in den „Reden
' über das Judentum" und im „Kampf um Israel" steht
j viel für Alttestamentier Lesenswertes; erst recht in
| dem wissenschaftlich ausgiebig und gründlich unterbau-
j ten „Königtum Gottes". Hier ist theologische Haltung,
j aber in organischer Verbindung mit strenger und „zünftiger
" Wissenschaftlichkeit, und dies bei einem jüdischen
! Forscher! Buber schreibt zugleich in fesselndem Stil.
I Daneben tritt, nicht weniger packend, Rosenzweigs poin-
I tierte und oft herausfordernde, aber weithin das Rieh-
; tige treffende Sprechweise. Persönliche Bekundungen
! und Streiflichter aus der Werde-und Kritikgeschichte des
Werkes beleben das Sammelwerk; besonders anteilhei-
! sehend werden solche Ausführungen, wo sie die lang-
; jährige Krankheit Rosenzweigs betreffen.

Den neuen Übersetzungsband nennt Buber
in wörtlicher Übertragung des hebräischen Namens „Preisungen
".