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Ausgabe:

1937 Nr. 24

Spalte:

439-444

Autor/Hrsg.:

Heussi, Karl

Titel/Untertitel:

War Petrus in Rom? 1937

Rezensent:

Molland, Einar

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 24.

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testantische Christentum die Erdbestattung kein No-
limetangere ist, beweist die Tatsache, daß von 16 schwedischen
Krematorien 8 kirchlich erbaut und verwaltet
werden. Wohl aiber ist zu bedenken, ob nicht durch
Sätze wie den folgenden: „Wer kann mit Grauen an
den Tod denken, wenn rund um uns alles Schönheit
und Leben ist?" nicht der Ernst des Todesgedankens
verharmlost wird. Ebenso gehört die Bezeichnung der
„Seelenfeier", die nicht an anberaumte Totensonntage
und oberflächlich nach dem Kalender orientierten Fried-
hofsbesueh gebunden sei, als „neuen keines Priesters
bedürftigen Gottesdienst" einem Wortschatz an, der
wenig zu der Behauptung paßt, daß zwischen der Religion
Christi und den Vorstellungen der nordischen- Völker
kein Gegensatz sei. Wenn aber die Tatsache, daß
die Feuerbestattung ihre Sympathie wesentlich ästhetischen
und hygienischen Erwägungen verdanke, mit der
Neigung des nordischen Menschen zum verinner-
lichten Denken widerlegt werden soll, übersieht der
Verfasser, daß die Wiedergeburt der Feuerbestattung
in — Mailand erfolgte und der Verband der Freidenker
der stärkste Träger der Feuerbestattungsbewegung war.
So handelt es sich bei der „nordischen" Aufmachung
der Feuerbestattungswerbung um einen Parallelfall zu
dem Wiederbelebungsversuch des „gigantischen Bildes
Ernst Haeckels als eines der tiefsten Künder einer
arisch- lebansgesetzlichen Frömmigkeit" (Brücher-
Astel), gegen den E. Krieck und A. Bäumler im Interesse
der Sauberkeit des Denkens öffentlich Protest erhoben
haben.

Quakenbrück. H. Vorwahl.

Heussi, Prof. D. Dr. Karl: War Petrus in Rom? Leipzig: Leopold
Klotz Verlag 1936. (69 S.) 8°. RM 2—.

Lietzmann, Hans: Petrus, römischer Märtyrer. Berlin: Verl.
d. Akademie der Wissenschaften 1936. (21 S.) I.ex.-8°. = Sitzungsber.
d. Preuß. Ak. d. Wissensch. Phil.-hist. Kl. 1936. XXIX. RM 1—.

Heussi, Prof. D. Dr. Karl: War Petrus wirklich römischer
Märtyrer? Eine Auseinandersetzung mit Hans Lietzmanns Schrift:
Petrus römischer Märtyrer. Leipzig: Leopold Klotz Verlag 1937. (24 S.)
kl. 8°. = Sonderdruck a. „Die Christi. Welt" 1937, Nr. 4. RM — 30.
1. Im Jahre 1897 schrieb Harnack in seiner Geschichte
der altchristlichen Literatur:
„Der Märtyrertod des Petrus in Rom ist einst aus tendenziös
-protestantischen, dann aus tendenz-kritischen
Vorurteilen bestritten worden, in beiden Fällen hat der
Irrthum der Erkenntniß wichtiger geschichtlicher Wahrheiten
Vorschub geleistet, also seine Dienste gethan.
Daß es aber ein Irrthum war, liegt heute für jeden
Forscher, der sich nicht verblendet, am Tage." Dies
Urteil war um die Jahrhundertwende die communis
opinio fast aller protestantischer Kirchenhistoriker in
Deutschland geworden, wie H. in seiner Übersicht über
die Geschichte der Forschung zeigt (S. 12 f.), und sicher
auch außerhalb Deutschlands. Seitdem ist diese Meinung
durch Lietzmanns Petrus und Paulus in
Rom (i 1915, 2 1927) bestärkt, worden. Dies Buch behandelt
die Frage unter ganz neuen Gesichtspunkten,
nämlich denen der Archäologie und der Liturgiegeschichte
, und kommt zu dem Resultat, daß eine sehr
hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß die Gräber
der beiden Apostel tatsächlich dort sind, wo die kirchliche
Tradition sie angebracht haben, und daß die Tradition
über ihren Märtyrertod in Rom somit als sehr
zuverlässig betrachtet werden muß. Das Buch wurde
nicht nur von den katholischen Historikern mit großer
Freude begrüßt, sondern wurde auch in protestantischen
Kreisen allgemein als durchschlagend betrachtet.

Aber dissentierende Stimmen sind nicht ganz ausgeblieben
. H. erwähnt die Namen: Ch. Guignebert, Adolf
Bauer, E. T. Merrill, H. Dannenbauer, Johannes Haller.
Kürzlich hat auch Heussi sich ihnen angeschlossen,
nachdem er, wie er selbst sagt, noch bis vor wenigen
Jahren den römischen Aufenthalt des Petrus für „zum
mindesten sehr wahrscheinlich" gehalten hat.

H.s Büchlein durchprüft alle Argumente für die
jetzt allgemein rezipierte Meinung und kommt zu dem
Resultat: „Petrus hat die Tiberstadt nie betreten" (S.
C9). Dies wird als „ein sicheres, über den Bereich
I der bloßen Möglichkeiten hinausführendes Ergebnis"
(S. 3) dargestellt. Lietzmann (S. 21) ironisiert nicht
ohne Grund über diese sichere Zuversicht zu der Rich-
i tigkeit des Resultats, eine Zuversicht, die in der Ver-
; lagsreklame vergröbert auftritt: „Endlich ein sicheres
[ Ergebnis rein wissenschaftlicher Forschung!" Selbst
! könne L., wie er sagt, nur eine historische Wahrscheinlichkeit
, freilich eine sehr hohe, für die entgegengesetzte
These versprechen.

H. meint, daß die bisherige Forschung in dieser
Frage deshalb nicht zu einem sicheren Resultat gekommen
sei, weil sie nicht den methodisch richtigen
Ausgangspunkt gefunden habe. Sie habe sich von der
behaupteten Einhelligkeit der Überlieferung imponieren
1 lassen, ohne diese Überlieferung kritisch zu untersuchen,
i Sie sei auch in der Bewertung der einzelnen Zeugnisse
unsicher geblieben, weil sie nicht einen festen Aus-
| gangspunkt gefunden habe; ja, sie sei oft sogar „rein
I gefühlsmäßig" in ihrer Beurteilung der Dokumente ge-
| wesen (S. 14 f.). Aber ein fester Ausgangspunkt lasse
1 sich finden in I. Clem. 5 (S. 19 ff.), denn aus diesem
; Text könne man „einen ganz unbestreitbaren Sachverhalt
entnehmen" (S. 23). Ich muß gestehen, daß diese
Anklagen gegen die bisherige Forschung mir nicht berechtigt
erscheinen. Kann man eigentlich sagen, daß die
Forscher die Wichtigkeit der Stelle I. Clem. 5 unterschätzt
haben? Und ist Kritiklosigkeit der Tradition
gegenüber ein Merkmal der protestantischen Forschung
i des 19. und 20. Jh.s auf diesem Gebiet gewesen?

Ich habe den Eindruck, daß die Tendenz der deutschen
i protestantischen Forschung vielmehr die gewesen ist,
: alle quellenkritische Hypothesen äußerst radikal durch-
j zuführen, häufig sogar ohne sich von irgend einem
[ historischen common s e n s e zurückhalten zu lassen,
bis man am Ende des 19. Jh.s eben durch die Unwahr-
| scheinlichkeiten der vielen kritischen und hyperkriti-
j sehen Hypothesen zu einer größeren Zuversicht der Tra-
; dition gegenüber geführt werden mußte. Und was soll
man von der Gefühlsbetontheit der Quelleninterpreta-
! tion halten? Wenn irgend eine Gefühlsbetontheit sich
! bei den protestantischen Kirchenhistorikern des aus-
I gehenden 19. und beginnenden 20. Jh.s geltend gemacht
i hat, was nicht leicht zu glauben ist, müßte es wohl eine
gewisse anti-römische Stimmung gewesen sein, wie sie
! in der älteren protestantischen Forschung merkbar ist.

Der Gang der Untersuchungen H.s ist folgender:
| Zuerst wird das Zeugnis des Clemensbriefes untersucht.
| Daraus ergibt sich für ihn als unzweifelhaftes Resul-
j tat, daß ein römisches Martyrium des Petrus ausgeschlossen
sei- Weiter konfrontiert er den ersten Petrus-
1 brieF und die Ignatiusbriefe mit diesem Ergebnis und
i fragt, ob sie von dieser Voraussetzung aus zu verstehen
sind. Die Frage wird positiv beantwortet. Da-
i nach zieht er andere Argumente heran, wie das Schweigen
des Papias und Justins über einen römischen
Aufenthalt des Apostels. Die Legende vorn Aufenthalt
und Märtyrertod des Petrus in Rom findet er erst um
170 bei Dionysius von Korinth, und wahrscheinlich
I kurz vor ihm bei Hegesippus. Er verfolgt dann diese
Legende in die jüngeren Quellen. Zuletzt wird Lietz-
! manns archäologisches Räsonnement kurz behandelt und
' entkräftet.

Man sieht aus diesem Referat, wie I. Clem. 5 in der-
jüngsten Kontroverse über die Petrusfrage der springende
Punkt' werden mußte. Die Interpretation dieses

, Textes nimmt auch in allen drei Schriften die meisten

; Seiten auf.

Wie bekannt, findet man unmittelbar nach den Zeilen über Petrus
i und Paulus (5,2-7) einen Abschnitt über „eine große Schar von Aus-
, erwählten", die in vielerlei Martern und Qualen ausgehalten haben und
j „den edlen Preis", offenbar den Preis der Märtyrer, erlangt haben. In
! dieser Schar hat man allgemein die Opfer der lokalrömischen Christen-