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Ausgabe:

1937 Nr. 24

Spalte:

436-438

Titel/Untertitel:

Recherches théologiques 1937

Rezensent:

Kalthoff, W.

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 24.

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sten, seine Majestas, macht Mühlmann den Eindruck
einer seelischen Überkompensation.

Sein religionspsychologisches Rüstzeug verdankt
Mülilmann nun wesentlich den Werken Rudolf Ottos,
denen er weithin in der Terminologie und Materialauswertung
folgt. Wenn er dann aber einfach Hauers Gegenüberstellung
von indogermanischer und vorderasiatischer
Glaubenswelt als heldischer und magischer Einstellung
folgt, um die nordische Religiosität zu charakterisieren
, entgeht ihm K. Beths Feststellung, daß die
arischen Völker eine ausgesprochene Neigung zur Hypo-
stasierung göttlicher Abstrakta zeigen, und verläßt eisernen
eigenen Grundsatz, daß die seelische Variationsbreite
zu groß sei, um mit stilisierten Vorstellungen
oder „Eigenschaften" eine brauchbare Rassenpsycbologie
zu gewinnen. Er verweist dafür selbst auf Rivers
Theorie einer Blauschwäche von Oberägyptern und Papuanern
, gegen die Mc. Dougall einwandte, daß sie sich
daraus erkläre, weil kein emotionelles Interesse an der
Farbe vorlag. So wird auch Lcvy-Bruhls Begriff des
prälogischen Denkens richtig kritisiert: Wenn für Krankheit
und Tod eines Menschen ein Zauber verantwortlich
gemacht wird, ist das eine logische Deutung, sobald man
das Maß von Wissen und Naturbeherrschung zugrunde
legt, über das der betr. Mensch verfügt. Dieser „phänomenologische
" Ansatz verbietet nach Mühlmann ein- für
allemal, das Denken der Naturvölker als seinem Wesen
nach magisch zu bezeichnen.

Ist nun die Wirtschaftsweise des Australiers eng
verwoben mit seiner Weltanschauung, wie Mühlmann
aufweist, so wird die Oberflächlichkeit von Anklagen
deutlich, welche die Missionierung mit Völkerentartung
gleichsetzen (A. Miller). Mühlmann betont vielmehr,
daß das Aufhören der ewigen Fehden und Kopfjägerei
für die christlichen Papuagemeinden eine Befreiung von
ewigem Mißtrauen und dauernder Verängstigung und
eine wahrhafte „Erlösung" vom Übel sei. Zu ihr komme
noch die innere Befreiung, die zahlreiche kulturelle
Kräfte freimache, die vorher gefangen lagen. Auf allen
Dörfern lag ein seelischer Druck, der da, wo das Christentum
Fuß gefaßt hat, gewichen ist. Die von der
Mission als Bibelsprache gewählte Käte-Sprache wird
sogar zu einem Mittel völkischer Einigung. Die Bedeutung
des Christentums für die völkische Selbstbesinnung
Chinas und den chinesischen Nationalismus macht Mübl-
mann an der Gestalt Dr. Sun Yat-sens klar, der christlich
erzogen wurde und sich zeitlebens als Christ bezeichnete
. Diese Ausführungen hätten noch unterstrichen
werden können durch die Karfreitagsbotschaft des chinesischen
Marschalls Chiang Kai-shek, der seit 10 Jahren
Christ sich zu Sun Yat-sen als Christen bekennt, der
seine Liebe und sein Eintreten für die schwachen Rassen
von Jesus bekommen habe. Auch bei dem Negerführer
B. T. Washington, einer echten Führerpersönlichkeit,
fehlt der religiöse Zug nicht: Die Geschichte der Kinder
Israel, ihre Knechtschaft in Ägypten, die vierzigjährige
Wanderung, das alles wird auf das Schicksal der
Neger angewandt. Aus dem Gefühl der Unterdrückung
und deren Spiegelung in der Geschichte Israels entwickelte
sich das Bewußtsein der Neger, einem auserwählten
Volke anzugehören sowie die Idee einer „Mission
" ihrer Rasse. Die Parallele zum Judentum erstreckt
sich auch auf den Widerstand der intelligenten
Neger gegen die Garvey-Bewegung einer Rückverpflan-
zung nach Liberia.

Es ist nur ein bescheidener Ausschnitt, den das
Referat aus der wirklich überquellenden Fülle der behandelten
Probleme sichtbar machen konnte. Man möchte
für ihren Umfang das Rahmenthema „Mensch und Umwelt
" vorschlagen, bei dem deutlicher würde, daß die
Darstellung keine Rücksicht auf die herkömmlichen
Grenzen der einzelnen Wissenschaften nimmt, sondern
ein Material verarbeiten mußte, das sich auf Völkerkunde
, Soziologie, Geschichte, Psychologie und Religionswissenschaft
erstreckt. Naturgemäß geht eine

solche Darstellung über die Kraft eines einzelnen For-
I schers weit hinaus, aber dem Versuch Mühlmanns muß
nachgerühmt werden, daß er von einer ungewöhnlichen
Beherrschung der verschiedenen Stoffgebiete getragen
ist, stets vorsichtig abwägend nur die gesicherten Ergebnisse
verwertet und in Nüchternheit und Objektivität
des Urteils vorbildlich ist. So kritisiert er die „merk-
j würdige Befangenheit, völkerkundliche Parallelen zu ger-
! manischen Erscheinungen wirklich ernst zu nehmen",
! wie den ungesunden „Autismus", der die wissenschaftliche
Beschäftigung mit Fremdvölkern für überflüssig erklären
möchte. „Die farbige Gefahr wird nicht durch
magische Beschwörungen oder das Verfahren des Vogel
Strauß gebannt, sondern durch Beschäftigung mit den
Fremdvölkern." Denn gerade der völkerkundliche Hori-
| zont ist es, der uns von den Naturvölkern unterscheidet,
deren Charakteristikum Raumgebundenheit und Enge,
damit aber auch Irrtümlichkeit des Weltbildes ist. Darum
• kann der wirklich gelungenen großartigen Zusammen-
! schau, die mit ihrem weitgespannten Rahmen und prächtigen
Anschauungsmaterial tiefe Einblicke und weite
; Überblicke vermittelt, ein voller Erfolg gewünscht werden
. Daß angesichts der großen laufenden Arbeiten,
, die gerade auf unserem Gebiet alles im Fluß erscheinen
j lassen (Vergl. den Literaturbericht von A. Harasser in
Münch, med. Woch. 1936 Nr. 47—51) Mühlmann gewagt
! hat, den gesicherten Stand des Wissens zur Darstellung
j zu bringen, ist ebenso verdienstvoll wie seine Mah-
1 nung an die Forschung, sich das Maß von historischem
[ und soziologischem Realismus anzueignen, das ihr bisher
I noch abgehe. Durch seine „fundamental-ontologische"
! Fragerichtung, die aller parolenhaften Simplizität und
j allem Naturalismus zum Trotz das Spezifische des
menschlichen Daseins zu erfassen sucht, wird Mühl-
mannis „Rassen- und Völkerkunde" zu einem gar nicht
I nachdrücklich genug zu empfehlenden Standardwerk,
j das einem dringlichen Bedürfnis unserer Zeit Abhilfe
i schafft.

Quakenbrück. H. Vorwahl.

| Recherches theologiques par Ies professeurs de la Faculte" de Theologie
protestaute de l'Univ. de Strasbourg. No. , A la memoire
de Guillamne B a! de n sp er ger (1856 — 1936). Paris: F£lix
Alcan 1936. (26TS.) gr. 8°.

Die Straßburger evangelisch-theologische Fakultät
| plante, ihren Ehrenmitgliedern J. Monnier und G. Bal-
| densperger zum 80. Geburtstag einen Band der Revue
! d'Histoire et de Philosophie Religieuses als Festschrift
! zu überreichen. Da starb Baldensperger am 30. Juli
j 1936, und so ist aus der Geburtstagsgabe ein Ge-
' dächtniswerk geworden, zu dem gemeinsam mit den
j übrigen Fakultätsmitgliedern nun auch der Jubilar J.
i Monnier beigesteuert hat. Das Werk erscheint gleich-
j zeitig als Nr. 3—4 der Revue und, mit selbständiger
Paginierung, als Band 1 der Recherches theologiques.

Auf einen Nachruf, der Leben und Werk des verstorbenen
Gelehrten würdigt, folgen elf thematisch sehr
' weit auseinanderliegende Aufsätze. — 1) Jean Monnier
kennzeichnet anhand des Gleichnisses vom verlorenen
i Schaf die göttliche Gnade als generosite parfaite und
! betont das all denen gegenüber, welche heute die strenge
: calvinistische Prädestinationslehre erneuern möchten. —
! 2) Jean Hering stellt den christologischen Hymnus Phil.
2,6—11 ins Licht der paulinischen Anthropos-Speku-
lation. Den Anfang von V. 6 übersetzt er so: (L'Adam
! Celeste) existait comme Image de Dieu. V. 7 bedeutet
dann: Jener himmlische Adam „hat nicht den unsinnigen
Plan gefaßt, sich gewaltsam der Gleichheit mit Gott
zu bemächtigen, die er noch nicht besaß". Das unter-
i scheidet ihn von dem irdischen Adam, der sich durch
j das Eritis sicat Deus verführen ließ. Bei der Kcnosis
! handelt es sich nicht um ein Deus fit homo, sondern
I um ein HOMO fit homo. Diesen homo gewordenen
| Anthropos erhöht Gott zum Kyrios. Auf diese Weise
vollendet und schließt sich für Hering der ganze Span-
! nungszusamrnenhang der paulinischen Christologie. —