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Ausgabe:

1937

Spalte:

430-432

Autor/Hrsg.:

Frör, Kurt

Titel/Untertitel:

Was heißt evangelische Erziehung? 1937

Rezensent:

Schröder, Kurt

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42!)

Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 23.

4H0

wird betont, daß zunächst die basileia als Erlösung,
als Gabe Gottes verkündigt wird (S. 89—97), sodaß
ßao&eia und öixaioauvn, nicht zusammenfallen, daß aber
gleichzeitig die Vorbereitung auf ihr Kommen durch
dk Erfüllung des Gesetzes in der Nachfolge und im
Geiste Jesu zur sittlichen Pflicht erklärt wird. In dieser
„Gerechtigkeit" offenbart sich einerseits die Tatsache
der Begnadigung und andererseits der Beherrschungscharakter
der ßaciXeu» (S. 118. 138). Darum ist
die Gesetzeserfüllung auch nicht Scheinforderung (143)
oder Verlagerung in die Gesinnung (146—152), nur
muß man das Gesetz in seinem Zusammenhang, in
seiner Tiefe und seiner Abzweckung, gleichsam in seiner
perspektivischen Verlängerung erfassen (145—179).

Gegenüber der dualistischen Auffassung des Geltungsbereiches
der sittlichen Forderungen Jesu (Katholische
Kirche, Luther, Holtzmann, Naumann, Troeltsch,
Baumgarten, Harnaek, Feine, Dibelius, Bultmann usw.)
vertritt R. ihre einheitliche Gültigkeit auch im gegenwärtigen
Äon (183—242), aber nur im Rahmen der unveränderlichen
Gültigkeit von Gesetz und Propheten
(243—246. 259 etc.) und als beispielhafte Beleuchtung
der Grundtendenz beider. Die Erfüllung im neuen Geiste
ist nur Erfüllung ihres immanenten, ursprünglichen Willens
. Jesu „einseitige" Beleuchtung liegt zum Teil in
der Form seiner Rede, zum Teil in seiner Blickrichtung
auf die mit ihm gekommene, zur Ausbreitung bestimmte
ßao&eta, deren Transzendenz die irdische Theo-
kratie ablöst. Für die Zwischenzeit sind aber Gesetz
und Propheten keineswegs aufgehoben oder gegenstandslos
, sondern die Erfüllung ist nur geistiger und persönlicher
gestaltet. Die Erfüllung des Gesetzes erfordert
Opferwillen, Hingabe, Dienstbereitschaft, und ohne das
ist keine Erfüllung. Ob aber im Einzelfall das Recht
oder die Liebe das letzte Wort haben soll, hat das Gewissen
derer zu entscheiden, die Gesetz und Propheten
kennen (254. 256). Jesus verbietet z. B. nicht den Zorn
an und für sich, sondern nur sofern er ein Beweis von
Lieblosigkeit ist, und er gebietet nicht den Verzicht auf
jede Abwehr als neues Lebensprinzip, sondern nur soweit
die Liebe ihn fordert. Jesus gibt keine neuen Gebote
, sondern stellt uns vor die Verpflichtung, alte Aufgaben
in neuem Geiste zu lösen. „Im Gehorsam gegen
die Forderung der Selbstverleugnung liegt das Problem
der Bergpredigt" (267). — Diese Lösung ist nicht so
neu wie sie R. erscheint. Man müßte nur neben der
„wissenschaftlichen" Theologie mehr die „praktische"
Theologie berücksichtigen. Die Predigt hat ähnliche Lösungen
immer versucht; ich darf vielleicht auf mein
eigenes Predigtbuch „Vom Reiche Gottes" S. 549—554
verweisen.

Van de P o l's Buch ist eine erweiterte Dissertation.
Er will nicht die unübersehbare Zahl der Lebensbeschreibungen
von Newman vermehren, sondern den innersten
Trieb dieses Lebens, seine Seele, erfassen. Und
tut das mit einer Aufgeschlossenheit und Umdenkungs-
willigkeit (S. 8), daß auch ein Katholik nicht mit mehr
Sympathie seinen Wandlungen folgen könnte. D. h.
nach v. d. P. liegt überhaupt keine Wandlung vor,
sondern für Newman war die Erfahrung der Wirklichkeit
Gottes von Anfang bis ans Ende Lebensziel, und da
er sie im der Anglikanischen Kirche nicht real genug
fand, m u ßte er sie suchen in der Kirche, die die „eine"
zu sein behauptet und in ihrem Sakrament die Ewigkeit
sichtbar immer aufs neue entstehen läßt. So wird für
v. d. P. das Problem N. zum Problem von der Kirche,
das N., mehr Mystiker als Philosoph oder gar Systematiker
, erlebt hat vom „existentiellen" Kampf um die religiöse
Selbstbehauptung her. Das Wertvollste in diesem
Buch ist die restlose Ausschöpfung der autobiographischen
Stellen in Briefen, Predigten und Hauptwerken
und die eingehende Darstellung des Anteils N.'s an der
Oxfordbewegung (S. 60—249), die, N. zunächst noch
unbewußt, ihn in den Katholizismus führen mußte, wo
er erst ganz aus dem Sakrament leben konnte. Der Verfasser
will offenbar mit seiner Studie einen Beitrag liefern
zur Wiedergewinnung der Ökumenizität der Kirche,
die „abhängt von der Wiederbelebung des Bewußtseins

: einer konkret nachweisbaren, mystisch-sakramentalen
Einheit" (S. 296). Ich sehe darin vielmehr den Nachweis
, wie die heute so beliebte einseitige Betonung der
Kirche als corpus Christi mysticum und die Überschätzung

j der Sakramente zur Priesterkirche und' zur Preisgabe

j des schlichten Evangeliums von Jesus Christus führt.
Rein äußerlich habe ich noch zu bemerken, daß

I die deutschen Zitate bei van de Pol tadellos sind, bei
Ridderbos einige Fehler aufweisen (S. 9, 110,147, 153
162, 167, 189, 247, 252), bei Aalders einen stärkeren
Kampf mit den Schwierigkeiten der deutschen Grammatik
beweisen (S. 21, 35, 45, 65, 79, 84, 185, 196
etc.)

Berlin. August Schovcalter.

Mie, Prof. Dr. Gustav: Die Denkweise der Physik und ihr Einfluß
auf die geistige Einstellung des heutigen Menschen.

Stuttgart: Ferd. Enke 1937. (37 S.) gr. 8°. RM 1 -.

Der bekannte Physiker, jetzt im Ruhestande in Frei-
t bürg lebend, nimmt in dieser kleinen Schrift von neuem
j das Wort zum Problem Wissen und Glauben. Eine
i Analyse der physikalischen Begriffsbildung zeigt, daß
| die Physik es nur mit „definiten Begriffen" zu tun
hat und daß der Bereich ihrer Anwendbarkeit sich deshalb
auch nur so weit erstreckt als unser Verstand
I mit solchen Begriffen an die Welt herankommen kann.
Ihnen 9tehen die „lebendigen Begriffe" gegenüber, wie
sie schon in der Biologie (Ganzheit, Zweckmäßigkeit
usw.) unvermeidlich sind, und wie sie in den Geistes-
] Wissenschaften ausschlaggebend sind. Mit ihrer Hilfe
j versucht insbesondere der Historiker das immer ein-
j malige Geschehen in der Menschheitsgeschichte „einfühlend
" nachzuerleben, mit mathematischer Begriffs-
j bildung hingegen wie in der Physik wäre hier nichts zu
inachen. Auf dieser Basis gibt Mie am Schluß eine
kurze Rechtfertigung des religiösen Erlebens als eines
nder"-Glaubeins. Es handelt sich dabei nach ihm
nicht um andersartige Vorgänge, vielmehr um eine
andere Betrachtungsweise und Erlebensweise der Vor-
! gänge im eigenen Leben oder in der Geschichte. Der
Sprung von da aus zu einer Apologie des Apostolikums
ist ein etwas plötzlicher. Es dürfte die dabei in Rede
stehenden Schwierigkeiten kaum richtig charakterisieren,
i wenn man sagt, es habe „sogar Pfarrer gegeben, welche
| meinten, daß man den Ansprüchen der modernen Zeit
nachgeben müsse, und welche versuchten, das Glaubensbekenntnis
so zu formulieren, daß es naturwissenschaftlich
einwandfrei sei". Natürlich ist es richtig, daß „Bibel
und Bekenntnis uns nicht naturwissenschaftlich belehren
wollen" — aber es ist ebenso unbezweif elbar, daß sie uns
; in einem erheblichen Umfange historisch belehren
woller. oder zum mindesten seitens einer großen und
maßgeblichen Mehrheit in den christlichen Kirchen dahin
verstanden worden sind und noch werden, daß sie das
wollten. Die von Mie hier abgelehnten „Pfarrer" (lies:
die ganze Richtung des freieren Protestantismus) haben
aber gerade diesen Eindruck, daß die fraglichen hi-
1 storischen Aussagen zu einem wesentlichen Teile,
rein tatsächlich angesehen, als unzutreffend erkannt worden
sind. Das hat also mit einem Anlegen von naturwissenschaftlichen
Maßstäben an religiöse Erlebnisse
nicht das Mindeste zu tun. Von diesem Bedenken
abgesehen kann ich die kleine Schrift als einen wertvollen
Beitrag zur Klärung der Geister über das physikalische
Denken gern empfehlen.
Bielefeld.__Bavink.

! Frör, Kurt: Was heißt evangelische Erziehung? Gmndlegung
1 einer evangelischen Lehre von der Erziehung. München: Kaiser Verlag

1933. (119 S.) Kirche und Erziehung. Pädagogische Schriftenreihe der

evangelischen Schulvereinigung. Nr. 7.

In der Mitte der Untersuchung Frörs zu der Frage
nach der evangelischen Erziehung steht die Abgrenzung