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Ausgabe:

1937 Nr. 2

Spalte:

399-401

Autor/Hrsg.:

Dibelius, Martin

Titel/Untertitel:

An die Thessalonicher I, II, an die Philipper 1937

Rezensent:

Lohmeyer, Ernst

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399

Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 22.

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Zum Schluß wird der Untergang des Heidentums
oder die Bekehrung zum Christentum in den skandinavischen
Ländern geschildert, die zunächst eine Mischling
von Heidentum und Christentum bewirkte. An diesem
selbst habe für die Oermanen der Glaubensinhalt weniger
bedeutet, als seine in den Kulthandlungen sich
zeigende Form, aber trotzdem sei bei vielen Bekehrten
auch eine wirkliche Umwandlung des Herzens eingetreten
. Überhaupt dürfe man (S. 439) „behaupten, daß
das Volk als Ganzes für diesen Übergang schon reif
geworden war; denn in einer merkwürdig kurzen Zeit
hat das Christentum die Überhand gewonnen." Das
noch weiter auszuführen, war natürlich nicht mehr die
Aufgabe von de Vr., dessen Werk auch in diesem 2.
Band (und natürlich ebenso in den Abschnitten, die genau
genommen nicht in ihn gehörten) dieselben hohen
Vorzüge, wie in dem 1., aufweist und so als die zweifellos
beste Darstellung der altgermanischen Religionsgeschichte
bezeichnet werden darf, die wir jetzt haben.

Bonn. Carl C1 e m c n.

Di beli us, Prof. D. Dr. Martin : An die Thessalonicher 1. II, An

die Philipper. Dritte, neubearbeitete Auflage. Tübingen: J. C. B.
Mohr (Paul Siebeck) 1937. (98 S.) gr. 8°. = Handbuch z. NT, hrsg.
v. Hans Lietzmann. 11. RM 4.20; Hlw. 5.55.

Es ist ein in mancher Hinsicht erfreuliches Zeichen,
daß Dibelius seine Erklärung zu den Briefen an die
Thess. und an die Phil, schon zum dritten Male hat
herausgeben können. Wenige Kommentare vereinigen
auf so knappen Räume Reichtum des Materials und
Nüchternheit des Blicks, Weite des Urteils und Besonnenheit
der Kritik. Stellung und Art dieses Kommentars
sind zu bekannt als daß sie noch einmal dargestellt
zu werden brauchten; wohl aber bedürfen die
mancherlei Änderungen, welche diese dritte Auflage gegenüber
der zweiten kennzeichnen, einiger erläuternder
Worte.

Der Umfang des Kommentars ist äußerlich von 76
auf 98 Seiten erweitert; und diese Erweiterung kommt
vor allem dem Philipperbrief zu Gute (1. Thess. + 5
Seiten, II. Thess. + 3, Phil. + 13 Seiten). Keine Seite
der bisherigen Erklärung ist unverwandelt geblieben;
überall finden sich Verbesserungen und Verdeutlichungen
, Zusätze und auch Streichungen des entbehrlich
Gewordenen. Die Literatur in Einzelfragen ist überall
ergänzt; bei den mancherlei Bemerkungen über die Formel
„in Christus" wäre wohl auch die scharfsinnige
und neuartige Arbeit von W. Schmauch (1935) einer
Erwähnung wert gewesen. Das philologisch-historische
Material ist bei den Thess. hier und da vermehrt worden
, und wie mir scheinen will, ist manches hellenistische
geopfert und manches jüdische neu aufgenommen (s.
z. B. zu I. Thess. 4,4, II. Thess. 2,6). Im ganzen
scheint die Erklärung noch stärker als bisher darauf
bedacht, den theologischen Gehalt des Textes herauszuarbeiten
, dem treffenden Wort gemäß, das gelegentlich
neu fällt (zu I. Thess. 2,16): „Der Weg zum
theologischen Verstehen führt über eine ehrliche Philologie
, nicht nur der Worte, sondern auch des Stiles."
So finden sich manche Bemerkungen über die „Be-
rufungstheologie" des Paulus (s. z. B. zu I. Thess.
2, 18), häufiger noch andere, die den sachlichen Abstand
einzelner paulinischer Begriffe von ihren jüdischen
oder hellenistischen „Analogien" messen (s. z. B. über
jiaoovoCa zu I. Thess. 2,20). Im ganzen ist die Erklärung
der beiden Thess.-Briefe wohl nicht anders,
aber reicher und tiefer geworden; dazu tragen besonders
einige neue Exkurse bei, so über axeüoc und
fCT(ivTi)aiq, über die Methode der urchristlichen Mission
oder den stilistischen und sachlichen Unterschied zwischen
I. und II. Thess. Für das literarische Verhältnis
beider zu einander findet sich neu der Gedanke,
daß I. Thess. an den Leiter der Gemeinde gerichtet,
II. Thess. darüber hinaus zur feierlichen Verlesung im
Gottesdienst bestimmt sei; daher stamme die unpersön-

' lichere Note, die der Brief, verglichen mit I. Thess.,
trage.

Am ausführlichsten ist die neue Bearbeitung bei
dem Phil., und hier vor allem bei dein locus classicus
der Christologie 2,6—11, dessen Erklärung sich von
I 3 auf 10 eng gedruckte Seiten vermehrt hat. D.
j legt allen Nachdruck auf die „poetisch-hymnische Art"
der Sätze, läßt auch die Übersetzung in Zeilen (nicht
auch in Strophen) drucken, und gliedert in 7 (= vs.
6,7) = 5 (= vs. 8,9) + 6 (- vs. 10,11) Zeilen. Dem
syntaktischen Bau des großen Gefüges scheint mir diese
Gliederung nicht zu entsprechen; darf man das <UW in
2, 7 übersehen, die Macht des 816 in 2, 9 schmälern und
j das ivu in 2, 10 gar zum Zeichen eines neuen Hauptsatzes
umwandeln: „Nun falle auf die Knie"? D. stützt
sich dabei auf die Zusammengehörigkeit der beiden
Satzglieder mit ölioicojio. und oxrjfja, die es verbiete sie
j auseinanderzureißen. Aber die Zusammengehörigkeit ist
j nur auf die klangliche Ähnlichkeit der Wörter gegründet;
I ihren Sinn bestimmt auch D. verschieden. Wichtiger frei-
i lieh als die Fragen dieser formalen Gliederung, in denen
die Richtigkeit der einen oder die Falschheit der anderen
j kaum schlüssig sich aufzeigen läßt, ist ein darauf gestützter
exegetischer Grundsatz: Die Sätze seien nicht
dogmatisch streng, sondern „poetisch-hymnisch" zu in-
i terpretieren; d. h. weiter: nicht im Sinne einer dogina-
i tischen Terminologie, sondern aus dem Bedürfnis nach
' „Farbigkeit" und „illustrierender Abwechslung". Über
das Negative wird man sicherlich mit D. der gleichen
i Meinung sein, ob auch über das Positive? Auch Hym-
| nen können „streng" sein, wenn auch nicht im Sinne
j eines dogmatischen Begriffs, sondern eines zwingenden
Wortes, das den gemeinten Gehalt wie mit plötzlichem
Licht durchleuchtet; und ich meine freilich, in diesem
! wortkargen Hymnus, der, literarisch gesehen, alle Fülle
j des Herzens wie unter der Decke einer mythischen Erzählung
verhüllt, diese „Strenge" deutlich genug ausgeprägt
zu finden. Zumindest scheint es mir für die erste
i Hälfte des Hymnus charakteristisch, daß er den Weg
i der göttlichen Gestalt in und durch das menschliche
Dasein wie im Dunkel von Andeutungen verbirgt. Solcher
formal und sachlich bedingten Kargheit erscheint es
j mir nicht gemäß, 017. donwvnov fiyirjflroto zu mildern in
„aber nicht auf Würde bedacht", wobei das Verhältnis
von Haupt- und Nebensatz umgekehrt ist, oder
! Fxfvmaev emmiv zu umschreiben mit „gab Würde und
Hoheit preis", wobei die Schärfe des eavr6v stumpf
wird. Um so lieber wird man dann der sachlichen Einordnung
in die urchristliche Theologiegeschichte zustdm-
| men; aber ein wenig verschiebt sich auch hier der
Aspekt. Der Satz: „Im Vordergrund des christologi-
schen Interesses bei Paulus steht nicht die Person,
sondern das Werk Christi", ist für Paulus unbezweifel-
bar richtig; aber ist er es in gleichem Maße auch für
diesen Hymnus, der, wie auch D. hervorhebt, von dem
Heilswerk Christi schweigt und dafür das Ich dieser
i Gottesgestalt so nachdrücklich in die Mitte rückt? D.
lehnt den Schluß, daß der Hymnus älter sei als Paulus
, ab (natürlich auch den unbegründeten Einfall, er
| sei jünger als der Apostel und stamme von Marcion),
aber eben seine eigenen Beobachtungen scheinen ihn
mir von neuem nahe zu legen.

Auch in den übrigen Abschnitten des Briefes ist
vieles geändert. Stärker tritt die Märtyrersituation des
Paulus hervor; dieser ähnlich gilt auch die Situation
der Gemeinde, die „in einem wirklichen Kampf steht",
, wenn auch hier der Name Martyrium abgewiesen wird-
Den Abschnitt 3,7 ff. möchte D. nicht mehr auf die
„Bekehrung" beziehen, sondern auf das „Verständnis
; der ganzen Existenz", wie es gewiß auch richtiger
; ist; ähnlich den Ausdruck t£a.v&tnaou; ä vexpräv in 3,11
1 „von dem, was mit Mvapt$ Tfi? «varrcuoEox; avxov gemeint
war, unterscheiden". Die Frage der Episkopen ist mit
j noch reicherem Material und wohltuender Nüchternheit
! behandelt; es bleibt nur nach W. Bauers bekannten