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Ausgabe:

1937

Spalte:

388-389

Autor/Hrsg.:

Tiedemann, Helmut

Titel/Untertitel:

Staat und Kirche vom Untergang des alten bis zur Gründung des neuen Reiches (1806 - 1871) 1937

Rezensent:

Lerche, Otto

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387

Theologische Lireraturzeituug 1937 Nr. 21.

388

Otto Giemen, Brandenburgische Briefe an Melanch-
thon. Veröffentlicht aus der v. Wallenberg-Fenderlinschen Bibliothek
in Landeshut in Schlesien je einen Brief von dem der von Melanchthon
begründeten neulateinischen Dichterschule in Wittenberg angehörenden
Joh. Schosser und von dem Prinzenerzieher Thomas Hübner und zwei
von dem kurfürstlichen Rate Thomas Matthias.

Hermann Oranier, Eine Denkschrift Friedrich Nicola
i's über die Katholische Kirche in Preußen. Nicolai
legte sie im Mai 1806 auf Wunsch dem mit ihm befreundeten Geh.
Kabinetsrate des Königs Friedrich Wilh. III. Karl Friedrich Beyme vor,
um ihn zu Wachsamkeit besonders gegen die Jesuiten zu mahnen.

Wa 1 ter We n d 1 a n d , Beiträge zu den kirchenpo1i ti -
sehen Kämpfen um Adolf Stoecker. Schöpft hauptsächlich aus
den Akten des Evangelischen Oberkirchenrats und dem Nachlaß Stoeckers
im Geh. Staatsarchiv, bringt Unbekanntes, wenig Bekanntes und Bekanntes
in vielfach neuer Beleuchtung, alles sine ira et studio, und ergänzt
die kürzlich erschienenen Biographien des großen kirchenpolitischen
Gegners Stoeckers, des langjährigen Präsidenten des Evangelischen Oberkirchenrats
Hermann von der Goltz (von Paul Gennrich und Eduard
von der Goltz) und des Führers der von Stoecker verständnislos bekämpften
kritischen Theologie Adolf von Harnack (von Agnes von Zahn).
Zwickau i. S. O. Clemen.

Haaß, D. Dr. Robert: Johann Arnold de Reux. Generalvikar von
Köln 1704—1730. Düsseldorf: L. Schwann 1936. (XI, 226 S.) gr. 8°.
= Veröffentl. d. Histor. Vereins f. d. Niederrhein, Bd. VI. RM 5—.
Unzweifelhaft vermittelt die vorliegende, überwiegend
aus archivalisehen Quellen erarbeitete Studie mancherlei
Einblicke in das kirchlich-sittliche Leben der
Kölner Kirchenprovinz in den ersten Jahrzehnten des
18. Jahrhunderts. Daß diese Einblicke keinerlei Anspruch
auf allgemeine Gültigkeit erheben, läßt der Verfasser
selbst hier und da deutlich werden. Offenbar
war de Reux eine Persönlichkeit, die sich auf besondere
geistige und menschliche Qualitäten wie auch auf umfassende
Kenntnisse und ein hervorragendes seelsorgerisches
Charisma gestützt in schwierigen Zeiten und in
noch schwierigeren Verhältnissen durchzusetzen wußte.
Zu Zeiten seines Generalvikariats saßen auf dem erzbischöflichen
Stuhle in Köln die Kurfürsten aus dem
Hause Wittelsbach Joseph Clemens (1688—1723) und
Clemens August (1723—1761), die beide durchaus nicht
für eine verantwortliche Regententätigkeit, keineswegs
für ein führendes geistliches Amt geeignet waren. „Während
Joseph Clemens sich nach schweren inneren Kämpfen
wenigstens zu einer Berufsauffassung durchdrang,
die unsere Achtung verdient, läßt Clemens August jede
tiefere Pflichtauffassung vermissen." Weihbischof und
Domkapitel, Dignitäre und die gesamte hohe Geistlichkeit
lebten in dieser Sphäre und solchen Vorbildern
nach. So war der Generalvikar, der in jedem Belange
aus einem anderen Räume kam, der eigentlich leitende
Geistliche der Diözese, und de Reux wußte sich im Interesse
seiner Diözesanen diese Stellung mit Geschick
zu sichern. Haaß schildert eingehend an der Hand zahlreicher
Briefe des Generalvikars das durchaus segensreiche
, uneigennützige und von einem kirchlich ausgerichteten
Reformwillen getragene Werk de Reux', der sich
mit allen kirchlichen Problemen des schwierigen Kurstaates
und der Diözese, deren Grenzen und Rechtsverhältnisse
, im Einzelnen sehr mannigfaltig, durchaus nicht
überall zusammenfielen, befaßte und in sehr vielen Fällen
auch energische Besserung erreichte. Aber die von
de Reux erreichte Besserung und Neugestaltung kirchlicher
Lebensformen im Welt- und Ordensklerus wie bei
seinen Diözesanen hie und da ist nicht gleichbedeutend
mit einem großen kirchlich-moralischen Lebensschwung
am Niederrhein überhaupt. —

Zu dem Thema ,Wein nebenher im Glase bei der
Kommunion' — vgl. Theol. Lit.-Zeitung 1935 Nr. 7
bei Besprechung des Buches von Arsenius Jacobs
über die Rheinischen Kapuziner 1611—1725 (1933) —
ist interessant die Mitteilung, die Haaß hier S. 80 f.
macht: „Wie sehr man bemüht war, jede Verunehrung
des hl. Sakramentes zu verhindern, zeigt die ordinatio
pro distributione s. communionis vom 12. März 1728.
Im Kölnischen war es damals noch allgemein Brauch,
daß den Gläubigen nach Empfang der hl. Kommunion

von einem Kirchendiener oder auch vom Priester selbst
sogen. Ablutionswein dargereicht wurde. In der genannten
Verordnung wird nun eingeschärft, daß die
Priester nach Austeilung der hl. Kommunion nicht in
dem Gefäß (calice seu vase), das den Laien „pro ablu-
tione" gereicht wird, die Finger abluieren noch sie
an dem leinenen Tuch, das den Laien zum Abwischen
des Mundes gereicht wurde, abtrocknen dürften. Für

j die ablutio und abstersio der Fingerspitzen müßte vielmehr
ein besonderes Gefäß mit einem Leinentüchlein
(purificatorium) auf dem Altare stehen. Interessant'
ist auch die Begründung des Erlasses. Er erging, da-

j mit nicht „defectus vel irreverentia" sich einschlichen,
woran die Häretiker Anstoß nehmen könnten" — Haaß

j führt dazu an noch einen Aufsatz von Arn. Dresen im Hi-

| storischen Archiv für das Erzbistum Köln (2:1929 S.
37 ff.) über Kommunikantenbecher und Laienkelch.
Berlin._Otto Lerche.

Tiedemann, Dr. Helmut: Staat und Kirche vom Untergang
des alten bis zur Gründung des neuen Reiches (1806—1871), Berlin:
Dr. Emil Ebering 1936. (52 S.) gr. 8°. = Historische Studien
H. 297. RM 2.20.

Wir haben es in der vorliegenden Arbeit mit einer
politischen Programmschrift zu tun, die zu kritisieren

I nicht Aufgabe der kirchengeschichtlichen Wissenschaft
ist. Auf 34 Seiten — die übrigen Seiten des Heftes

j enthalten Titelzeug, Literaturangaben, Vorrede und Anmerkungen
— das im Titel genannte Thema einiger-

j maßen wissenschaftlich auszuschöpfen, wäre eine er'nst-

| hafte, umfangreiche Aufgabe für einen gereiften Forscher
. Hier aber wendet sich ein Schriftsteller, der

j sich politisch die Sporen verdienen will, mit z. T. nicht
sehr neuen Theorien und Schlagworten einem überragenden
Thema in einer Form zu, die bisher das Kennzeichen
der nicht sehr geschätzten konfessionellen Auseinandersetzung
war. Im Wesentlichen ist die Kirche
hier die römisch-katholische Kirche, und nur wenn es

| in der Doktrin des Verfassers notwendig erscheint, dann
wird die evangelische Kirche mit demselben Maße ge-

j messen, das auch für die andere Kirche durchaus un-

I zulänglich ist.

S. 38 heißt es: „Mit der zunehmenden Industrialisierung
um die Mitte des 19. Jahrhunderts und dem
ständigen Anwachsen der marxistisch-atheistischen Bewegung
setzte eine immer größer werdende Entkirch-
lichung ein. Es wäre nunmehr die sowohl religiös
wie ethisch vornehmste Aufgabe der Kirche gewesen,
sich der durch das Gift der Klassenkampflehre betörten
Massen anzunehmen und sie dem Staat und damit
der Kirche zurückzugewinnen. Stattdessen ging sie ihren

I alten Machtgelüsten weiterhin nach und versagte damit

i in einer Frage, deren Lösung in erster Linie ihr hätte
zufallen müssen." Hier wird eine heute sehr weit ver-

j breitete, kirchlich absolut unhaltbare und wissenschaftlich
nirgends begründete Theorie vertreten, mit der
auch nichts anzufangen, wenn sie so fordernd und an-

I spruchsvoll auftritt. Hinsichtlich der katholischen Kirche

j.in dieser Zeit weisen wir den Verfasser hin auf die
Schrift von Hermann Storz: Staat und katholische

j Kirche in Deutschland im Lichte der Würzburger Bischof
sdenkschrift von 1848 (1934; vgl. Theol. Lit-

I Zeitung 1935 Nr. 5). Das Buch von Storz ist sorgfältig
aus originalen Quellen gearbeitet und gibt ganz
einwandfreie Einblicke in das kirchliche Anliegen jener

j Zeit, das Tiedemann durchaus verkennt. S. 48 heißt es

! bei Tiedemann: „Will die Kirche in der Gegenwart unter
Wahrung ihrer Eigenart wirklich den ihr von Gott

| aufgetragenen Aufgaben gerecht werden, so hat sie

I zunächst einmal die neugeweckten völkischen Lebenskräfte
in ihrem Wert und göttlichem Ursprung anzuerkennen
. Nur eine solche Voraussetzung kann ein ge-
deihliches und fruchtbares Zusammenwirken von Staat
und Kirche im Dienste des Volkes ermöglichen und
den Weg für eine deutsche Nationalkirche ebnen." Das
ist allerdings richtig, wenn die Nationalkirche das Ziel