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Ausgabe:

1937 Nr. 21

Spalte:

382-385

Titel/Untertitel:

Das Papsttum. Zweiter Band. Erste Hälfte. Der Aufbau 1937

Rezensent:

Koch, Hugo

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 21.

382

westgotischen Rechts, dessen starke geschichtliche Wirkungen
später in den fränkischen Gesetzen erkennbar werden
. Cap 2 schildert besonders die Kirchenpolitik Theoderichs
d. Gr. Cap. 3 behandelt die Lage der Katholiken
unter der Vandalenherrschaft. In cap. 4 dürfte die
These von der religiösen Duldsamkeit der Langobarden
wenigstens für die heidnische Zeit etwas einzuschränken
sein. Die Lage der Kirche unter den Langobarden, auch
nachdem diese — ohne eine religiöse Bewegung — zum
Katholizismus übergegangen waren, hat ihre Eigenart
darin, daß hier den Bischöfen keinerlei staatlichen Aufgaben
übertragen wurden. Cap. 5 befaßt sich mit der
Landes- und Staatskirche der Merowinger. Schade
ist, daß die Burgunderkirche keine eigene Darstellung
bekommt, schon weil sie für nicht wenige ariani-
sche Anschauungen und Einrichtungen die Brücke zur
Frankenkirche bedeutete. Ob ferner das reiche Material
nicht erlaubt hätte, auch im Frankenreich der
Frage nachzugehen, die für das römische Gebiet erörtert
wurde, wie weit etwa die kirchlichen Rechte des Königs
auf kultische Rechte und Pflichten des Herrschers
in heidnischer Zeit zurückweisen? Der Zusammenhang
der Rechtsanschauung — unmittelbar oder durch das
Bindeglied der Arianerkirchen — mit den germanischen
Auffassungen könnte vielleicht die Unterschiede der
fränkischen von der Reichskirche erklären, die besonders
darin sich ausprägen, daß die bis dahin freie kirchliche
Ämterbesetzung an den fränkischen König übergeht
, dieser dagegen die von den Kaisern kontrollierte
1 chrgestaltung der Kirche überläßt.

In diesem wie in den folgenden Kapiteln tritt ein bestimmtes
Schema der Anordnung deutlich hervor, aus
dem sich die Gesichtspunkte ergeben, unter denen der
anschwellende Stoff an Staatsgesetzen und Konzilsbeschlüssen
ausgewählt und gruppiert ist, — mit einigen
Variationen, die durch die besonderen geschichtlichen
Ereignisse der drei behandelten Zeiträume bedingt
sind. So werden jedesmal behandelt: die Aufnahme
in den geistlichen Stand, die Besetzung der Bistümer
, die Synoden (die leider im Index nicht einzeln
aufgeführt werden), die königliche Gesetzgebung, die
staatliche Bekämpfung des Heidentums, die Strafgesetze,
der Gerichtsstand der Geistlichen, die kirchlichen Pflichten
der Grafen, die weltlichen der Bischöfe, die Einstellung
der Geistlichen zum staatlichen Kirchenregiment,
die^ Stellungnahme des Papstes. Wesentlich auf die
durch diese Rubriken bezeichneten Fragen kann man
Antwort suchen und erhält sie, bedacht und sorgfältig
belegt. Daß diese Anordnung, die die geschichtlichen
Zusammenhänge zerreißt, dafür das Nachschlagen ererleichtert
, bedarf keines Hinweises.

Gerade, weil es aber an der Rücksichtnahme auf die
geschichtlichen Verbindungen keineswegs fehlt, wird man
es bedauern, daß vor cap. 6, der Darstellung der karo-
lingischen Reform, nicht die (mit der der weiteren
deutschen und französischen Entwicklung für einen 2.
Band geplante) Schilderung der angelsächsischen Kirche
ihre Steile gefunden hat; zumal der Verf. selbst die
These v. Schuberts aufnimmt, daß die karolingische
Reicbskirche entscheidend von dort bestimmt sei. Mit
dieser Einsicht stimmt es freilich nicht recht, wenn
dann doch, ohne den Anteil des Bonifatius näher zu
bestimmen, die Reform der fränkischen Kirche in erster
Linie als ein Werk Pippins und Karlmanns erscheint;
heißt das nicht — so hoch man den Anteil der staatlichen
Mithilfe einschätzen mag — das Buch mit dem
Einband verwechseln?

Von den Angelsachsen her rühren auch die concilia
mixta des karolingischen Imperiums, jene Besonderheit,
die deutlicli macht, daß jetzt die Kirche derart in den
Staatszweck aufgenommen ist, daß nun auch ihre Leitung
an den Kaiser übergeht. „Weder vorher noch
nachher hat einer der germanischen Herrscher in solcher
Weise selbst die oberste Leitung der Kirche seines
Reiches ausgeübt" (S. 322), — der doch gleichzeitig

in den libri Carolini den schärfsten Tadel gegen die im
byzantinischen Reiche den Kaiserbildern gegenüber üblichen
Ehrenbezeugungen aussprach (S. 88)! — Ein Einzelversehen
: das Werk des Paulus Diaconus ist ein
Homiliar, nicht ein Lektionar, es enthält Musterpredig-
! ten, nicht Bibelabschnitte (S. 324).

Aus dem letzten Kapitel sei nur auf eine Lehrmeinung
eingegangen, die bei der Darstellung Nikolaus I.
und seiner Scheidung der geistlichen und weltlichen
Gewalt erörtert wird: die Unterscheidung von „rex" und
„tyrannus" wird überflüssig, wenn auch dein tyrannus
der Gehorsam nur im Schlechten aufgesagt wird und
lediglich an ein Entgegentreten mit geistlichen Mitteln
i gedacht ist; denn da die Kirche auch gegenüber dem
rex im Falle seiner Verfehlung die Rolle des Propheten
Nathan übernehmen muß, wie einst gegenüber dem Ur-
: bild des gerechten Königs, David, so würden beide
! Weisungen für den gerechten wie ungerechten Herrscher
völlig gleichartig gelten; ob also damit der Sinn der Unterscheidung
wirklich getroffen ist?

Das nützliche Buch wird in seiner hoffentlich bald
! zu erwartenden Fortsetzung seinen Dienst dann am
! besten leisten, wenn es seine Eigenart in der Beschränkung
auf das rechtliche Material wahrt, und so
zuverlässige Kunde vermittelt, was im Mittelalter Staat
und Kirche nach dem nicht idealiter, sondern faktisch
Gewollten und Verordneten für einander bedeuteten.
Göttingen. H. Dörries.

: Hai ler, Johannes: Das Papsttum. Idee und Wirklichkeit. Zweiter
Band. Erste Hälfte: Der Aufbau. Stuttgart: J. G. Cotta'sche Bchh.
1937. (X, 485 S.) gr. 8°. RM 12—; geb. 15.50; Halbperg. 18.50.

Den ersten, die „Grundlagen" behandelnden und
bis zur Entstehung des Kirchenstaates gehenden Band
I des Haller'schen Werkes über das Papsttum (1934)
I habe ich in dieser Ztg. 1935, Sp. 272—278 besprochen
. Den zweiten Band, der „Aufbau und Vollendung"
i darstellen soll, hat der Verf. geteilt, und die vorliegende
[ erste Hälfte schildert den Aufbau des Papsttums in
j der Zeit vom Ende des 8. Jahrhunderts bis zum sog.
Wormser Konkordat v. J. 1122. Der zweite Teil mit
der „Vollendung" soll in Jahresfrist erscheinen, und
dieser wird dann auch die Nachweise und Erläuterungen
bringen, die namentlich von der herkömmlichen Auffas-
■ sung abweichende Urteile begründen werden.

Das „fränkische Jahrhundert" nennt H. die Zeit
von Hadrian I. bis zum Tode Johannes VIII., und er
schildert unter dieser Überschrift die Anfänge des abendländischen
Kaisertums, das Verhältnis des Papstes zur
fränkischen Kirche, den Ausblick auf „höchste Ziele"
! unter Nikolaus L, das „Abgleiten und Versinken" unter
seinen Nachfolgern. „Geistliches Landesfürstentum"
ist der zweite Abschnitt betitelt, der bis zum Anfang
des 11. Jahrhunderts reicht und die römische Stadtherrschaft
, die Stellung der deutschen Kaiser zu den
römischen Parteien und das Verhältnis der Päpste zur
: Kirche vorführt. Dann folgt die „Neuschöpfung", die
mit der von Cluny ausgehenden Kirchenreform anhebt,
unter Nikolaus II. eine kirchliche Revolution einleitet,
; diese unter Gregor VII. voll entfaltet und schließlich
zum „Sieg der Epigonen" führt.

Es ist wieder ein reicher, mitunter schwer zu entwirrender
Stoff, den der ausgezeichnete Geschichtsfor-
j scher und Geschichtsschreiber in klarer, flüssiger, bilder-
! reicher Sprache und in anschaulicher, das Wichtige und
Entscheidende heraushebender, das Nebensächliche bei-
j seiterückender, die dramatischen Spannungen und Ent-
I ladungen einfangender Darstellung meistert. Auch wo
seine Auffassung mit der Herrschenden in den Grundzügen
übereinstimmt, weiß er ihr da und dort eine neue
I Tönung oder Färbung zu geben. Oft genug aber geht
[ sein Urteil eigene Wege. Am meisten tritt dies bei
Nikolaus I. (S. 65 ff.) hervor, und da hat er ja seine
i Anschauung in dem diesem Bande vorausgeschickten
! Buche über Nikolaus I. und Pseudoisidor (1936) ein-