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Ausgabe:

1937 Nr. 21

Spalte:

379-382

Autor/Hrsg.:

Voigt, Karl

Titel/Untertitel:

Staat und Kirche von Konstantin dem Grossen bis zum Ende der Karolingerzeit 1937

Rezensent:

Dörries, Hans

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379

Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 21.

380

Kapitel auf die sachliche Gliederung und ordnen, was
jetzt noch zu sagen übrig ist, unter geographischem Gesichtspunkt
.

Zu Kleinasien gehören Monarchianer, Aberkios, der
Montanismus. Aus Gallien findet sich Irenaus ein, als
dessen Publikum die neue kirchliche Führerschicht erschlossen
wird: ein bildungsfroher, aber noch ungelenker
Mittelstand (S, 207). Für die Afrikaner gilt
wie für die Syrer, daß erst das Christentum ihnen die
Kraft gegeben hat, Weltliteratur hervorzubringen (S.
220). Tertullian scheint mir dabei — anders als Cyprian,
Irenaus und Bardesanes — nicht ganz zu seinem Recht
gekommen zu sein.

Rom muß sich mit Kleinasien in die Monarchianer,
mit Afrika in den Kampf um den Kirchenbegrift und den
Ketzertaufstreit teilen, behält aber Eigenes, das ihm
niemand streitig machen kann, genug. Das syrische
Christentum ersteht, nachdem neuere Arbeiten, besonders
von H. H. Schäder, W. Bauer u. a., erst Licht in
das noch undurchdrungene Grau gebracht haben, hier
wie in ursprünglicher Frische. Die These Burkitts von
der Ehelosigkeit als Voraussetzung der Taufe zu widerlegen
(für Aphraates), würde den Rahmen einer Rezension
sprengen. Das Schlußkapitel ist, wie das Eingangskapitel
mit besonderer Liebe und Kunst ausgeführt.
Vor allem Clemens, aber auch Origenes, könnten nicht
schöner dargestellt werden.

Allerdings, die Grundhaltung des Buches kommt in
dem abschließenden Urteil über Origenes noch tinmal
zu deutlichem Ausdruck. Nachdem das Verhältnis des
christlichen Denkers zu seinen philosophischen Gewährsmännern
erörtert ist, heißt es weiter: „Freilich hat
er nicht den ganzen Paulus, den ganzen Johannes, das
ganze Evangelium. Aber wer ist ihm denn da überlegen
? Welcher Theolog bis auf den heutigen Tag
kann sich rühmen, alles zu umfassen, was die Quelle
des Neuen Testaments beschert?"

Dem Respekt vor der Tüchtigkeit einer Leistung,
wie sie L.'s Buch darstellt, meine ich es schuldig zu
sein, gerade an der Stelle, die die vornehme Gerechtig-
keitsliebe, die jede Seite atmet, am edelsten bekundet, das
grundsätzliche Bedenken nicht zu verhehlen, das die
Lektüre begleitet hat: ist das scharfe Verwerfungsurteil
der Reformatoren über Origenes die Anmaßung theologischer
Überheblichkeit, die damals wie heute vor der
Größe des griechischen Lehrers und dem Ernst seiner
christlichen Gesinnung besser getan hätte, ehrerbietig
zu schweigen? Oder ist es der Vollzug des der Gemeinde
bis heute übergebenen Rechts, Lehre zu urteilen
und der auch dem einfachsten Christen anbefohlenen
Pflicht, die Geister zu prüfen? Dann aber scheint es
mir fraglich, ob es erlaubt, ja ob es sinnvoll ist, sich
dieses Urteils zu begeben. Oder, da keine, also auch
nicht diese Darstellung auf Werten und Urteilen verzichtet
, woher denn die Maßstäbe des Urteils zu nehmen
sind, ob von außen, um den Außenstehenden verständlich
zu bleiben, oder von innen, da der Gegenstand der
Untersuchung sich doch dem Urteil und Verständnis
von außen entzieht? Darf, vor dem Meister der christlichen
Archäologie, ein Vergleich aus seinem Gebiet
das Gemeinte verdeutlichen, so scheint es mir hier
zu gehen wie beim Kirchenbau: erst das Mittelalter errichtet
Bauwerke, die auch nach außen wirken, die
Kirche der alten Zeit ist nur Innenraum!

Doch es ist nicht statthaft, von einem Buch, das
uns mit solcher Sorgfalt eine Fülle interessanten und
nützlichen Wissens ordnet und mit so hoher Kunst
vor Augen stellt, anders zu scheiden als mit Gefühl
und Ausdruck dankbarer Anerkennung!

Göttingen. H. Dörries.

Voigt, Prof. Karl: Staat und Kirche von Konstantin dem
Großen bis zum Ende der Karolingerzeit. Stuttgart: W. Kohlhammer
1936. (X, 460 S.) gr. 8°. RM 18—.
Mit Recht nimmt das stoffreiche und gründliche

Buch, die Frucht langjähriger Studien über byzantinische

; und frühmittelalterliche Rechtsgeschichte, in Anspruch,
die beiden oströmischen Rechtssammlungen, den Codex
Theodosianus und Justinianus, und das arianische
Gesetzgebungswerk systematisch auf alle Kirchengesetze
hin durchforscht zu haben. Darüber hinaus schildert es
die Lage der Kirche im merowingischen und karolingi-
schen Frankenreich, wie sie sich insbesondere in d^n
j staatlichen und kirchlichen Gesetzen darstellt. Da aber
j Recht nur als geschichtliche Größe verständlich wird,
so wird nicht nur das jeweils geltende Recht aus den
; offiziellen Urkunden erhoben, sondern wird auch die
j Geschichte herangezogen, um das Verhältnis von Kirche
und Staat von beiden Seiten aus zu erklären.

Daß es in zunehmendem Maße geschieht, kommt
dem zweiten Teil, den Germanenstaaten, zugute, während
j im ersten Teil, der eigentlich eine eigene Monographie
! beansprucht hätte, die Beschränkung auf die Rechtstatsachen
, die sich der Verfasser auferlegt hat, zugleich
den Verzicht in sich schließt, diese aus der geschichtliehen
Gesamtlage zu deuten.

Wenn etwa Papst Leo d. Gr. von Kaiser Leo I. die
Anerkennung begehrt, das vom Papst Gelehrte stimme
mit seinem eigenen Glauben überein, so liegt in der
Wendung: „cum inspirata tibi divinitus fide" — selbst
wenn sie nicht mehr, wie in der Urkirche, an jeden
getauften Christen gerichtet werden konnte, sondern
den Kaiser aus dem Kreise der übrigen Laien heraus-
1 hob —, doch nicht darin, der Kaiser könne in Fragen
des Glaubens nicht irren und der Papst habe nur zu verkündigen
, was der Hl. Geist dem Kaiser offenbarte (S.
j 81). Eine solche Meinung entspricht den Anschauungen
Leos so wenig, daß es bei Berücksichtigung seines
Kirchen- und Staatsbegriffs auch nicht zulässig sein
• dürfte, aus der Bitte des Papstes an Theodosius IL, er
] möge die Beschlüsse der „Räubersynode" von 449 unbeachtet
lassen, zu folgern, der Papst habe dem Kaiser
das Recht zugeschrieben, die Beschlüsse nun etwa
auch eines legitimen Konzils außer Kraft zu setzen
I (S. 78). Bedenkt man ferner Lehre und Freimut des
I Chrysostomus, so wird man in dem Vergleich: „wie
| man den kaiserlichen Purpur nicht mit unsauberen Händen
berühren darf, so nicht die Hostie mit einem durch
Schwören befleckten Mund", eben einen Vergleich oder
einen Schluß a minori ad malus sehen, nicht eine De-
I votion, die an religiöse Verehrung grenzt (S. 86).

Die Folge kann nur sein, daß dort, wo aus einzelnen
Aussagen allgemeine Erkenntnisse gewonnen werden sol-
) len, der Leser sich aufgefordert sieht, nach den geistigen
| Zusammenhängen zu fragen, in denen diese Aussagen
| ihren rechten Sinn erhalten; und wo solche Zusammenhänge
erwähnt werden, zu prüfen, ob die Zuordnung
auf Grund innerer Verwandtschaft oder nur einer Ahn-
j lichkeit erfolgte. So darf z. B. die altkirchliche Lehre,
' daß der Staat eine Ordnung der gefallenen Schöpfung
i sei, nicht aus stoischen Voraussetzungen abgeleitet wer-
; den. Die Urstandslehre hat keine Beziehung zur stoi-
| sehen Vorstellung von einem „goldenen Zeitalter". Ebenso
hat die christliche Erkenntnis von der Gleichheit aller
Menschen vor Gott nichts mit dem stoischen Gedanken
einer ursprünglichen sozialen Gleichheit zu tun und
bedeutet darum nicht eine ideelle Grundlage für poli-
i tische Gleichheitsbestrebungen. (S. 7/8). Umgekehrt ist
Rom. 13 nicht an der Ausbildung des Cäsaropapismus
| beteiligt, auch nicht in dem gut-paulinischen Satze der
j ps.-augustinischen Quaestiones veteris et novi Testa-
menti, wonach auch dem unwürdigen, heidnischen Herrscher
die Gewalt von Gott übertragen sei (S. 82).

Wenn darum cap. 3, das sich mit der kirchlichen
Antwort auf die kaiserlichen Herrschaftsansprüche be-
I schäftigt, noch Fragen offen läßt, so liest man mit umso
1 größerem Dank die anderen Kapitel des ersten Teiles,
in denen das rechtliche Material aus der kaiserlichen
j Gesetzgebung mit hoher Zuverlässigkeit vorgelegt wird.
In Teil II, dem zwei Drittel des Buches gewidmet
sind, vermittelt cap. 1 mit wünschenswerter Ausführlich-
i keit Kenntnis des bisher nicht ausreichend gewürdigten