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Ausgabe:

1937 Nr. 18

Spalte:

323-325

Autor/Hrsg.:

Bolkestein, Johanna Christina

Titel/Untertitel:

Hosios en Eusebēs 1937

Rezensent:

Doerries, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 18.

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zu verstehen sei, da er sonst mit dem Gang und der
Ausschlupföffnung in Widerspruch stehe. Treten Flachgrab
und Hügel in ein- und derselben Kultur auf (wie
in der Sehnurkultur), so habe entweder das Flachgrab
oder der Grabhügel seine eigentliche Bedeutung
verloren. Wenn sich aber Hocker in Megalithgräbern
fänden, so müsse Einwirkung fremder Totenabwehrkultur
angenommen werden, denn eine solche „Sinnlosigkeit
dürfte man den Menschen der Megalithkultur
nicht zutrauen. Ebenso wirke im Schacbtgrab von Dederstedt
, das durch eine Schnuramphora bestimmt sei,
die Verbrennung des Toten „unlogisch", weshalb sie
versehentlich durch die rituelle Asche bewirkt sein
müsse.

Der Vorliebe des Verfassers für das Wort „tiefenpsychologisch
" entspricht leider nicht seine Sachkenntnis
auf diesem Gebiete. Von den sechs Elementen des
„Heiligen", die R. Otto sicher unterschieden hat, müssen
wenigstens ihrer zwei zusammentreffen, um den
numinosen Gefühlsakkord wachzurufen. Hat also das
Numinose an sich einen Doppelcharakter, so wird besonders
beim Tode die Verbindung von Majestas und
Tremendum deutlich, zu der 9ich z. B. bei der Kopfjagd
noch das Fascinans gesellt. So betont W. Mühlmann
mit Recht, daß die Einstellung zu den Toten
immer ambivalent ist. Diese Ambivalenz aber, die
Verbindung von Mirum, Fascinans und Tremendum,
macht auch für rationales Handeln paradoxe Maßnahmen
möglich. Wenn gar bei uns ein Grabstein die
Aufschrift tragen kann, „Die Erde sei ihm leicht!",
mutet der Verfasser .seinen Steinzeitleuten ein Zuviel
an Logik damit zu, daß nicht die verschiedenen Empfindungen
und ihrer Äußerungen durchaus nebeneinander
hätten hergehen .können, wie es das archäologische
Material ausweist. Gegen seine scharfe Scheidung
der beiden „Kulturen" muß aber auch vom Standpunkt
der Volkskunde Einspruch erhoben werden. Wie
wir nicht das Recht haben, die Erdbestattung für den
Glauben an körperliches Weiterbestehen, Verbrennung
aber für eine spiritualistischere Auffassung als Beweis
zu betrachten, so beweisen z. B. die unkriegerischen
Beigaben dänischer Gräber nicht, daß die Vorstellung
vom Jenseits wesentlich auf materielle Genüsse gerichtet
war. Es kann sich ebensogut darum gehandelt haben,
daß die Waffen für die Überlebenden zu wichtig waren,
da ein Mangel an Import bestand (de Vries). Ferner
ist für Dänemark und Schweden zu beachten, daß die
Steinbauten überhaupt immer kleiner werden. Und wie
die Sagas voll von Spukgeschichten sind, in denen ein
böswilliger Toter beschrieben wird., macht das zweite
Lied von Helgi, dem Hundingstöter, die Kombination
verschiedenster Elemente deutlich: Als der Held in
Walhalla aufgenommen ist, bestimmt er, daß sein Feind
Knechtsdienste leisten soll. Zuweilen aber kehrt er
in seinen Grabhügel zurück und empfängt hier den Besuch
seiner Geliebten, die mit ihm das Bett teilt. So
wenig es hier möglich ist, Einzelzüge als Überfremdung
auszuscheiden, kann die Sauberkeit der Logik
und die bestehende Einfachheit der Deduktionen eine
genügend tragfähige Basis für die hier so zuversichtlich
vorgetragenen Aussagen über die Grundlagen von
Weltanschauung und Totenkult der Vorzeit abgeben.

Quakenbrück. H. Vorwahl.

Bolkestein, Johanna Christina: "Ooioc, en et)aeftfq, bijdrage tot
de godsdienstige en zedelijke terminologie van de Grieken. Avec un
resume en francais. (Diss. Utrecht). Amsterdam: H. J. Paris 1936.
(230 S.) 8°.

Fräulein Bolkestein gibt eine recht erschöpfende
Übersicht darüber, was diese beiden Worte, die wir mit
„fromm" zu übersetzen pflegen, bei den einzelnen Autoren
bedeuten; sie beschränkt sich dabei auf das klassische
Griechisch; der hellenistische und nt.liche Sprachgebrauch
ist nicht berücksichtigt. Die reiche Material-
sammlung und die oft sehr ansprechenden Einzel-Interpretationen
geben dieser Diss. ihren Wert: grund-

I sätzlich wird jede Stelle, an der das Wort vorkommt,
! interpretiert und in das Bild, das Frl. B. uns geben
J möchte, eingefügt.

Das resume en francais ist sehr viel mehr als eine
i bloße Zusammenfassung; es ist fast ein zweiter Teil
der Arbeit. Freilich muß an den hier (und stellenweise
im ersten Teil der Diss.) aufgestellten Grundsätzen
einige Kritik geäußert werden. Frl. B. beschränkt sich
| darauf, zu untersuchen, ob bei diesen zwei Worten der
„religiöse" oder der „moralische" Sinn im Vordergrund
steht: das ist eine Scheidung von Begriffen, die uns
zwar geläufig ist, dem frühen Griechentum aber nicht
gerecht wird. Dementsprechend ist das Ergebnis dieser
Fragestellung ein nicht sehr befriedigendes Sowohl-
Als-Auch (S. 210). Leider legt Frl. B. die einschlägige
religionswissenschaftliche Literatur kurz entschlossen
beiseite (S. 2—3); die Schriften von K. Latte, Heiliges
Recht, von E. Williger, Hagios (Rel.-wiss. Versuche
und Vorarb. 19, 1) und von R. Otto f, Das Heilige,
scheinen nicht benutzt zu sein; sie hätten gelehrt, wie
sehr sich unsere Begriffe „religiös" und „moralisch"
in ursprünglichem Denken durchdringen. S. 40 (zu Eur.
El. 1350) stellt Frl. B. selbst diese Tatsache fest,
ohne indes Folgerungen daraus zu ziehen.

Richtiger wäre wohl gewesen, die Worte öoioc und
8va£|Si'|c und die mit ihnen verbundenen Vorstellungen
als Ganzes zu nehmen und gegen andere, ähnliche abzugrenzen
, wie das S. 168—178 sehr ansprechend für
öaioc, und lepöc, geschehen ist. Am meisten hätte wohl
I eine solche Abgrenzung gegen Stxaio? und vdmuoc, zu
Tage gefördert: es würde sich dann zeigen, daß oow?'
ähnlich wie lat. pius, sich auf den Kreis derjenigen
Pflichten bezieht, die nicht durch die Satzungen der
Menschen bezw. der tiöXv; festgelegt sind: also das
rechte Verhältnis zu den Eltern, gegen Schutzlose, Bettler
, Fremde, gegen die Toten, vor allem der Kult der
Götter, Vermeidung des Meineides u. dgl. Soviel ich
sehe, leuchtet die Einheit dieser Vorstellung aus allen
j von Frl. B. angeführten Beispielen hervor. Gewiß hat
auch diese Vorstellung ihre Geschichte: was ihr an
altem Tabu-Glauben anhaftete, wird allmählich abgestreift
, und die großen Denker vertiefen und verinnerlichen
sie. Richtig hat Frl. B. erkannt (S. 128 ff. u. 189),
daß Plato in seinem Gebrauch von oaux; vom Herkömmlichen
abweicht, also Neues prägt: für ihn bezeichnet
dies Wort die ganz innerlich empfundene „religiöse
Pflicht".

Ferner wäre der Versuch zu machen, die beiden
j untersuchten Worte selbst gegeneinander abzugrenzen:
i Für Frl. B. sind sie fast schlechthin synonym. Das
ist insofern gewiß richtig, als sich beide auf den oben
I skizzierten Bereich ungeschriebener Pflichten beziehen.
! Aber die Unterschiede liegen auf der Hand: efoeß^s
i ist das jüngere Wort; es ist etymologisch durchsichtig.
Es muß (Vorsilbe e*-) immer ein Lob enthalten, während
öcioc, ganz neutral das bedeuten kann, was nicht
dvöoio? ist'(S. 169); diese Mittelstellung nimmt >wm r
m. W. nirgends ein. Auch scheint es keinen Beleg dafür
zu geben, daß eöoeßifi? den Sinn „kultisch rein"
annimmt, der bei oaux; sehr häufig, vielleicht sogar
ursprünglich ist. Durch einen rituellen Akt können
Dinge, ja Menschen öoioi werden (6<noOv, xadooioüv);
man kann aber nicht zum eüoeßifc geweiht werden. Vielmehr
ist EiWßiua Pflicht eines jeden, öoitois Eigenschaft
bestimmter Menschen. Daher kann es eine Anklage
(ioEßeiag geben; eine Anklage avoaiotnToc. wäre
undenkbar. Eöosßris bezeichnet also mehr eine Haltung
des Menschen in religiösen Dingen (und zwar die
richtige); ooioc ist mehr eine Eigenschaft, die sowohl
l dem Menschen, als auch Dingen (z. B. des Kults) zu-
! kommen kann; vor allem wird oöiov von den Pflichten
j selbst gesagt, die in diesen Rahmen gehören. In üawi
wird noch lange etwas von der Welt des Tabu, des
Geweihten mitempfunden; daher ist Saft)? von den beiden
Worten das übergreifende und inhaltreichere.