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Ausgabe:

1937 Nr. 17

Spalte:

303-304

Autor/Hrsg.:

Sander, Reinhold

Titel/Untertitel:

Furcht und Liebe im palästinischen Judentum 1937

Rezensent:

Jeremias, Joachim

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303

Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 17.

304

eingehender Würdigung die durch die Heidenmission
entstehenden Fragen und Folgen, sodann verschiedene
Seiten und Äußerungen der in diesen frühesten christlichen
Schriften sich kundgebenden religiösen und theologischen
Anschauungen und Stellungen, schließlich die
Entstehung und früheste Entwicklung und Organisation
der christlichen Gemeinden. Der eigentliche Fachmann
wird gerade in diesem Kapitel wohl der Ansicht sein,
daß es für die große Zahl der berührten Fragen recht
kurz ist: zu vielen sehr komplexen Problemen konnte
nur in ganz wenigen Worten Stellung genommen werden,
manches, was von Wichtigkeit wäre, ist kaum oder
garnicht berührt. Aber der innerhalb dieses Bandes
zur Verfügung stehende Raum war beschränkt, im 12.
Band werden der Entwicklung der christlichen Kirche
dann mehrere Kapitel gewidmet sein. Was auf den
40 Seiten geboten wird, ist jedoch klar und aufschlußreich
und wohl nicht nur für den Nichtspezialisten
von großem Interesse. Den Band beschließen eine kurze
Zusammenfassung durch den zweiten Herausgeber Ad-
cock, eine knappe Orientierung über die wichtigsten
antiken Quellen (Charlesworth), ein paar kurze Einzelanhänge
, das schon im Anfang erwähnte große Literaturverzeichnis
, ausführliche Register und chronologische
Tafeln. Beigegeben sind 18 Übersichtskarten zu
den verschiedenen Kapiteln des Buches und zum Kapitel
Kunst eine Tafel mit Grundrissen der Kaiserfora
und der Paläste auf dem Palatin und der domus aurea
Neros.

Zürich. Ernst Meyer.

Sander, Reinhold: Furcht und Liebe im palästinischen Judentum
. Stuttgart: W. Kohlhammer 1935. (XVI, 154 S.) 8°. = Beiträge
zur Wissensch, vom Alten und Neuen Testament. Vierte Folge,
H. 16. RM 9—.

Diese Greifswalder Lic.-Arbeit, Gustaf Dalman gewidmet
und m der Assistenteiizeit des Vf.s am Gustaf-
Dalman-Institut für Palästina-Wissenschaft in Greifswald
entstanden, ist aus der Beschäftigung des Vf.s
mit dem Mischna-Traktat Sota erwachsen. Sic stellt
eine umfassend unterbaute exegetische Untersuchung zu
Mi. SotaVs dar, wo es heißt: „An demselben Tage trug
R. Jehoschua' b. Hyrkanos vor: Hiob hat Gott nur aus
Liebe gedient (folgt Begründung aus Hiob 13,15;
27,5).... Da rief R. Jehoschua' (b. Hananja) aus:
Könnte dir doch einer den (Grabes-) Staub aus deinen
Augen entfernen, Rabban Johanan b. Zakkai, der du dein
ganzes Leben lang vorzutragen pflegtest: Hiob hat Gott
nur aus Furcht gedient (folgt Begründung aus Hiob
1,1)". Furcht und Liebe — wie denkt da.s palästinische
Judentum der biblischen und der nachbiblischen Zeit
über das Verhältnis dieser polaren Herzenshaltumgen?
Das Ergebnis des Vf.s ist, daß auf eine Zeit des u n-
reflektierten Nebe ne i n an d e r s (1. Hauptteil)
erst im 1. Jahrhundert n. Chr. die theologische
Reflexion über das Verhältnis von Furcht und Liebe
(II. Hauptteil) folgte.

Der I. Hauptteil (S. 3—66) geht von der Kardinalstelle
Dt. 10,12f. aus. Er zeigt auf, daß das Doppelgebot
, Gott zu fürchten und zu lieben, auf einer Spannung
im Gottesbegriff beruht, nämlich auf dem Liebes-
haudeln Gottes an Israel und dem daraus folgenden
Anspruch Gottes einerseits und der heiligen Majestät
andererseits. Ein Problem entsteht aus dem Doppelgebot
nicht; vielmehr sind Furcht und Liebe bis zu
dem Grade zusammengeschlossen, daß ,fürchten' und
,lieben' im Sirachbuch geradezu gleichbedeutend sind
(S. 31). Das Fehlen einer Reflexion kennzeichnet —
bei mancherlei Begriffswandlungen im einzelnen — die
gesamte kanonische und außerkanonische Literatur der
vorchristlichen Zeit (Dt., Neh., Psalmen, Jes. Sir., Test,
der Patr., Psalmen Salomes).

Erst in der rabbinischen Literatur wird „Furcht
und Liebe" zum theologischen Problem, wie der II.

llauptteil „Furcht und Liebe im Rabbinismus" (S. 67
bis 150) zeigt.

Dieser II. Hauptteil konnte an die wertvolle Untersuchung von A.
j Buechler, Studies in sin and atonement, London 1928, Kap. II: The
j Service of Qod for the love or the fear of him and the right attitude
to suffering anknüpfen. Er bringt zunächst (S. 67 — 117) eine auf breitem
rabbinischem Quellenmaterial aufgebaute Exegese der oben zitierten
| Stelle Mi. Sota V, 5. Es ergibt sich, daß die hier ausgesprochene gegensätzliche
Beurteilung Hiobs — er handelt aus Furcht vor Gott (Johanan
b. Zakkai) und: er handelt aus Liebe zu Gott (Jehoschual b. Hyrkanos)

— in der Folgezeit bis 350 anhält. Als Grund für die Entstehung der
gegensätzlichen Beurteilung Hiobs wird eine verschiedene Stellung zur
Heidenwelt vermutet. Beide Richtungen hätten, einer verbreiteten Tradition
folgend, in Hiob einen zur Zeit Abrahams zum Judentum übergetretenen
Heiden gesehen. Die völkisch-partikularistisch eingestellten

I Rabbinen hätten ihm die Höhe der Frömmigkeit Abrahams nicht zuerkennen
wollen, die universalistisch eingestellten dagegen hätten sich nicht
! gescheut, ihm Liebe zu Gott als Motiv des Handelns zuzuschreiben.
, Diese Erklärung ist möglich, aber nicht sicher, da eine andere, ebenfalls
I alte (vgl. Sir. 49,9) Tradition in Hiob einen nach Moses lebenden
! Israeliten sah.

Förderlicher ist die folgende Gesamtdarstellung der
rabbinischen Reflexion über das Verhältnis von Furcht
und Liebe. Zwei Auffassungen stehen sich gegenüber:
1) Die eine unterscheidet Liebe und Furcht als zwei
j verschiedene Haltungen der Frömmigkeit: die Liebe
I als selbstloser Gehorsam steht über der Furcht als
j Gehorsam und Zwang. 2) Die andere Auffassung er-
I klärt ein Nebeneinander von Furcht und Liebe
! für die rechte Stellung zu Gott: die Liebe bewahrt vor
I dem Haß gegen das Gesetz, die Furcht vor seiner Übcr-
; tretung.

Man bedauert, daß die Arbeit die Linien zum Neuen
Testament nicht zieht, zumal sich aus Philo, der bereits
über das Problem Furcht und Liebe reflektiert, ergibt,
daß das Problem bereits in frühneutestamentlicher Zeit

— zum mindesten im hellenistischen Judentum — existierte
.

Die Arbeit Sanders zeichnet sich durch große Sorgfalt
und Zuverlässigkeit, ganz besonders in der Dar-
j bietung des rabbinischen Materials, aus. Leider wird
I die Lektüre durch umständlichen Satzbau erschwert.

Göttingen. Joachim Jeremias.

-

Lohmeyer, Prof. D. Dr. Ernst: Galiläa und Jerusalem. Göttingen
: Vandenhoeck 8t Ruprecht 1936. (104 S.) gr. 8°. = Forschungen
zur Religion u. Literatur d. A. u. N. Testaments, hrsg. v. R. Bultmann.

j N.F. H. 34. RM 6.50.

Seit den Zeiten Ferd. Chr. Baurs ist sich die For-

j schung grundsätzlich darüber einig, daß die ältesten christ-

I liehen Gemeinden keineswegs eine einheitliche Größe gewesen
sind. Die Tübinger Schule hatte den Gegensatz

! zwischen Judenchristentum und Heidenchristentum als
die grundlegende Spannung angesehen, Bousset und
Heitmüller hatten das Nebeneinander von palästinensi-
sischer und hellenistischer Urgemeinde behauptet, die
formgesebichtliche Erforschung der synoptischen Tradition
hatte eine Fülle von verschiedenartigen Gedankenformen
bei der Bildung der synoptischen Tradition

I aufgedeckt. Lohmeyer hat im Anschluß an diese

I neuesten Forschungen einen neuen Weg eingeschlagen
und legt als Nebenresultat seiner Kommentierunig des

S Markusevangeliiums im Meyerschen Kommentar einen

j neuartigen Aufriß des Urchristentums vor, der alle
Beachtung verdient.

Lohmeyer geht aus von der bekannten Tatsache, daß

! die Evangelien die Erscheinungen des auferstandenen
Herrn teils in Galiläa, teils in Jerusalem stattfinden lassen
. Die Entscheidung, welche von diesen Traditionen
richtig ist, kann nach Lohmeyer aber nur gegeben werden
im Zusammenhang mit der größeren Frage nach

I den Ursprüngen der christlichen Gemeinde. Lohmeyer
bespricht darum zunächst in einem 2. Teil die Berichte
über die Auferstehungserscheinungen. Da er-

f;,ibt sich bei der Betrachtung des Markus das erstaunliche
Ergebnis, daß Markus überhaupt nichts von gali-
läischen Erscheinungen weiß; die Voraussage, daß Jesus