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Ausgabe:

1937 Nr. 1

Spalte:

272-273

Autor/Hrsg.:

Nöldeke, Theodor

Titel/Untertitel:

Geschichte des Qorāns 1937

Rezensent:

Bräunlich, E.

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 15/16.

272

Unbekümmertheit um die eigene Person." „Dort ward
vollendetes Sein apotheosiert im triumphalen Aufstieg
zum Himmel, hier das Unvollendete festgehalten, der
entschlossene Aufbruch irgendwohin, zum Werden und
Vergehen, der Griff in die Welt, den vielleicht kein
Triumph begleitet.' „Das römische Bild verewigt
triumphal die sieghafte Geste über das Erledigte, das
Germanische wirft den Aufbruch ins Neue, gänzlich
Unerledigte hin." Ich habe das eine Beispiel ausführlicher
referiert und stelle noch einiges kürzer daneben.
Beim Motiv des „Mannes mit dem Lebenslicht" bleibt
der Grieche (Meleagros) dem blinden Schicksal unterworfen
, der Germane dagegen (Nornagest) nimmt dem
Schicksal die Blindheit, indem er es bejaht. Beim Motiv
des gefangenen Flügelschmiedes vollziehen sich im
attischen Dädalosmythos blind durch die Technik Strafe
und Sühne an dem schuldigen Schmied, der um der Technik
willen Mord beging, in der germanischen Geschichte
von Wieland, dem Schmied, übt der schuldlose, im Frondienst
gehaltene Schmied selbsttätige Rache, durch die
er nach germanischer Auffassung die Gerechtigkeit und
Ordnung in der Welt wiederhergestellt. Daneben stehen
in dem Buch Abschnitte, in denen germanische Wesenszüge
herausgestellt werden, ohne daß das Wandlungsmotiv
stärker betont wird.

Den Theologen interessiert in erster Linie die Bewährung
der Methode an religionsgeschichtlichen und
theologischen Stoffen. Gilt auch hier das Gesetz von
Wandlung und Erfüllung? Daß es weithin zutrifft,
macht Naumann an den germanischen Göttergestalten
und an den biblischen Motiven im Heliand deutlich.
Auch im Bezirk des germanischen Götterglaubens findet
sich Import, aber auch hier Wandlung und neue
Erfüllung. So werden die germanischen Göttergestalten
gegen die olympischen abgezeichnet. Sie sind men-
schennäher, weniger vollkommen, innerweltlich und
darum auch dem Tode und dem Schicksal unterworfen,
in die bäuerliche und in die heroische Lebenssphäre
eingeordnet. Sie sind nicht die Götter Deutschlands geworden
, an ihre Stelle trat der Christengott, aber sie
nahmen die heroische Idee nicht mit, die sich als Ferment
deutschen Wesens auch auf das Göttliche übertrug
, als das Christentum mit andern Faktoren zusammenwirkend
die Germanen zu Deutschen formte. Das
zeigt die Wandlung und Erfüllung des biblisch-theologischen
Stoffes ins Germanische, wie sie im Heliand
vorliegt. Krist sammelt hier statt Jüngern eine Gefolgschaft
. „Im Evangelium war es ein Aufruf einzelner
Erkannter, die begnadet waren, ihr bisherigen Beruf
jetzt abzustreifen .... Hier redet einer eindringlich
auf die Leute ein, verspricht und bietet an, wie man
es eben tut, wenn man zu einem bestimmten Zweck

Leute sammelt.....Aus der ergreifenden Befolgung

eines suggestiven Rufes ist ein freudiges Sichverpflichten
und ein freies Eintreten in ein Dienstverhältnis bei
einem Herrn geworden, der eine Gefolgschaft sammelt
." Thomas erscheint wie ein Vorläufer Luthers,
Christ und German« zugleich. Auch die Tat des Judas
wird in die Gefolgschaftsperspektive hineingestellt,
und Petrus erscheint als Schwertdegen, der einen wirklich
guten, tüchtigen Schlag vollführt.

Diese Wandlung und Erfüllung kann durchaus Anregung
sein, wie das Wort immer neu in konkrete Situationen
hineingesprochen werden muß. Zumal in einer
Zeit wie der unserigen, in der wieder mit solchem Ernst
um ein deutsches Christentum gerungen wird, ist die
Perspektive von Wandlung und Erfüllung, wie sie das
vorliegende Buch bietet, von wesentlicher Bedeutung. So
mag Naumanns Buch uns ein Wegzeiger und Anreger
sein, wo und wie sich Möglichkeiten bieten, dem heutigen
deutschen Menschen das Evangelium deutsch zu
sagen. Aber das Buch zeigt auch durch das, was es
nicht sagt, die Bedrohung der Verdeutschung, die Gefahr
, daß durch sie eine Entchristung herbeigeführt
werden kann. Das „Wort", die Offenbarung, kann sich

I substanziell nicht wandeln und neu erfüllen, weil es
ein für alle mal Erfüllung ist.

Lanz (Westprignitz). Kurt Kessel er.

I -_-__-•

j Nöldeke, Theodor: Geschichte des Qoräns. Zweite Auflage.
3. Teil. Die Geschichte des Qoräutexts von G. Bergsträßer und O.
Pretzl. Lfg. 3 von O. Pretzl. Leipzig: Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung
1936. (S. 161—274, 8 Taf.) gr. 8°. RM 11—.

Als ich 1929 in dieser Zeitschrift (Sp. 529 ff.) die
j beiden ersten Lieff. des 3. Teiles der Neuauflage von

Nöldeke's „Geschichte des Qoräns" anzeigte, konnte
j weder ich noch ein anderer ahnen, daß es Bergsträßer

nicht vergönnt sein würde, das Werk, das ihm als Ver-
! mächtnis Fr. Schwally's verblieben war, zu Ende zu

führen. O. Pretzl, der langjährige Schüler und Mitar-
i beiter Bergsträßer's, ist nach dem tragischen Tode sei-
| nes Lehrers auch in der Bearbeitung dieses Werkes an
; dessen Stelle getreten. Niemand konnte in der Tat
I besser geeignet sein, über die Geschichte des Qoran-

texts zu handeln, als Pretzl, der bereits seit Jahren
| den gedruckten und handschriftlichen Werken über die
! Lesarten-Wissenschaft seine Aufmerksamkeit gewidmet
j hatte. So darf auch die vorliegende dritte Lieferung
; würdig ihren Platz neben den früheren beanspruchen.

Jeder Orientalist und Religionshistoriker weiß längst,
j daß weder das Leben des Stifters der muhammedani-

schen Religion sich „im vollen Lichte der Geschichte"

abgespielt hat noch daß auch nur der Text seines
i Offenbarungsbuches unumstritten überliefert ist. Ja, es
I ist sogar eine bekannte Tatsache, daß die im Abendland

bisher zumeist benutzte Textgestalt, die Flügel vor mehr

als 100 Jahren hat drucken lassen, eine ziemlich will-
! kürlich zusammengestellte Mischbildung ist, die niemals
j und nirgends im Gebrauch war. Es ist daher in beson-
| derem Maße zu begrüßen, daß heute mehrere Versuche

gemacht werden bezw. schon beendet sind, die sich
j um einen einwandfreien Text des Qoräns bemühen.
I Von ihnen sucht der offizielle ägyptische Mushaf die

Lesung des 'Asim (gest. 128 d. H.) in der Überlieferung
des Hafs (gest. 180), die im Osten durchweg das Über-
j gewicht erlangt hat, mit allen Einzelheiten festzustellen.
! Prof. Jeffery hat sich das Ziel gesetzt, einen vollständigeil
kritischen Apparat zu diesem Text zu schaffen,
und die Bayerische Akademie der Wissenschaften will
aus den ältesten Qoränhdss. selbst den ehemaligen Konsonantentext
fixieren und die Textgeschichte der frühesten
Epoche durch die Lesevarianten eruieren lassen.
Die Durchführung der eben geschilderten Aufgaben
j kann nicht in eine „Geschichte des Qoräns" aufgenom-
: men werden, wohl aber gehören in sie hinein eine kurze
Zusammenfassung der Resultate dieser Arbeiten, soweit
sie schon greifbar sind, und eine Skizzierung der histo-
! rischen Entwicklung, welche durch jene erforscht wer-
i den soll. Beiden Forderungen wird die vorliegende Lie-
I ferung gerecht. Sie beschäftigt sich demnach mit den
Personen der Qoränleser und der Charakteristik ihrer
i Lesungen, mit der Lesartenliteratur und mit den Qoränhdss
. Unter den drei Kapp, nimmt das die Lesartenliteratur
behandelnde einen unverhältnismäßig großen,
dagegen das den Hdss. vorbehaltene einen recnt kleinen
| Raum ein. Der Grund dafür liegt zunächst in einein
j Äußerlichen, indem nämlich auf dem Gebiet der Qiraät-
Wissenschaft bisher die meisten Vorarbeiten geleistet
worden sind. Insbesondere hat Pretzl selbst, wie schon
j erwähnt, das reiche Hdss.-Material in den Bibliotheken
i Europas und des Orients aufgenommen und in verschie-
! denen Aufsätzen und Büchern zugänglich gemacht. Da-
i durch wird es verständlich, daß er sich dem literarge-
) schichtlkhen Teil besonders eingehend widmet. Vielleicht
noch wichtiger ist der innere Grund, der darin
| zu suchen ist, daß die muslimischen Gelehrten seit den'
j 4. Jahrhundert d. H. für die Erlernung und Lehre der
I praktischen Kenntnisse in der Qoränlesung nicht mehr
I auf die Qoränhdss. selbst zurückgegriffen haben, sondern
sich ausschließlich der Lesartenliteratur bedienten. Na-