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Ausgabe:

1937 Nr. 1

Spalte:

268-269

Autor/Hrsg.:

Baetke, Walter

Titel/Untertitel:

Arteigene germanische Religion und Christentum 1937

Rezensent:

Kesseler, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 15/16.

268

auch Wolfgang Schultz (Die religiöse und geistige
Kultur der germanischen Bronzezeit, Jahreshefte
der Gesellschaft für Anthropologie und Urgeschichte
der Oberlausitz 3, 1929) und Neckel (Deutsche Ur-
und Vorgeschichtswissenschaft der Gegenwart 1934) anschlössen
, während Hermann Schneider (Germanische
Religion vor 3000 Jahren 1934, hier 1934 in
Nr. 20 besprochen) und sein Schüler Lohse (Versuch
einer Typologie der Felszeichnungen von Bohus-
län 1934) außerdem eigene Wege gingen. Gaerte bezweifelt
namentlich, ob auf den Felszeichnungen schon
menschlich gedachte Gottheiten dargestellt seien, und
will sie bloß „kultisch-magisch", d. h. im wesentlichen
als Verewigungen von apotropäischen Bräuchen deuten,
wie sie nicht nur bei Germanen, sondern auch den verschiedensten
andern Völkern üblich gewesen seien oder
noch seien. Insofern wäre es also unsicher, ob in
den Felszeichnungen wirklich gerade „altgermanisches
Brauchtum" zum Ausdruck kam — daß sie von Germanen
stammen, ist, wie von mir, auch, wenngleich
mit ungenügender Begründung, von Strzygowski
(Spuren indogermanischen Glaubens in der bildenden
Kunst 1936, 181) und wenigstens für manche von ihnen
von F. M. Schröder (Rasse und Religion 1937, 210)
bestritten worden — aber vor allem fragt es sich, ob
jene Erklärung überhaupt zutrifft.

In der Tat lassen sich so gewisse Felsbilder verstehen
, auf die man bisher wohl noch gar nicht geachtet
hat und die Männer oder Frauen darstellen, wie
sie mit einem langen, spitzen Gegenstand nach unten
zeigen; denn Krankheiten oder die sie verursachenden
und sonstige Geister glaubt man vielfach in dieser
Weise „verpflöcken" oder „vernageln" zu können. Daß
freilich ursprünglich auch die sog. Elfenmühlen verstopft
gewesen seien und demselben Zweck gedient
hätten, ist ganz unsicher, während die manchmal abgebildeten
Speere und Äxte in der Hand von Männern
bezw. deren große Hände wieder (zugleich) eine apo-
tropäische Bedeutung haben könnten. Wenn jene Männer
, oder mit Bogen bewaffnete, andern gegenüberstehen
, so hat das allerdings wohl noch einen andern
Sinn, wie ihn ja Gaerte selbst für die gelegentlich dargestellten
Massenkämpfe annimmt: sie sollen den Sieg
des Frühlings über den Winter abbilden bezw. ursprünglich
bewirken. Auch daß die vielfach erscheinenden
Luren und die vielleicht ebenso abgebildeten Trommeln
gerade feindliche Mächte hätten abwehren sollen,
läßt sich nicht irgendwie beweisen; die anderwärts wohl
dargestellten Schlingen und Netze könnten vielmehr, wie
solche Felszeichnungen ursprünglich auch im Norden,
dem Jagdzauber gedient haben.

Sehr künstlich ist dann die Erklärung des einige
Male vielleicht gemeinten Hüpfens oder Stehens auf
einem Bein als eines Abwehrzaubers, und auch die
entsprechende Auffassung der vielfach abgebildeten Fußoder
Schuhsohlen gründet sich auf einen einzelnen Fall,
wo eine solche an der Seite und in der Mitte eines umgrenzten
Bezirks vorkommt. Ebenso hat das mehrfach
abgebildete Kopfstehen sonst nur in einem besonderen
Fall möglicherweise eine apotropäische Bedeutung
(man stellt eine Jäterin auf den Kopf, damit das
Unkraut in die Erde zurückkehrt), ja mit den sog.
Voltigeuren, die rückwärts gebeugt in die Luft springen,
ist die Sitte, sich, vielleicht um Unglück abzuwehren,
rücklings auf den Boden zu werfen, auf ihm zu reiben
oder einen Purzelbaum zu schlagen, überhaupt nicht
zu vergleichen. Noch weniger haben die Gestalten, die
den Arm in die Hüfte stemmen, etwas mit dem Glauben
zu tun, daß man durch die Armbeuge eines andern geheime
Dinge sehen könnte; außerdem würde es sich
dabei nicht um eine apotropäische Wirkung handeln,
auf die ebensowenig bei den von Gaerte angeführten
Analogien zu dem „Kopfhenkel" etwas hindeutet.

Überhaupt unsicher ist die Deutung gewisser Gebilde
als Misteln, wie diejenige der auf der Felszeichnung
von Lilla Gerum von einem Baum ausgehenden
Striche als Schaukeln, und damit erledigt sich zugleich
die von Gaerte gegebene Erklärung beider. Auch
; daß die zwei am Ende des am weitesten nach rechts
j gehenden Strichs auf jenem Felsbild dargestellten Männer
, wie anderwärts zwei Männer mit auf die Erde gerichteten
Stäben, in apotropäischer Absicht sich gegenseitig
(!) das Gesäß zuwendeten, ist wohl wenig wahr-
j scheinlich. Selbst ob der Baum, weil anderwärts als
! Nadelbaum gedacht, eine solche Bedeutung haben sollte,
j ist unsicher; war er vielmehr mit dem Maibaum zu
I vergleichen, so hatte er mindestens zugleich einen an-
! dem Sinn. Und ebenso würde das von dem Brautlager
I auf dem Ackerfeld gelten, d. h. der Sitte, auf inm
Mann und Frau sich wälzen zu lassen, wenn diese
I Sitte wirklich mehrfach dargestellt wäre; doch ist we-
■ gen andrer Felsbilder wohl vielmehr an den 'usoös y«K°?
| der Vegetationsgottheiten, bezw. ihrer menschlichen Repräsentanten
zu denken.

So dankenswert also in dem Gaerteschen Buch die
j Zusammenstellung von Volksgebräuchen aus aller Welt
ist — der Aufsatz von Suffert, Die Volkskunde als
i Hilfsmittel zur Deutung der schwedischen Felsbilder,
J Germanien 1935, bietet in dieser Beziehung tatsächlich
: nicht viel — so scheinen diese Gebräuche mir doch
i zur Erklärung der nordischen Felszeichnungen nur in
I einzelnen Fällen geeignet zu sein. Dafür ist im allgemeinen
noch hervorzuheoen, daß hier manche solche über-
I haupt zum ersten Mal zu deuten versucht und daß dabei
öfter, als das sonst geschieht, mit der Möglichkeit
gerechnet wird, daß auch an derselben Stelle die Felszeichnungen
zu verschiedenen Zeiten entstanden
sind und deshalb bei der Deutung nicht zusammen-
j genommen werden dürfen — anderwärts geschieht das
[ freilich wohl bei Gaerte manchmal, ohne daß es berechtigt
ist. Hat sich die Anzeige seines Buchs eud-
j lieh ungebührlich verzögert, so liegt das daran, daß
ursprünglich mit diesem 1. Heft gleich das 2. zusammengenommen
werden sollte, das für das Frühjahr 1936
angekündigt war, aber bis heute nicht erschienen ist.
Bonn. Carl Giemen.

j Baetke, Walter: Artelgene germanische Religion und Christentum
. 2. Aufl. Berlin: W. de Gruyter & Co. 1936. (40 S.) 8°. RM —95.

Die kleine Schrift des Verfassers ist eine Zusammenfassung
des Inhaltes seines größeren Buches Art und
Glaube der Germanen. Er sieht angesichts der völkischen
Wendung der Gegenwart klar die Aufgabe der
| Kirche, die Frage nach dem Verhältnis von Rasse und
Christentum unter theologischem Aspekt zu behandeln,
wie er sich von dem Absolutheitsanspruch des Cbri-
! stentums aus ergibt. Das Büchlein stellt aber auch die
j Frage nach der Christwerdung des Deutschen in sei-
j ner konkreten Situation. „Die Christianisierung ist nicht
j ein in ferner Vergangenheit abgeschlossener historischer
Akt, sondern sie vollzieht sich in jedem Deutschen,
der sich im Glauben zum Evangelium von der Erlösung
bekennt, aufs neue, und jede einzelne religiöse
Entscheidung dieser Art bedeutet zugleich einen Akt
i der Erfüllung des in uns gesetzten Nomos".

Es werden dann die Hauptprobleme klar herausgestellt
, um die es in der heutigen Diskussion geht, wo-
! bei manch kurzes, aber klärendes Wort über gegenteilige
Stellungnahmen von Kummer, Rosenberg, Wird'
u. a. fällt. So verhandelt der Verfasser die Frage nach
den Quellen, nach dem Freundgott, nach dem Verhältnis
von fascinosum und tremendum im niuininosiiui,
nach den Menschenopfern, nach den „Gottlosen", nach
dem „Gott in der eigenen Brust". Schicksalsglaube
und Odinsmythos werden dargestellt, auch die Frage
nach Sünde und Schuld im germanischen Bezirk wird
beleuchtet. Das Büchlein klingt aus in die Überzeugung;
daß die Bekehrung der 'Germanen eine Segenstat gewesen
ist, welche ihnen durch den Krist die Erlösung
; brachte, die sie in ihrem alten heidnischen Glaube'1