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Ausgabe:

1937

Spalte:

246-247

Autor/Hrsg.:

Scott, Kenneth

Titel/Untertitel:

The Imperial cult under the Flavians 1937

Rezensent:

Breithaupt, G.

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Quellen immer sorgfältig geprüft und ein stichhaltiges
Ergebnis vorliegt, ein gewichtiger Einwand gegen die
Einbeziehung der Psychopathologie, die gerade beweist,
auf wie schwachen Füßen die volkskundliche Begriffsbildung
noch ruht.
Quakeubrück. H. Vorwahl.

Luther.Wilhelm: „Wahrheifund „Lüge" im ältesten Griechentum
. Borna: Robert Noske 1935. (VIII, 178 S.) 8°. RM 4.80; geb. 5.80.
Die vorliegende Schrift, ursprünglich eine bei der
Philosoph. Fakultät üöttingen eingereichte Dissertation
, ist eine tüchtige Arbeit, aus der in methodischer
wie in stofflicher Hinsicht viel zu lernen ist. Sie ist,
wie der Verf. selbst angibt „zweiseitig ausgerichtet":
„Mit der rein sprachlichen Untersuchung, d. h. einer
Untersuchung, die ein Stück der archaischen Sprach- und
Denkstruktur erfassen will, verbindet sich eine soziologisch
-psychologische Interpretation der durch die Worte
bezeichneten Phänomene, nämlich wie sich die verschiedenen
Zeiten und Menschen dazu verhalten haben."
In dieser Zweiseitigkeit ist freilich eine Schwäche begründet
; denn wenn sie auch den Inhalt bereichert j
und den Ertrag sprachlicher Untersuchungen für grö- i
ßere Zusammenhänge sichtbar macht, so leidet doch
die Einheitlichkeit der Untersuchung darunter. Der Verf.
hat es nicht voll vermocht, beide Fragestellungen zu
einer Einheit zusammen zu bringen. In der sprachge-
schichtlichen Untersuchung folgt er der „genialen Entdeckung
" W. von Humboldts, daß jeder Sprache eine
spezifische „Weltansicht" zu Grunde liegt; und er ist
bei seinen Analysen geleitet von der phänomenologischen
Forschung, besonders von den Arbeiten von Hans Lipps.
Inder „soziologisch-psychologischen Interpretation" ist er
dagegen von der gröberen Begrifflichkeit durchschnittlicher
soziologischer und psychologischer Fragestellungen
bestimmt. Man könnte erwarten, daß ebenso wie
durch die sprachliche Untersuchung die archaische
Sprach- und Denkstruktur phänomenologisch an der
Hand des Wortgebrauchs herausgearbeitet wird, so auch
die möglichen Differenzierungen und Fortbildungen der
ethischen Begriffe auf dem Grunde der Struktur des
sittlichen Denkens aufgewiesen würden. Aber nicht die
Ausbildung einer spezifisch griechischen „Weltansicht",
sondern die den äußeren Anstoß gebenden soziologischen
Faktoren oder gar nur die persönlichen Erlebnisse
(des Hesiod) werden in Rechnung gezogen, um zu
interpretieren, wie „sich die verschiedenen Zeiten und
Menschen" zu den in Frage stehenden Phänomenen „verhalten
haben". Zudem ist klar, daß eine Untersuchung
der Stellung der frühgriechischen Ethik zu den Phänomenen
der Wahrheit und Lüge nicht durch die Orientierung
an den sprachlichen Ausdrücken für diese Phä- j
noinene begrenzt sein dürfte, sondern auf eine breitere
Basis gestellt werden müßte. Aber das ist dem Verf.
auch bewußt und kommt in manchen wichtigen Anmer- i
kungen zur Geltung, die die Darstellung ergänzen (z. B.
Über die Begriffe uyaOoi;, xaÄ.6?, xeqöiov, avytibtau^ xXeog
^o? oder über die Auffassung der Arbeit).

Objekt der sprachlichen Untersuchung ist wesent-
'ich das homerische Epos, wobei die „soziologisch-psychologischen
" Interpretationen immer den Einschlag bilden
, während dann Hesiod und die sog. homerischen
Hymnen wesentlich unter der soziologisch-psychologischen
Fragestellung behandelt werden. Der Ertrag ist
denn auch für den ersten Teil wesentlich reicher als ;
'ür die beiden anderen.

Der erste Teil verdient großes Lob, denn er leistet,
Was er verspricht. Untersucht werden die Ausdrücke
für die Phänomene der Wahrheit (li^öenj, vnusorrj?
utoexi]S etc. und die übrigen Bildungen wie eteos, owpfc
^ 4.) und der Lüge (wie ij«rö6oc, ejuoqxoc, <htäxr etc.).
^er Verf. verfährt so — und das ist das methodisch
Bedeutsame —, daß er die Grundbedeutung jeweils
n!'cht einer mutmaßlich ältesten Einzelbedeutung entnimmt
, aus der sich dann weitere Einzelbedeutungen i

! entwickelt hätten, sondern daß er durch vergleichende
Betrachtung die Grundbedeutung als etwas gegenüber
den Einzelbedeutungeu Vorgängiges erschließt. Gerade
so kann diese als Ausdruck einer bestimmten „Weltansicht
" verstanden werden.

Über das Einzelne kann ich hier nicht berichten,
i (Erwähnt sei, daß als die etymologische Bedeutung von
I abiütii) wieder „Unverborgenheit" festgestellt wird.) Als
Eigenart frühgriechischen Denkens treten folgende Züge
heraus: Die Bereiche des Theoretischen und Praktischen
sind noch wesentlich ungeschieden; die Ausdrücke
des Wissens meinen nicht nur das bloße Wissen und
Erkennen, sondern ebensowohl ein Sich-verstehen-auf,
ein Können. Entsprechend ist „vergessen" nicht ein
bloßes aus den Gedanken Verlieren, sondern ein vernachlässigendes
Nichtbeachten, ein Unterlassen. Unge-
schiedeh ist die Aussage von dem in der Aussage aufgezeigten
Sachverhalt, sodaß die Unterscheidung von
„wahr" und „wirklich" nicht vollzogen wird. In ähnlicher
Weise kann ein Wort sowohl einen Begriff,
den wir als ein Abstraktum empfinden, wie einen konkreten
Gegenstand oder ein konkretes Verhalten bezeichnen
; oder besser im Sinne griechischen Empfindens
formuliert: das gleiche Wort kann einen konkreten
Gegenstand wie das sich seiner bedienende, bzw. ihn
erst hervorbringende Verhalten (SoXo?, Äo/o?), es kann
eine subjektive Eigenschaft wie ihre konkrete Auswirkung
(ihitl;) bezeichnen. Der Unterschied zwischen
einem objektiven Tun oder Verhalten und seiner subjektiven
Bedingtheit wird nicht gemacht; i)iev6o? (das
„Falsche") bedeutet den Irrtum wie die Lüge; durch
EjuoyxEiv wird der unverschuldete Falscheid wie der
Meineid bezeichnet. Dem entspricht es, daß die Sprache
noch nicht zwischen Recht, Sitte und Moral unterscheidet
.

Die soziologisch-psychologische Interpretation vermag
natürlich die Eigenart der Begriffsbildung und
ihrer möglichen Entwicklung nicht zu erklären. Sie hat
die Frage nach der Bewertung von Wahrheit und Lüge
in bestimmten Kulturkreisen zu ihrem Gegenstand. Hier
zeigt der Verf. den Unterschied zwischen dem Heldenideal
der Ilias und dem Menschentum in der Sphäre
der ionischen Kolonisten- und Seehändler-Aristokratie,
die den Hintergrund der Odyssee bildet, und er weist
auf die eigenartige Tatsache hin, daß das Bild des
ionischen Menschentums auch schon das Bild der Göttergesellschaft
der Ilias bestimmt hat, während die Helden
der Ilias in archaisierender Verklärung gezeichnet
sind. Sodann beschreibt der Verf. die Gestalt Hesiods.
der im Gegensatz zur Adelsethik und einer Standesethik
überhaupt als ethischer Reformator auftritt, der den
Begriff der 8(jct) konzipiert und so zu einem Umwerter
der Werte wird. Im Gegensatz dazu erweist sich in
den sog. homerischen Hymnen wieder die ionische
Sphäre als mächtig. Handelt es sich bei dieser soziologisch
-psychologischen Interpretation auch nicht um
grundlegend neue Einsichten, so erweist doch der Verf.
im Einzelnen seine Selbständigkeit.
Marburg. R. Bult mann.

Scott, Kenneth: The Imperial Cult under the Flavians. Stuttgart
: W. Kohlhammer 1936. (VII, 204 S.) gr. 8°. RM 9—.

Wenn der Amerikaner K. Scott sein Buch im Verlage
der Tübinger Beiträge zur Altertumswissenschaft
erscheinen läßt, so zeigt sich schon in dieser Äußerlichkeit
seine enge Verbundenheit mit der deutschen
Wissenschaft, und auch er selbst gesteht, sich der
helfenden Hand O. Weinreichs erfreut zu haben aus
dessen Schule hier kürzlich das Buch Sauters zur Besprechung
stand (ThLZ 1935, 154 f.). Während aber
die Untersuchungen des letzteren über den römischen
Kaiserkult sich auf die Zeugnisse der beiden Dichter
Martial und Statius beschränkten, schlägt Scott den
Kreis weiter und baut auf einem so umfangreichen
Grunde auf, wie das heute möglich ist. Er schöpft nicht