Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1937 Nr. 13

Spalte:

231-232

Autor/Hrsg.:

Allo, Ernest B.

Titel/Untertitel:

Saint Paul, Première épître aux Corinthiens 1937

Rezensent:

Seesemann, Heinrich

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

231

Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 13.

232

das negative Christuszeugnis gegenüber dem positiven
ungebührlich hat zurücktreten lassen (vgl. ThLZ. 1936,
S. 437), so läßt H. das positive vor dem negativen unter
den Tisch fallen. Dadurch aber wird seine
ganze Position unhaltbar. Denn das, was über
das A. T. christlich zu sagen ist, ist grundsätzlich vom
N.T. her zu sagen und nicht aus dem eklektischen Verfahren
eines Historikers, der „in der Selbstbesinnung
des Glaubens sein Urteil über den alttestamentlichen
Text erarbeitet" (S. 78). Es genügt nicht, in Bezug
auf dasA.T. von einem Ahnen und Sich-Entgegenstrecken
auf das N. T. zu zu reden. Dann rückt in der Tat, wie
H. bestätigt, das A. T. sachlich auf eine Fläche mit den
außeralttestamentlichen Religionen, und man bedarf eines
erheblichen Umweges, um sich und andere davon zu
überzeugen, daß das A.T. in der christlichen Bibel zu
verbleiben habe. Übrigens scheint mitunter doch, entgegen
der prinzipiellen Haltung des Buches, dem Vf.
etwas wie eine positive Beziehung der Testamente zueinander
aufzugehen, so bei dem Jonakapitel S. 61 oder
bei der mehrfach wiederkehrenden Wendung von der im
A.T. gefangenen Wahrheit; aber das hat keinen Einfluß
auf das Ganze. H. hat das Auf-die-Zukunft-Angelegtsein
im A.T. nicht gesehen, geschweige denn, daß ihm das
zum Bewußtsein gekommen ist, was wir Heilsgeschichte
nennen. H. kann sagen, daß nicht der christliche
Glaube uns mit Gen. 22 verbinde, sondern eine Art gemeinsames
, natürliches Gottesverhältnis; dabei ist es
doch so, daß nur unser christlicher Glaube — heilsgeschichtlich
verstanden — uns mit Gen. 22 verbindet und
daß um dieser Verbindung willen jene Parallelität für
uns deutlich wird! Infolgedessen ist für H. die Selbstverständlichkeit
, mit der die Christenheit vom A. T. Besitz
ergriff und sich selbst mit dem Volk des Alten
Bundes identifizierte, lediglich ein der geschichtlichen
Wahrheit entgegenstehender Mißgriff. Freilich, wer wie
H. das A.T. nur rabbinisch zu deuten für richtig hält
und 1. Sam. 17 vom Buche Judith her interpretiert, kann
nicht wohl anders! Was geht uns aber diese jüdische
Deutung an? Uns beschäftigt, als Exegeten und Historiker
, die geschichtliche Problematik des A. T. Gegenstand
unseres christlichen Anliegens aber ist zu allererst
die Tatsache, daß die Gemeinde des N. T. sich auf
der einen Seite gegen das A. T. von der Offenbarung
in Christus her abgrenzt und doch sich selbst und ihren
Christus in dem gleichen A.T. vorfindet. Dann wirkt
das N.T. für das A.T. gewiß einerseits „zerscheidend"
und zersprengend, aber immer zugleich aufnehmend und
Erfüllung gebend.

Es geht nicht das Eine ohne das Andere. Wer
diese beiden Wahrheiten in ihrer Spannung nicht sieht
und voll zur Geltung bringt, dem kann nicht das Recht
zugestanden werden, in dieser Sache gehört zu werden.
Denn er bescheinigt sich damit, daß er weder das Alte
noch das Neue Testament verstanden hat.
Hofgeismar (Marburg). H. W. Hertzberg.

Allo, P. E.-B.: Saint Paul premiere epitre aux Corinthiens.

Paris: J. Qabalda & Cie. 1934. (CXII, 516 S.) gr.' 8°. = Etudes
bibliques.

Seit R. Cornely's 1890 erschienenem Kommentar
zum [. Kor.-Br. fehlte eine ausführliche wissenschaftliche
Auslegung dieses Briefes auf katholischer Seite. Nun
hat E.-B. Allo — schon bestens bekannt durch seine
Auslegung der Apc. — sie vorgelegt, und mam darf urteilen
: die Kenntnis und Sorgfalt, mit der er an seine
Aufgabe herangetreten ist, ist schlechthin vorbildlich. Das
trifft zunächst schon auf die übliche, dem Kommentar
vorausgeschickte Einleitung zu, in der alle wichtigeren
Fragen, die die Gemeinde sowie den Brief angehen, besprochen
werden. Sehr bequem für den Benutzer ist
die ausführliche Bibliographie am Schluß der Einleitung,
in der Kommentare und Monographien beider Konfessionen
und aller. Sprachen erwähnt, teilweise sogar kurz
charakterisiert werden. Die Erklärung selbst wird in
2 Teilen geboten: sub A finden sich alle textkritischen

| und grammatikalischen Bemerkungen, sub B die inhaltliche
Deutung, auf der selbstverständlich das Schwergewicht
liegt. Zu erwähnen sind auch eine Reihe sehr
eingehender Exkurse. Den Beschluß des Bandes bilden
sehr ausführliche Register jeder Art auf insgesamt 19
Seiten. — Also alles in allem: eine vorzügliche Leistung,
zu der man den Verfasser, sowie die Leser, für die das
Buch bestimmt ist, beglückwünschen kann.
Riga. H. Seesem an n.

| Vögtl e, Dr. Anton : Die Tugend- und Lasterkataloge im Neuen
Testament. Exegetisch, religions- u. form geschichtlich untersucht.
Münster i. W.: Aschendorffsche Verlagsbuchh. 1936. (XVIII, 254 S.)
gr. 8°. = Neutestamentliche Abhandlungen. Bd. XVI, 4/5. RM 12.75.

Das Buch dient dem Zweck, den Tugend- und Laster-
j katalogen des N.T.s — diese Begriffe im weitesten
Sinn gefaßt — den richtigen Platz in ihrer Zeit und
Welt anzuweisen. Und zwar werden die hierbei ent-
! stehenden Fragen sowohl von der exegetischen, wie
j von der religions- und formgeschichtlichen Seite her in
Angriff genommen.

Der erste Abschnitt stellt den neutestamentlichen
Tatbestand dar und würdigt Tugend- und Lasterkataloge
als Elemente der Missions- und Predigtpraxis. Der
zweite Teil bringt dann den Vergleichsstoff aus der Umwelt
des N.T.s: griechisch-römisches Heidentum; A.T.
und Spätjudentum, wobei angesichts der „zwei Wege"
I das Problem eines vorchristlichen jüdischen Moralkatechismus
erörtert wird. Der dritte endlich zieht den Vergleich
und beurteilt die neutestamentlichen Tugend- und
j Lasterkataloge im Verhältnis zu den außerbiblischen,
I deren Terminologie und Auffassung des Sittlichen.

Mit dem Letzteren ist schon gegeben, daß sich die
Betrachtung der Kataloge zu einer Behandlung der Sittlichkeit
selbst auswächst. Und das muß ja so sein; denn
deren Kenntnis ist doch die notwendige Voraussetzung
für ein richtiges Verständnis und eine zutreffende Bewertung
ihrer Ausdrucksformen. Dabei dürfte schwerlich
von sachverständiger Seite her bestritten werden, daß
die Sittenpredigt eines christlichen Apostels einen wesentlich
anderen Inhalt hat, als die eines kynisch-stoi-
schen Wanderpredigers oder Popularphilosophen. Die
Schwierigkeit beginnt da, wo die Grenze gezogen werden
muß zwischen dem, was die Kataloge sagen, und dem,
wie sie es tun. Zieht die Form den Inhalt irgendwie
mit in den Bann und dadurch nach der nichtchristlichen
Seite hinüber, oder steuert diese wirklich nur die äußere
Hülse bei, die jetzt einen völlig neuen Inhalt birgt?
Auf diese Frage hat man bisher meist mehr gefühlsmäßig
geantwortet, nicht auf Grund exakter Feststellun-
i gen. Diese Lücke wollen die dankenswerten Bemühungen
Vs. schließen.

Er bestrebt sich, die richtige Mitte einzuhalten zwischen
der Anerkennung der Abhängigkeit von zeitgenössischen
Mustern und der Betonung der Selbständigkeit
und Freiheit ihnen gegenüber. Jene betrifft auf das
Große und Ganze gesehen das Schema, diese den Inhalt
, der auch da Verschiedenheiten aufweisen kann,
wo auf beiden Seiten dieselben Wörter vorkommen.
Die Kataloge sind „geläufige Ausdrucksformen des hellenistischen
Zeitalters", sie sind griechisches, nicht jü-
! disches Produkt, gehören, wie ihr Verkündiger, der Po-
pularphilosoph zum hellenistischen Städtebild (S. 120 f.).
Jedoch, wenn nun im gleichen Zusammenhang Paulus
als vom hellenistischen Zeitgeist berührt erscheint, beschleicht
einen wieder der Zweifel, ob die Linie wirklich
so glatt zwischen Form und Inhalt hindurchgeht. Vielleicht
ist das Problem doch komplizierter, im Tiefsten
nicht rein auflösbar.

Viel käme wohl auf eine scharfe Begriffsbestimmung
an. Was ist eigentlich urchristliche Sittlichkeit?
Wird ein der hellenistischen Welt eigentümlicher ethischer
Zug oder Grundsatz dadurch, daß ein Christ ihn
aufnimmt, ein christlicher? Darf man die „wirklich"
urchristliche Moral so einheitlich fassen, wie das etwa
H. Preisker tut, und alles, was den empfundenen inni-