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Ausgabe:

1937 Nr. 11

Spalte:

198

Autor/Hrsg.:

Riesenfeld, Harald

Titel/Untertitel:

Zum Gebrauch von thelō im Neuen Testament 1937

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

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197

Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 11

198

für diejenigen bereit, die besondere Bedingungen erfüllen
, denn der Mensch ist so geschaffen, daß jede Seele
fähig ist, das Gute zu tun. Aber Tugend ist Gabe Gottes.

Aus diesen Andeutungen ergeben sich schon allein
schwerwiegende Bedenken gegen den methodischen Aufbau
. Die Äußerungen Philo's sind nicht nur zwiespältig
, sondern auch schillernd und unklar und in sich
widersprechend vgl. p. 50. 63. 90. Der Verfasser sucht
aus mosaikartig zusammengestellten Zitaten zu geschlossenen
Ansichten Philo's zu gelangen. Das ist vergeblich
, da auch innerhalb dieser Äußerungen eine reinliche
Scheidung zwischen dem 1. und 2. Hauptstück nicht
zustande kommt. Es ist ein ständiges sie et non. Man
vermißt deshalb zunächst eine grundlegende Zusammenfassung
über die Psychologie Philo's und über seine
Einstellung zu Schöpfung und Sündenfall (p. 31 flüchtig
gestreift). Zusammengehörige Äußerungen über Willensfreiheit
, Erbsünde, Ohnmacht des Willens, Kampf gegen
dien<Wi), die in geschlechtlicher Beziehung als Wurzel
alles Übels gedacht ist, Tugendlehre, Eudämonismus werden
in verstreuten Bruchstücken behandelt. Die Frage
bleibt offen, ob sich bei Philo selbst, wenn die Zitate
nach der zeitlichen Aufeinanderfolge der Philomischen
Schriften geordnet werden könnten, eine Entwicklung seiner
Einstellung ergeben würde.

Der 3. Hauptteil „Gedanken über Erlösung in den
synoptischen Evangelien" steht unter theologischen Gesichtspunkten
der religionsgeschichtlichen Schule, die
durch Wrede, Weinel, Wernle, gekennzeichnet sind. Die
formgeschichtliche Methode dient dazu, einzelne Teile der
synoptischen Berichte zu isolieren, um nachzuweisen,
daß ein großer Gedankenkomplex der Evangelien Jesus
als Heilsmittler ausschalte. So wird die Bergpredigt
in Einzelteilen ohne Bezugnahme auf den Schluß Mtth.
7,21 ff. ausgelegt und bei der Botschaft Jesu an den
Täufer im Gefängnis der Schlußsatz Mtth. 11, 56 f. ausgelassen
. Synoptische und paulinische Auffassung werden
scharf geschieden, ohne zu beachten, daß in der
gesamten Überlieferung vom Auftreten des Täufers an
die Heilserwartung in einem kommenden Äon unbedingt
an die Predigt und die Person Jesu gebunden ist. Zudem
wird der Begriff der Erlösung auf Gebiete ausgedehnt
, welche den Rahmen der Schrift sprengen. So nur
konnte es gelingen, die Sündenvergebung aus dem Zentrum
der neutestamentlichen Botschaft und die Person
Jesu aus dem Zentrum der Sündenvergebung zu verdrängen
und die in Wirklichkeit völlig inkongruente Bedeutung
der Hauptbegriffe Erlösung und Selbsterlösung
bei Philo und im Neuen Testament auf eine Ebene zu
bringen.

Im 4. Hauptstück „Vergleich Philo's mit den synoptischen
Evangelien betr. den Punkt Erlösung" bringt
nun der Verfasser bei seiner sorgfältigen und gründlichen
Untersuchung des Materials in überraschender
Weise selbst die Korrektur des 3. Teils. Der Vergleich
nötigt zu einem Wechsel des Gesichtspunkts. Die escha-
tologische Spannung der gesamten neutestamentlichen
Überlieferung und die Grundbegriffe der evangelischen
Verkündigung treten in den Vordergrund. Die in die
Tiefe gehenden Ausführungen über den fundamentalen
Unterschied der philonischen und biblischen Psychologieweisen
nach, daß bei gleichem Wortlaut auf beiden
Seiten der Wortsinn grundverschieden ist. Philo
geht aus von der wesentlichen Gottverwandtschaft des
menschlichen vouc, die Evangelien appellieren nirgends
an das Höhere im Menschen, das das Niedere überwinden
soll, sondern fordern auf, den Ruf Gottes zu hören
(vgl. p. 160 ff. über Askese und Ekstase bei Philo).
Wird aber die Erlösung grundsätzlich an Jesu Person
Und Werk gebunden, dann sind von da aus die im 3.
"auptstück gewonnenen Resultate über Selbsterlösung
^ korrigieren.

. Für eine Neuauflage wäre die Beigabe eines Re-
g'sters der Schriftstellen erwünscht.

Berlin. Friedrich Jeremias.

Dodd, Prof. C. H.: The Present Task in New Testament Stu-
dies. Cambridge: University Press 1936. (41 S.) kl. 8°. 2 s.

In seiner allgemeinverständlich gehaltenen Antrittsvorlesung
gibt der Nachfolger von F. C. Burkitt zunächst
in großen Zügen einen Überblick über die verschiedenen
Probleme, die nacheinander in den letzten hundert Jahren
die neutcstamentliche Forschung beschäftigt haben.
Die Gegenwartsaufgabe sieht er demgegenüber in der
Ausrichtung der Spezialstudien auf eine die Einheitlichkeit
des NT. erfassende Exegese.

Göttingen._Joachim Jeremias.

Arbeiten und Mitteilungen aus dem neutestamentlichen Seminar
zu Uppsala, hrsg. v. Anton Fridrichsen. I. Harald Riesen-
feld: Zum Gebrauch von fretao im Neuen Testament. (16 S.) II.
G. Björck, A. Fridrichsen, G. Rudberg: Conjectanea neo-
testamentica. (16 S.) gr. 8°. Zu beziehen durch Alfred Lorentz, Leipzig.
Das neutestamentliche Seminar zu Uppsala beginnt
I mit diesen Heften eine sehr begrüßenswerte Reihe. Die
j große Sorgfalt und die reichen Belege der vorliegenden
! Hefte lassen den Einfluß A. Fridrichsens spüren.

H. Riesenfeld behandelt einige schwierige Fragen
aus dem Sprachgebrauch von d&ha (Schrenks Artikel
im Theol. Wörterbuch III, 43 ff. konnte leider nicht
mehr benutzt werden, aber R. bietet nützliche Ergänzungen
dazu). Für Kol. 2,18 f. vertritt er die Deutung
von {)k?.o>v als adverbialer Ergänzung zu xaxaßeaßtvExa)
und übersetzt: „Niemand darf euch absichtlich das Heil
absprechen unter Berufung auf Demut und Engelverehrung
" ; für diesen Sprachgebrauch gibt ein Anhang
reiche Belege, ri Öetau ei fjör| ävrjqjthi in Lk. 12,49 wird
als Irrealsatz aufgefaßt in Sinn von „es wäre gut, daß
es schon entzündet wäre", wofür die Septuaginta Parallelen
liefert. Mk. 6, 26 ofoe -ri-OeX-naev äfreTrjaai avxi)v bezeichnet
ob Q6ka das Ausbleiben der Willensentscheidung.
Man sollte also besser nicht übersetzen „er wagte nicht",
sondern „er wollte nicht". Und Mk. 6, 48 f]ösXev ituoeXOeiv
avxovc hat eigentlich nicht den Sinn „im Begriff sein",
sondern durchaus den von „wollen", nur wurde diese
Absicht nicht ausgeführt. In allen diesen Fragen kann
man dem Vf. durchaus zustimmen und ist für die Belehrung
dankbar.

Das 2. Heft enthält zunächst die Behandlung dreier
Markus-Stellen durch G. Björck. Mk. 12,4 wird von
den Winzern gegenüber dem Boten des Weinbergbesitzers
gesagt: xcbcelvov eV.EtpaXaicoactv; B. möchte dieses
Verbum von xö x^pdkuov = die Summe ableiten und übersetzen
: „summieren, den Garaus machen". Er bringt
für diesen Bedeutungswandel Belege aus modernen Sprachen
, freilich keine griechischen; doch bleibt die Übersetzung
durchaus erwägenswert. Mk. 7,9 xa/.tüq ciös-
| teCte tt|v 6vtoM|v xov tieoü ist zu übersetzen: „es ist gut,
| daß ihr Gottes Gebot aufhebt", xaX&q bezieht sich also
auf den ganzen Satz; eine gute Parallele findet sich
bei Aristophanes (Vögel 139 ff.). Für Mk. 8,12 ei
SoftrioFTtti = „es wird nicht gegeben werden" bestreitet B.,
daß es sich um einen Semitismus handelt, aber das leuchtet
weniger ein. A. Fridrichsen zeigt dann, daß die
Eigentümlichkeit, daß in Mk. 2,10 Vordersatz und Nachsatz
verschiedene Adressaten haben, einem bei Demosthenes
häufig begegnenden Schema entspricht. Und Mk. 7, 28 vai
xijQie im Munde des syrophönizischen Weibes sei zu
übersetzen „Bitte, Herr!", wofür zahlreiche Parallelen
zitiert werden; und es ist nicht zu leugnen, daß, der
Zusammenhang diese Deutung begünstigt. Schließlich
weist G. Rudberg unter dem Titel: „Germanenspuren
im Neuen Testament?" darauf hin, daß Paulus gegen die
I Galater sehr scharf vorgehe, und daß zur Kaiserzeit
I das einst gefürchtete Nordvolk der Galater mit dem
damals gefürchteten Nordvolk der Germanen verwechselt
wurde. Sollte Paulus diese Germanenfurcht kennen
und gegenüber den Galatern mitspielen lassen? Mir
scheint diese Frage und Vermutung freilich sehr müßig
und wenig naheliegend.

Die neue Reihe ist sehr dankenswert, und man
i wünscht ihr gerne einen guten Fortgang.

Zörich- Werner Georg Kümmel.