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Ausgabe:

1937 Nr. 10

Spalte:

190-191

Autor/Hrsg.:

Weber, Josef

Titel/Untertitel:

Anleitung zur Abfassung einer Pfarrgeschichte 1937

Rezensent:

Meyer, Philipp

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Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 10.

190

geht, von der aus L. Anschauungen anderer sich anzupassen
sucht (S. 50). Der Verfasser findet sie in dem
Schriftchen: Erziehung des Menschengeschlechts (S. j
54 ff.). Es wird dort deutlich, daß beide Anschauungen
sich zu einer Einheit zusammenfügen. L. ist ein echter
Theist: Gott handelt in der Geschichte durch seine
Offenbarung. Offenbarung bedeutet keine Umschreibung
für Entwicklung (S. 86—98, auch S. 99—115). Daneben
steht die Vernunft als Repräsentant des totalen Menschen
(S. 68—79 und S. 98). Neben ihr scheint die
Offenbarung keinen Platz zu haben. Der von L. verschieden
gebrauchte Begriff Vernunft kann in das Zwielicht
Helligkeit bringen. In § 4 des Erziehungsbuches
ist von einer Vernunft die Rede, die von selbst auf die
„wichtigsten Dinge" kommen kann, in § 77 von einer
Vernunft, die „auf nähere und bessere Begriffe von göttlichen
Wesen" niemals ohne die Offenbarung gekommen |
wäre. Th. sieht in der Vernunft des § 4 die Vernunft,
von der Kant in seinen großen Schriften spricht, in der
Vernunft des § 77 die empirische Vernunft, sodaß die
Offenbarung der, sagen wir, transcendenten Vernunft j
die empirische Vernunft zu den „höchsten Stufen der
Aufklärung und Kernigkeit" zu führen vermochte (S.
149—160). Die Offenbarung ist also der Mittler zwischen
transcendenter und empirischer Vernunft. Th. will
in dieser Lösung L.s nicht mehr als die Frage, „ob es
nun wahrhaft so sei" sehen (S. 161).

Es gehört wirklich großer Mut dazu, in das Wirr-
sal der durch das Problem aufgeworfenen Fragen hineinzutauchen
. Es wird ein schönes, im ganzen glaubhaftes
Ziel erreicht. Es erscheint allerdings nicht ganz
glaubhaft, ob mit der „menschlichen Vernunft" des
§ 4 die Vernunft der großen Schriften Kants gemeint
sein kann. Vielleicht könnte die Untersuchung des Wortes
„menschlich" bei L. weiterführen, etwa sogar dahin,
daß die gefundene Lösung sich nicht so widerspruchslos
aufstellen ließe. Darauf könnte auch deuten, daß nirgend
das Verhältnis von transcendenter Vernunft und Gott
festgestellt wird. — Was den Zweck der Schrift anlangt
(S. VII—IX), ist zu sagen, daß er nicht einsichtig wird.
Th. will denen wehren, die die Geschichtlichkeit der
Offenbarung abstreifen und eine Idee an die Stelle setzen
wollen, wie es Heidegger und Tillich etwa tun. Wohl
wird der Offenbarung Raum geschafft, aber nur als
Schrittmacher, als Vorspann der Vernunft. Wir können
darin nur einen ernsten Kampf zwischen überkommener
Theologie und neuandringender Philosophie sehen.
Neben letzterer wird der Theologie nur ein Plätzchen
eingeräumt, ohne daß recht glaubhaft wird, warum die
Vernunft nicht selbständig zum Ziele kommt. Th. kann
w is mit seiner Untersuchung allein warnen, in der Geschichtsphilosophie
der Vernunft allzu große Selbständigkeit
zuzusprechen.
Buchholz, Sa. Rudolf H e i n z e.

Asmus, Dr. Walter: Pestalozzis Theorie der Menschenführung
. ,. Berlin: Junker & Dünnhaupt 1935. (99 S.) gr. 8°. =
Neue Deutsche Forschungen, hrsg. von Hans R. Q. Günther u. E
Rothacker,.Bd.*l. RM 3 80

Gegenüber dem glatten, abgerundeten Pestalozzibild
der Vergangenheit hat die neuere Forschung immer starker
die inneren Spannungen im Pestalozzis Gedankenwelt
herausgestellt. Die extremen Pole der Pestalozziinterpretation
dürften Natorp und Delekat sein, jener mit seiner
These vom Idealisten bezw. Kantianer Pestalozzi, dieser
nit seinem Versuch, Pestalozzi als homo religiosus zu
sehen. Gründend auf erstmalig veröffentlichten Schriften
Pestalozzis in der neuen großen Pestalozziausgabe von
Buchenau, Spranger und Stettbacher geht Asmus eigene
J^ege, die etwa zwischen Natorp uno Delekat hindurchführen
. Allerdings wird erst der Abschluß der neuen
1 estalozziausgabe die volle Rechtfertigung des von Asmus
entworfenen Gesamtbildes bringen können; Asmus
^eiß das auch.

Er unterscheidet drei Epochen in Pestalozzis Haltung
. In der ersten Epoche entwirft er eine Bildungslehre
, die im „Grunderlebnis der prästabilierten Harmonie
zwischen subjektivem Leben und objektivem
Geist" wurzelt und daher eine Gleichschwebe zwischen
Führen und Wachsenlassen fordert. Diese Haltung liegt
in den Aufsätzen über die Armenanstalt klar zu tage,
verblaßt aber im Entwurf zu der „Abendstunde eines Einsiedlers
" in der Richtung auf ein bloßes Wachsenlassen,
bis diese in der endgiltigen Form der „Abendstunde"
fast ganz einseitig herausspringt. Der „Engelgang der
Liebe", das Vertrauen in die Innerlichkeit des Menschen
, übertönt fast alle andern Gesichtspunkte. Die bittern
Erfahrungen der eigenen pädagogischen Existenz
ernüchterten den pädagogischen Optimismus Pestalozzis.
Die „Ordnung des Kotes", die Tatsachen und Notwendigkeiten
der Wirklichkeit, straften den „Engelgang" Lügen
. Das „Führen" tritt jetzt so stark in den Vordergrund
, daß sogar die Religion zu einem Mittel der höheren
Polizei wird, um die tosende Natur zu bezähmen.
So schlägt Pestalozzis pädagogischer Optimismus um
in die Sprache der Verzweiflung.

Es wird fraglich bleiben, wieweit es Pestalozzis pädagogischem
Genie gelungen ist, aus eigener schöpferischer
Kraft diesen Tiefstand zu überwinden, oder wieweit
etwa äußere Einflüsse (Kant, Fichte, Shaftesbury)
hier wirksam oder mit wirksam waren, jedenfalls bewegt
sich Pestalozzi in den „Nachforschungen" in einer
dem deutschen Idealismus verwandten Richtung. Über
das Individuelle triumphiert das Allgemeine, und die
„Gertrud" bietet eine wesentlich an den Ansprüchen
des Objektiven und Allgemeinen orientierte Bildungslehre
. Hierbei zahlt Pestalozzi seinen Tribut an sein
Zeitalter mit dem Bemühen um eine für alle Zeiten
gültige Lösung. Asmus deutet dann die weitere Linie
an, die zum „Schwanengesang" führt, nämlich das Bestreben
Pestalozzis, die Einseitigkeiten seiner früheren
und seiner späteren Stellung in einer synthetischen spannungsvollen
Einheit zu überwinden. Die weiteren Zeugnisse
der künftigen Bände der neuen Pestalozziausgabe
werden hier das letzte Wort der Bestätigung sprechen
müssen.

Die Darlegungen von Asmus sind m. E. überzeugend.
Besonders wertvoll sind die vielen in Fußnoten gegebenen
Auseinandersetzungen mit andern Auffassungen und
Beiträge zur Klärung der Pestalozzischen Begriffe. Sie
werden allerdings meistens nur von dem mit der Pestalozziliteratur
Vertrauten wirklich ausgewertet werden
können. Die kleine Schrift ist — nicht zuletzt auch
durch ihre anerkennenswerte Klarheit — ein sehr beachtlicher
Beitrag zur Pestalozziforschung und wird —indirekt
— auch dem viel zu bieten haben, der an der humanistischen
Pädagogik irre geworden um eine Pädagogik
aus evangelischer Verantwortung bemüht ist. Nur
darf eines nicht übersehen und verschwiegen werden: bei
Pestalozzi liegen Anstöße vor, zum christlichen Pädagogen
darf man ihn nicht machen, eine Versuchung, der
Asmus erfreulicherweise nicht erlegen ist.

Lanz (Westprignitz). Kllrt K e s s e 1 e r.

Weber, Pfr. Josef: Anleitung zur Abfassung einer Pfarrgeschichte
. 1. Teil. Hirschenhausen (Obb.): Verl. d. Sudostbayer
Heimatstudien 1935. (IV, 36 S.) 8°. = Südostbayer. Heimatstudien
Bd. 12. . RM —9o'.

Daß die ortskirchengeschichtliche Forschung oft trotz
Fleiß und gutem Willen aus Mangel an der rechten
Methode nicht das leistet, was sie leisten könnte ist
eine nicht zu leugnende Tatsache. Methodische Anleitung
tut darum auf diesem Gebiete besonders not
Solche Anleitung wird ihrem Zweck dann am wirkungsvollsten
dienen, wenn sie ihren Blick auf das umgrenzte
Gebiet eines einzelnen Territoriums beschränkt. Zwar
werden die allgemeinen Ratschläge für planmäßige Sammelarbeit
und zweckmäßige Anlage der Darstellung
immer mehr oder weniger die gleichen sein. Die wichtige
Einführung in Quellen und Literatur vermag aber