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Ausgabe:

1937 Nr. 10

Spalte:

183-188

Autor/Hrsg.:

Schröder, Ferdinand

Titel/Untertitel:

Brasilien und Wittenberg 1937

Rezensent:

Lerche, Otto

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183

Theologische Literaturzeitung 1937 Nr. 10.

184

B rom, Oerard: Vondels Geloof. Amsterdam: N.V. de Spieghel 1935.
(VIII, 478 S.) gr. 8°. Fl. 4.90; geb. 5.90.

Joost van den Vondel, den die Holländer ihren größten
Dichter nennen, hat es bei deutschen' Literaturfreunden
nie zu Ruhm gebracht. Für den, der ihn kennt, ist
das nicht überraschend. Überraschend aber ist es, daß
sich auch die deutsche Wissenschaft so wenig um ihn
kümmert. Warum erwähnen ihn die Literaturhistoriker
nicht häufiger, wenn sie Wesen und Geschichte des
Barock zu ergründen suchen; warum ziehen ihn die Kirchenhistoriker
so selten heran, wenn sie nach dem Verhältnis
von künstlerischer Kultur und Frömmigkeit im
17. Jahrhundert und nach dem wechselseitigen Verhältnis
der damaligen konfessionellen Gruppen und Richtungen
fragen? Die Vondel-Philologie zwar wird stets
ein Vorrecht holländischer Gelehrter bleiben müssen.
An der Vondel-Interpretation aber könnte sich auch die
deutsche Wissenschaft nützlich und gewinnbringend' beteiligen
.

Diese recht allgemeinen Erwägungen rechtfertigen
sich aus dem Charakter des vorliegenden Buches. Es ist
schon deshalb nachdrücklich zu empfehlen, weil es anschaulich
verdeutlicht, in wieviel verschiedenen Hinsichten
Vondel dem Kirchen- und Geistesgeschichtler etwas
zu sagen hat.

Das zentrale Faktum in Vondels Leben ist sein Übertritt
zur katholischen Kirche. Zijn bekering vormt het
hoofdmoment in zijn leven, zonder de ene helft te scheiden
van de andere, evenmin als de cesuur, verademing
en verbinding tegelijk, het de beide delen van een vers-
regel doet (216). Im Sinne dieser Grundanschauung
zeigt Brom, wie sich der ursprüngliche Mennonit allmählich
zum Katholizismus hinfindet, indem er seinen
Dichterberuf verstehen lernt, und wie er umgekehrt
und ineiins damit zum großen Dichter heranreift, indem
er im der „Mutterkirche" Boden faßt. Kunst
und Gottesdienst gehören ihm aufs engste zusammen
. Die „Herrlichkeit der Kirche" lebt in der „glorreichen
Pracht" seiner Dichtung.

Es handelt sich bei dieser Darstellung nun keineswegs
um einen einfachen biographischen Bericht
. Brom ist vielmehr darauf bedacht, den Fröm-
migkeits- und Bildungsgehalt der Welt, durch die jener
Weg führte, spürbar zu machen, ihn zu Vondels
geistigen Bedürfnissen in Beziehung zu setzen und dann
seine persönliche Art und sein Werk abhebend zu kennzeichnen
. Von allen Mächten und Gestalten der Zeit versucht
Brom zu sagen, was Vondel bei ihnen fand, was
er bei ihnen vermißte, inwiefern er ihnen verwandt war
und was ihn unterschied. Auf diese Weise begegnen wir
Mennoniten und Calvinisten, Arminianern und Humanisten
, Jesuiten und Jansenisten. Hugo Grotius tritt ebenso
vor uns hin wie Rubens, Spinoza wie Pascal. Wir
bewegen uns bei der Lektüre ständig in einer an inneren
Beziehungen reichen und vielseitig lebendigen geistigen
Welt. Darin liegt der auszeichnende Reiz und Wert des
Brom'schen Buches. Der Leser fühlt sich so mannigfaltig
und sachkundig und zugleich so überlegen belehrt und
angeregt, daß er es gern in Kauf nimmt, wenn Vondels
Weg zum Katholizismus immer wieder über seine geschichtlich
-einmalige Tatsächlichkeit hinaus ins zeitlos
Gültige emporgehoben erscheint.

Marburg. W. Kalthoff.

Schröder, Dr. I'erd.: Brasilien und Wittenberg. Ursprung u.

Gestaltung deutschen evangel. Kirchentums in Brasilien. Berlin: W.

de Qruyter & Co. 1936. (418 S.) gr. 8°. Geb. RM 7.50.

Fausel, Dr. Erich: D. Dr. Rotermund. Ein Kampf um Recht und

Richtung des evangelischen Deutschtums in Südbrasilien. Säo Leopoldo:

Verlag der Riograndenser Synode; Stuttgart: J. F. Steinkopf 1936.

(VI, 248 S., 16 Abb. Taf.) gr. 8°. RM 3.20; geb. 4.50.

Gennrich, Lic. Paul Wilh.: Evangelium und Deutschtum in

Portugal. Geschichte der Deutschen Evangelischen Gemeinde in

Lissabon. Berlin : W. de Gruyter 1936. (244 S.) gr. 8°. Geb. RM 7.50.
Diasporaarbeit und Volkstumspflege hängen eng zusammen
; wer die Belange des Volkstums nicht berück-

j sichtigen will, kann das Ziel der Kirche nicht erreichen.
Es kann eine sehr fanatische Sekte und ein sehr frommes
Konventikel wachsen, niemals aber Kirche, die in
[ ihrem Neuwerden immer und nur Volkskirche sein kann.
I Daß Diasporaarbeit nur von der Kirche und nicht von
| überkirchlichen oder zwischenkircblichen Organisationen
geleistet werden kann, wird oft sehr logisch und theologisch
sauber begründet. Gewiß gehört die Diaspora-
I pflege zu den wesentlichen Aufgaben der Kirche, und
I es unterliegt keinem Zweifel, daß eine kirchenartige Ge-
| meinschaft mit dem Augenblicke, in dem sie sich der Not
j der abgesprengten und verstreuten Brüder und ihrer
eigenen Verpflichtung zum Helfen bewußt wird, den
ersten Schritt zum Kirchewerden getan hat. Dabei soll
I freilich immer anerkannt bleiben, daß das Kirchewerden
auch dann nicht vom Bekenntnis, nicht von der Ver-
| fassung und nicht vom Amt ausgeht: Kirche geht nur
vom Herrn der Kirche aus und zu ihm hin. Es ist ferner
richtig, daß eine Kirche nur diejenigen verstreuten Brüder
als ihre Diaspora betrachten kann, die ihr im In-
i nersten verbunden sind oder doch sein sollten — be-
i kenntnismäßig, rechtlich, traditionsgebunden, kirchlich,
| kirchenorganisch. Andererseits lehrt die geschichtliche
I Betrachtung, daß große evangelische Kirchenkörper, wie
j die Union Altpreußens, und große rührige Vereine, wie
der Gustav Adolf-Verein und die Evangelische Gesell-
! schaft für die protestantischen Deutschen in Südamerika,
im 19. Jhdt. tatsächlich viel für die Pflege der im Evangelium
und im Volkstum verbundenen, abgesprengten
Volkssplitter getan haben, und jahrzehntelang hat keine
bekenntnismäßig gebundene Kirche (Landeskirche) daran
Anstoß genommen oder auch nur der vereinsmäßigen
Arbeit an der Diaspora kirchlichen Charakter und Wert
abgesprochen. Aber die Ansicht Hengstenbergs etwa
gegenüber dem Evangelischen Verein der Gustav Adolf-
Stiftung, mit deren Vortrag er den Jahrgang 1844 seiner
Kirchenzeitung eröffnete — wir zitieren: Ebenso
hat die Erfahrung gezeigt, daß alle Vereine, deren Tätigkeit
bloß auf das Äußere gerichtet ist, den Keim des
Todes in sich tragen. Nachdem die Redensarten erschöpft
sind, bleiben nur die Thaler und Groschen
noch übrig, und immer nur von diesen zu hören, bringt
auf die Dauer eine Ermüdung hervor, die erst den Schlaf,
und zuletzt den Tod herbeiführt. Von diesem Übelstande
I kann der Evangelische Verein in seiner gegenwärtigen
Zusammensetzung gar nicht loskommen. Jede auf das
Innerliche gerichtete Tätigkeit betritt sofort das Ge-
j biet der Lehre, und da würde der künstlich verdeckte
Zwiespalt sofort mit Gewalt hervorbrechen —■, die also
darauf hinaus will, daß nicht brüderliche Liebe, sondern
nur glaubensmäßige, d. h. bekenntnisgebundene
Einheit kirchliche Arbeit leisten, kirchliche Verbindung
j der Diaspora mit der „Kirche" schaffen kann, wird
grundsätzlich heute von dem erstarkten Konfessionalismus
immer wieder und wieder, gerade etwa gegenüber
I dem Gustav Adolf-Verein vertreten. Sehr beachtlich er-
| scheinen uns daher nicht nur als Abwehr die Ausführungen
von O. Bruhns, die einen grundsätzlichen „Versuch
einer theologischen Begründung der Diasporafürsorge
" darstellen (Jahresbericht des Centraivorstandes
des Evangelischen Vereins der Gustav Adolf-Stiftung
1935/36, Leipzig 1936, s. 45—46). Bruhns zeigt da zunächst
, daß von allem Anfang an nicht Gal. 6. 10
allein, sondern auch Marc. 9,41 mit 2. Kor. 9,7 und
Joh. 21,16 die biblische Grundlage aller Diasporaarbeit
| des Gustav Adolf-Vereins gewesen sind. Bruhns weist
wohl unwidersprechlich nach, daß in der Diasporaarbeit
! kein Unterschied in der Bewertung zwischen missionarischer
und diakonischer Arbeit gemacht werden dürfe, daß
in der gesainten glaubensbrüderlichen Hilfe der missionarische
und diakonische Dienst für die Gegenwart —
und (fügen wir hinzu) wohl auch für die wichtigsten
j Abschnitte der Diasporageschichte — zusammenfallen.
! Bruhns schließt seine sehr bemerkenswerten Ausführun-
1 gen (S. 56): „Die theologische Begründung der Dia-