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Ausgabe:

1936

Spalte:

165-166

Autor/Hrsg.:

Utitz, Emil

Titel/Untertitel:

Die Sendung der Philosophie in unserer Zeit 1936

Rezensent:

Kesseler, Kurt

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165

Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 9.

hat — dann würde es um die Frage der Heilsgeschichte
, um die Christusfrage gehn — A. selbst weist in i
einer Fußnote auf die bedeutsame Diskussion Buber — j
K. L. Schmidt in den Theol. Blättern 1933 hin), M.
Brod und Fr. Rosenzweig. Die Frage ist entscheidend
die Frage nach dem Alten Testament. „Kann überhaupt
das A. T. durch das heutige Judentum ganz ernst
genommen werden außer von Christus her?" Und die
Frage wird — das deutet A. noch kurz an — zur Frage
an die Christenheit nach ihrer Stellung zur heiligen
Schrift Alten und Neuen Testaments! Das Schicksal
Israels ist für uns beschlossen in Jesu Gerichts- und
Verheißungswort: Ihr werdet mich hinfort nicht sehen,
bis ihr sprecht: Gelobt sei, der da kommt in dem
Namen des Herrn! (S. 103). — Schließlich gehört hierher
noch der Aufsatz über „Toleranz und Intoleranz
des Glaubens" — eine scharfe Kritik ,
am aufklärerischen Toleranzgedanken („Jeden nach seiner
Facon selig werden lassen — gewiß, was die Leute
so unter selig werden verstehen. . . Wie bald ist der |
Spießbürger zufrieden! Wie schnell ist der Schwärmer
selig! Aher Friede mit Gott? ... Es ist in keinem j
andern Heil!" S. 113), die dann freilich für das Gebiet
der Theologie eingeschränkt wird zu einer großen j
Weite und Duldsamkeit selbst gegenüber der römischen
Kirche. „Die römisch-katholische Kirche ist für uns !
immerdar auch eine besondere Gestalt der Kirche
Christi, die ihre eigenen Gaben und in mancher Hinsicht
echte Überlegenheit über uns hat. Auch wenn einmal
der Gegensatz zwischen uns überwunden ist, wird die
römisch-kath. Kirche eine Jüngerin Jesu von eigener i
Art bleiben, die neben uns steht wie eine Schwester ne- j
ben der andern" (115 f.). Ja, nicht nur von Duldung,
sondern von Freude an dem andern in seinem Anderssein
meint A. sprechen zu sollen. Ist solche Toleranz
lutherisch? Oder ist es der Theologie njcht heut wie i
damals aufgetragen, bei aller Bescheidenheit, in der wir
wissen, nicht Gottes Gericht vorwegnehmen zu dürfen, i
doch in aller Klarheit und Schärfe das damnamus zu
sagen, wo es gesagt werden muß? — Den Beschluß I
bildet ein warmes Bekenntnis zur Theologie Martin j
Kühlers: „Der ,historische Jesus' und der
biblische Christus, (etwas unglücklich die Formu- |
Iierung: „Sein Wort vom geschichtlichen Christus ist
für viele unter uns das Evangelium geworden, das uns j
von dem Gesetz des Historismus, das uns zum Gesetze
des Todes und der theol. Verzweiflung werden wollte, j
frei gemacht hat" S. 165) und eine Besprechung von i
E. Brunners christologischem Entwurf: Der Mitt- I
ler. A. stimmt Brunner weithin bei, besonders in der
grundsätzlichen Entscheidung für die „Naturenlehre"
eines Irenäus und Athanasius, er möchte nur dabei doch
die geschichtliche Persönlichkeit Jesu Christi stärker j
betont sehen. Am Schluß geht A. kurz auf den Gegensatz
lutherischer und reformierter Christologie ein. Die J
Gefahr, die Grenze der Glaubensaussage zur meta- I
physischen Theorie hin zu überschreiten, sieht er mit
Br. auf beiden Seiten. Wenn er dann aber den Lutheranern
auch bei solchen Grenzüberschreitungen „die küh- !
ne Sprache des Glaubens" anerkennt, während die Re- !
formierten unter das Verdikt fallen, die ratio rede dem
Glauben dazwischen, so scheint mir hier mit zweierlei
Maß gemessen! Das Gespräch zwischen den Konfessionen
wird fruchtbar nur dann, wenn man auch bei der
andern Seite das Glaubensanliegen hört (das doch auch
hinter dem extra Calvinisticum steht!).
Bethel b. Bielefeld. R. Fr ick.

Utitz, Emil: Die Sendung der Philosophie in unserer Zeit.

Leiden: A. W". Sijthoff 1935. (IX, 159 S.) 8°. RM 4.65; eeb. 5.70.
Typen und Probleine philosophischer Lebenshaltung
ziehen in knapper, oft allzu flüchtiger Kennzeichnung
vor dem Auge des Lesers vorüber. Bei Thaies und
seinen Nachfolgern erscheint die Verbindung von Philosophie
und Wissenschaft, von Metaphysik und Logos,
ein wissenschaftliches Leben voll höchster Verantwortung
in Hingabe an den Logos und im Handeln nach
seinem Gesetz. Diese Verbindung von Wissenschaft
und Leben sprengt die Sophistik; Sokrates begrenzt
die Wissenschaft auf das Problem des sittlichen Menschen
. Bei Piaton ist Philosophie edelste Lebensform,
Selbstverwirklichung des Logos, seine Bewährung im
Dasein, bei Aristoteles dagegen liegt im Betrachten und
Schauen das letzte Heil. Erasmus von Rotterdam erscheint
als weltfremder Gelehrter, der vor dem Einsatz
seiner Persönlichkeit zurückschreckt, Fichte ist demgegenüber
der Philosoph der verantwortlichen Tat. Seine
Philosophie ist sein eigenes Sein und Leben, wie vor
ihm schon in gewissem Sinne Kants Lebenswerk Selbstverwirklichung
seiner Philosophie war. Hegel dagegen
erscheint dem Aristoteles ähnlich als ein dem realen
Leben entrückter Denker.

Aus diesen Lebensbildern scheint das Problem Wissenschaft
und Leben heraus. Alexandrinertum und
Feuilletonismus gefährden das Leben, aber sie sind
nicht echte Wissenschaft, können vielmehr nur von
echter wissenschaftlicher Philosophie überwunden werden
, die beides zugleich ist: Ausdruck menschlicher
Situation und Träger sachlichen Gehaltes. Die Pflicht
zur Wahrheit ist der Rechtsgrund ihrer Existenz, aber
alle Wahrheit bewährt sich im Leben. Bewährte Bindung
unter das Gesetz des Logos unterscheidet den
Philosophen vom Künstler und vom Religiösen. In diesem
Sinne ist Philosophie das wache Gewissen des
Staates. Sie dient dem Staat und dem Volk durch Verwirklichung
des Logos. So findet die Philosophie sich
selbst in ihrer eigenen Geschichte: Leben im Logos,
schauende Haltung, Pflicht zu strengster Selbstbesinnung
und Selbstauslegung.

Was hat das alles mit unserer Zeit zu tun? Ein
letzter Abschnitt, der den Titel des ganzen Buches
trägt, sucht davon zu reden. Aber er bleibt blaß und
zeitlos, problematisch wie der Prager Phiiosophenkon-
greß, auf dem dieser letzte Abschnitt vorgetragen worden
ist. Der Verfasser sagt selbst: „Ich habe geflissentlich
nicht von der Gegenwart gesprochen, aber ich
hoffe, daß das Gesagte in betontem Maße gerade für
die Gegenwart gilt. Schwerlich hat eine Zeit mehr
die sich selbst verwirklichende Philosophie gebraucht
als die unsere: das unerschütterliche Bewußtsein um
Wahrheit und Wert, die unbedingte Sachlichkeit dem
Nächsten und Fernsten gegenüber, das scharfe Wissen
um Wesen und Sinn menschlichen Seins, den ungebrochenen
Mut zur Vernunft." Wie kann man von der
Sendung der „Philosophie in der Gegenwart" sprechen,
wenn man geflissentlich nicht von der Gegenwart
spricht? Vermißt der Verfasser die von ihm genannten
Züge besonders in unserer Zeit? Liegt hier vielleicht
ein Mißverstehen ihrer tiefsten Bewegtheit, ihres im
Sturm aufgebrochenen Logos vor? Die Frage bleibt als
Frage stehen. Wer von der Sendung der Philosophie in
unserer Zeit reden will, der muß von unserer konkreten
Existenz und von dem ihr ergangenen Ruf der Stunde
reden, und wir Deutschen suchen da auch ein richtungweisendes
Wort für die uns bewegenden Fragen
nach Rasse und Volk, Nation und Staat, Erbgut und
Verantwortung, Blut und Boden. Ich habe dies richtungweisende
Wort, in dem doch die Sendung der
Philosophie sich auswirken müßte, in dem Buche vermißt
.

Düsseldorf. Kurt Kessel er.

Fuetscher, Lorenz, S. J.: Die ersten Seins- und Denkprinzipien
. Innsbruck: Felizian Rauch 1930. (VII, 276 S.) gr 8°. =
Philosophie u. Grenzwissenschaften. III. Bd., 2./4. Heft. RM 10—.

Die starke Betonung des Offenbarungscharakters der
Glaubenserkenntnis hat in der protestantischen Nach-
kriegstheologie zu einer Vernachlässigung der Religionsphilosophie
und der Fundamentaltheologie geführt. Um
so mehr scheint dieser späte Hinweis auf Fuetschers
Schrift gerechtfertigt, ganz abgesehen von ihrer Bedeutung
für die neuere katholische Theologie. Seit C.