Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1936 Nr. 9 |
Spalte: | 159-162 |
Autor/Hrsg.: | Sentzke, Geert |
Titel/Untertitel: | Die Kirche Finnlands 1936 |
Rezensent: | Walters, Peter |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
159
Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 9.
160
hängen durfte, so lange konnte dem gütigen und freundlichen
Gott der Eiche, der sein Leben der Sicherheit
wegen zwischen Himmel und Erde in dem geheimnisvollen
Schmarotzer aufbewahrte, kein Unglück zustoßen
. Wenn aber einmal diese Stätte seines Lebens
oder Todes dem Ast entrissen und gegen den Stamm
geschleudert wurde, fiel der Baum — — der Gott
starb — — vom Blitz getroffen". Es ist hier nicht der
• Ort, sich mit der Theorie Frazers auseinanderzusetzen.
Wir nehmen sie hier zur Kenntnis und wollen nur
bemerken, daß wir in der Religionswissenschaft heute
über Frazer ein wenig hinausgekommen sind und die
religiösen Problerne anders anpacken. Aber Frazers
Buch bleibt doch eines der großen und rühmenswerten
Werke der Religionsforschung mit dem ungeheuer reichem
Material, das er aus allen Religionen der Erde
zusammengetragen hat. So kann man es begrüßen, daß
sein Buch nun auch in französischer Sprache ganz
vorliegt. In deutscher Sprache haben wir leider nur
die verkürzte Ausgabe, die uns Dr. phil. Helen von
Bauer geschenkt hat und die 1928 bei Hirschfeld in
Leipzig erschienen ist.
Berlin. Johannes W i tte.
Sentzke, Pfr. Lic. Geert: Die Kirche Finnlands. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1935. (150 S.) gr. 8°.
Kart. RM 4.80; geb. 5.80.
Unsere Auslandpfarrer, zumal wenn sie, wie S.,
mit ihren Gemeinden in die Kirche des gastgebenden
Landes eingegliedert sind, sind die gegebenen Vermittler
zur Herstellung von Kenntnis und daraus fließen-
dem Vertrauen zwischen den Kirchenkörpern, zumal,
wenn beide auf dem Boden von Luthers Reformation
stehen. S. geht aus von einer Darstellung von Land,
Volk und Geschichte, fügt eine knappe Kirchengeschichte
Finnlands an, beschreibt die Volksfrömmig'keit, zumal
ausführlich die Erweckungsbewegungen und gibt dann
eine eingehende Kirchenkunde. Ein Schlußausblick faßt
die der Kirche dort heute gestellten Probleme ins
Auge.
In S. kommt der Praktiker zu Wort, der sich, wie das
umfangreiche Quellenverzeichnis ausweist, gründlich für
seine Aufgabe als Pfarrer im fremden Land wie als
Darsteller für die Heimat vorbereitet hat. Das schließt
nicht aus, daß Andere anders sehen und auswählen,
zumal wo das geschichtliche Bild und die gesamtkirchliche
(ökumenische) Schau das Primäre sind, dem die
gegenwärtige Wirklichkeit dann die satten Farben leiht.
Zuerst ein Wort zu den Quellen. S. ist nicht der
erste, der dem Ausland ein Bild der finnischen Kirche
vermittelt; zu seinem Schaden läßt er Vorgänger außer
Acht wie Arthur H j e 11 s in ihrer Knappheit meisterhafte
Uppsalenser Olaus-Petri-Vorlesung „Finlands Kyrka
och Kyrkans Enhet" vom Herbst 1918 (in Nordens
Kristenhet och Kyrkans Enhet, Stockholm 1919) und,
was schwerer zu verstehen ist, die einschlägigen Artikel
in RGG, die ausführlicheren von Kaila in der 1.
und die mit wichtigen Nachträgen geschickt kürzenden
des langjährigen deutschen Pfarrers von Helsingfors
und Begründers von S.s Pfarrei Abo, Israel, dessen
langjährige Aufklärungsarbeit in „Deutsch-evangelisch
in Finnland" sowie in seiner Geschichte der deutschen
Gemeinde Helsingfors u. a. m. unerwähnt bleiben. Un-
fenannt bleibt auch ein weiterer wichtiger Faktor des
irchlichen Lebens in Finnland, die sehr einflußreiche
christliche Zeitungs- und Zeitschrrftenpresse.
Dadurch wird das gebotene Geschichtsbild beeinträchtigt
. Das gilt zunächst von der ältesten Zeit.
Daß Finnland lange keine Einheit darstellte, daß auch
in der Missionsgescbichte die einzelnen Stämme und
Landschaften ein verschiedenes Bild bieten, daß längst
vor Beginn der im Licht der Geschichte vor sich gehenden
Mission Vorstufen zu erschließen sind, daß das
Ergebnis des Geschiehtsprozesses eine bleibend verhängnisvolle
Zweiteilung ist, nämlich im Westen „Finnland
", im Osten das stammverwandte orthodoxe, weit
zurückgebliebene Ostkarelien, davon sagt S. kein Wort,
und doch müßte all das gerade ihm, dem für Volkstum
und Volksart aufgeschlossenen Beobachter, besonders
wichtig sein. Ich gebe als Beleg und Ergänzung
Hjelts ersten Abschnitt auf deutsch:
„Der Kampf des Westens und des Ostens um die Herrschaft über
die finnischen Stämme ist das erste, was wir sehen, da Finnland ins
I Licht der Geschichte zu treten beginnt. Im Anfang des 2. Jahrtausends
dringt das Christentum von Osten wie von Westen zu den finnischen
Landmarken vor. Im Osten ist es Nowgorod-nur etwa 20 Meilen südlich
vom Ladoga-, das das Christentum in seiner griechisch-katholischen
Form ausbreitet; im Westen ist das Sveareich der Ausgangspunkt für
die römisch-katholische Eroberung. Der Einfluß von Osten her ist bedeutend
gewesen, wahrscheinlich anfangs ganz dominierend. Einen
sprechenden Beweis hierfür haben wir in der bemerkenswerten Tatsache,
i daß so gewöhnliche Ausdrücke in der religiösen Terminologie der finnischen
Sprache, wie risti (Kreuz), p ap p i (Priester), raa ma t tu (Bibel),
' slavische Lehnwörter sind. Ein Zeugnis in gleicher Richtung bedeutet
der byzantinische Ursprung der ältesten mit christlichen Symbolen geschmückten
Gegenstände aus Gräberfunden der heidnischen Zeit. Doch
begann sich schon früh eine Gegenströmung von Westen geltend zu
machen. Eine Äußerung Agricolas in der Einleitung zu seinem Neuen
Testament läßt vermuten, daß das Christentum schon vor dem Kreuzzug
F.riks des Heiligen und Bischofs Henriks Boden gefaßt hatte unter der
schwedischen Bevölkerung Alands und der südwestfinnischen Schären,
in den Gegenden, wo sich tatsächlich Finnlands älteste kirchliche Erinnerungen
und Kirchenruinen finden. Auf diesem Weg kamen natürlich
I auch die Festlandfinnen mit dem Christentum in Berührung. Ein paar
Runeninschriften vermelden, daß Wikinger von Uppland bereits .um das
: Jahr 1030 bis nach Tawastland gekommen sind".
Diesen Grundklang, der das Ganze beherrschen muß,
schlägt S. nicht an. So wird das dramatische Hin und
j Her nicht deutlich; schien doch, was Bischof Henrik
und später Bischof Thomas kraftvoll ins Werk ge-
! setzt hatten, von der siegreichen Macht Nowgorods
zur Episode verdammt. Daß Finnland zum Westen
- gehört und nicht zum Osten, verdankt es Birger/ Jarl,
[ den S. nicht nennt, so wenig wie die Gründung Wi-
borgs „Gott und der hl. Jungtrau zur Ehre, dem Reiche
j zum Schutz, zur Sicherheit der Seefahrer und zur Be-
I festigung des Friedens". Ebenso wenig hören wir von
I dem fehlgeschlagenen Versuch der Schweden, ihren Einfluß
bis zum Ladoga und Ingermanland zu erstrecken,
| wie vom Frieden von Nöteborg 1321, dessen Grenzziehung
ein für allemal den karelischen Volksstamm
j in zwei Teile schied (Hjelt S. 153/4).
Es fehlt bei S. auch der wichtige Hinweis auf
die relativ selbständige kirchliche Entwicklung Finnlands
in schwedischer Zeit. Daß die Bischöfe seit ca.
1400 jahrhundertelang Finnen waren, also Landeskinder
, mußte gesagt werden. Ebenso sollte klarer
hervortreten, daß die Reformation in Finnland unbeein-
i flußt von Schweden, ja früher als dort eingeführt wurde.
Man ging dabei schonender mit dem katholischen
j Erbgut um als in Schweden und scheint sich auch
um die Verordnung des Landtags von Västeräs von
1544 zwecks einer gründlicheren Reform der Liturgie
kaum gekümmert zu haben. Dagegen war man gegenüber
Johanns III. hochkirchlichem „Roten Buch" kon-
niventer als in Schweden und mußte auf dem Reichstag
in Västeräs 1593 förmlich Abbitte leisten (gegen Sl
' p. 14).
Statt dessen projiziert S. eigentlich das Bild, das
die aufstrebende nationalfinnische Bewegung mit Recht
von der Zeit seit der Orthodoxie und Großmachts/eit
Schwedens an hatte, unbesehen in die frühere Zeit,
wobei dann der Zug, daß die Reformatoren die Grundlagen
der finnischen Schriftssprache schufen, etwas in
der Luft schweben muß. Hjelt konstatiert dagegen, daß
schon in vorref. Zeit, gegen Schluß des Mittelalters,
„die Nationalisierung der Kirche in ansehnlichem Grad
vorgeschritten war". (So ist auch der S. 129 hervorgehobene
demokratische Zug des freien Pfarrwahlrechts
der Gemeinde einfach ein Erbe aus der schwedischen
Zeit, wo der germanische Bauer frei geblieben
war wie nirgends sonst.)