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Ausgabe:

1936 Nr. 9

Spalte:

158-159

Autor/Hrsg.:

Frazer, James George

Titel/Untertitel:

Balder le magnifique 1936

Rezensent:

Witte, Johannes

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167

Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 9.

158

Auffassung der ältesten Religion der Menschheit gegeben
. Das Urteil bleibt unberührt davon, daß man
vielfach im Einzelnen anderer Meinung sein kann als
der Autor, wie auch Schmidt selbst über eine gewisse
Unsicherheit der Entscheidung auch an wichtigen Punkten
nicht ganz hinauskommt. Auch die Abstraktheit
der Terminologie, deren Aporie S. selbst gelegentlich
zugibt (so in der „freundschaftlichen Auseinandersetzung
mit den Herren Kritikern" S. XVIII) kann an dem
Gesamturteil nichts ändern; denn an dem konkreten
Material läßt sich der Sinn seiner Ausführungen leicht
festlegen. Auch ist die Urreligion, zu der S. aufsteigt,
von ihm selbst nicht als abstraktes Gebilde gedacht,
sondern enthält bereits eine Fülle konkreter Differenzen
und Entwicklungsmöglichkeiten in sich. Immerhin
bleibt bedauerlich, daß z. B. der „Magismus" so eng
verstanden wird, daß die Elemente, die ihn mit der
Religion eng verbinden (die Unbegreiflichkeit teleologisch
orientierter Wirkung) nicht zur Geltung gelangen
. Man darf annehmen, daß diese und andere vermittelnde
Linien gezogen werden müssen, namentlich
dann, wenn es möglich sein wird, Schmidts Aufstellungen
Punkt für Punkt mit den Materialien der Prähistorie
zu vergleichen; er selbst hat eine solche nur
hinsichtlich des angeblichen, wahrscheinlich tatsächlich
vorhandenen Schädelopfers vorgenommen (namentlich
Bd. III, 527ff.), aber auch die Schädelfunde von Menschen
, die Bestattungsweisen, die Fels- und Höhlenzeichnungen
bieten wichtiges, z. T. noch rätselhaftes
Material dar. Hinzu treten die noch zu erwartenden
Mitteilungen über die Religion der ältesten Stämme sowie
die Ergebnisse der kritischen Untersuchung der
späteren Religionsschichten auf ältestes Material hin.
Soweit sich bisher überblicken läßt, wird manche Aufstellung
Ss. behutsamer, manche reichhaltiger werden
müssen: daß aber der Grundansatz erheblich müßte
korrigiert werden, erscheint mir unwahrscheinlich.

Die zusammenfassende Darstellung des Endergebnisses
erfolgt S. 389ff.;; sie behandelt Einheit, Name,
Gestalt und Wohnung des höchsten Wesens (Vater,
Herr des Lebens, gedacht in einer Art Geistigkeit und
in lichter Gestalt, wohnend jetzt im Himmel als dem
Orte alles Hohen, Lichten, Geistigen, auch des Lebens
und alles Guten), ferner seine Eigenschaften als Daseinsdauer
, Allgegenwart, Allwissenheit, Allmacht, All-
gütigkeit) ; es fehlt merkwürdiger Weise in diesem Kreise
dogmatischer Begriffe Gottes Heiligkeilt; dann werden
Gottes Funktionen behandelt, Schöpfung sowie Begründung
, Überwachung und Vergeltung der Sittlichkeit.
Man darf bei den abstrakten Formulierungen „die innere
Ergriffenheit dieser Menschen, ihre Erschütterung,
ihre Freude, ihren Dank, ihre Bewunderung nicht überhören
" (422); sie „schauten noch mit frischen, frohen
und erwartungsvollen Kinderaugen in die große, ihnen
so unermeßliche neue Welt hinein"; ihnen gab die göttliche
Hochgestalt „die Wege und die Kräfte zum Leben
und Lieben, die Zuversicht die Welt zu meistern und
den Aufschwung über die Erde hinaus" (4221). Das
zeigt sich dann in der Sittlichkeit (religiöse, familiale,
sexuelle) und im Zusammenleben, (Tapferkeit ohne
Kriegslust; völliger Mangel an Deckungswaffen, Eigentum
sf ragen).

Um so brennender wird die Frage, ob die Herkunft
einer so hohen geistigen Gestaltung, wie sie diese
Religion darstellt, in einer primitiven, noch kulturlosen
Menschheit angenommen werden kann. Die Träger dieser
Religion selbst weisen nicht auf eigenes Denken
und Forschen hin, sondern auf die Tradition von Vätern
und Vorvätern und letztlich auf Gottes unmittelbare
Belehrung (473). Eine langandauernde Stabilität der
Religion wie aller Kultur kann für die Frühzeit infolge
der Isolierung der einzelnen Gruppen als sehr
Wahrscheinlich angenommen werden (470). Der Hinweis
auf das kausale und finale natürliche Denken
gebe bei all seinem Werte doch keine Lösung der Ursprungsfrage
, weil es vielmehr neue Rätsel und Un-
! erklärlichkeiten zu den alten hinzufüge (491). Es müsse
vielmehr Gott selbst persönlich die Menschen der damaligen
Zeit in ihren Glaubensanschauungen, Sittengeboten
und Kultakten belehrt haben (494); der Stammvater
selbst (an dem bald die größere Gottähnlichkeit,
bald mehr die Treue zum Schöpfer in den Vordergrund
j gestellt werde) (507) müsse der Tradition gemäß als
erster Empfänger und ältester Zeuge der Offenbarung
bezeichnet werden. Eine religionswissenschaftliche Interpretation
dieser Annahme, die aber kaum mehr als Be-
| standteil der allgemeinen Tradition der Urreligion aufge-
i faßt werden kann, hat S. nicht mehr gegeben; richtig ist
i sicher, daß dies „lebendige Ganze" der Religion' im
I „beständigen Auseinanderhervorgehen und Wiederaufein-
anderwirken der intellektuellen, der willens- und der
gemütshaften Elemente" (467) von den Alten wirklich
erlebt worden ist, und daß die Seher oder „Träumer",
zumal wenn sie unter dem Eindruck gewaltiger Naturereignisse
standen, für die Herstellung dieses Kontakts
j eine ebenso wichtige Rolle gespielt haben werden, wie
• noch in der Gegenwart (473ff.). Es bleibt zu bedauern,
daß diese Gedanken nur nebenher angedeutet werden,
! statt ihrer Bedeutung gemäß voll eingesetzt zu werden,
i aber im Prinzip enthalten sie, wie es mir scheint, alles,
: was zur Sache gesagt werden kann. Es gibt keine
Heterogenesis der Religion, sondern sie beginnt mit
sich selbst d. Ii. mit grundlegender Offenbarung.
Berlin. Titius.

Charpentier, Jarl: Brahman. Eine sprachwissenschaftlich-exegetisch
-religionsgeschichtliche Untersuchung. Teil I. II. Uppsala:
A.-B. Lundequistka Bokhandeln. (IV, 138 S.) gr. 8°. = Uppsala Univ.
Ärsskrift 1932, Progr. 8. Kr. 4.50.

Diese Schrift kann man nur ganz kurz anzeigen und
nicht rezensieren. Denn der Hauptteil, welcher die Auswertung
der in den beiden ersten Heften gegebenen
Untersuchungen geben sollte, ist fehlen geblieben. Der
Verfasser ist verstorben, ohne dies Werk vollenden
zu können. Die beiden vorliegenden Teile stellen im
Wesentlichen eine ziemlich bissige Polemik gegen Her-

j tels Deutung des Begriffes Brahman dar. Hertel hat
den Begriff als Feuer gedeutet. Darnach ist ihm der
Gott Brahmanaspati der Herr des Lichithimmels. Charpentier
setzt den Begriff Brahman mit dem avestischen

j Baresman gleich, vor allem im Anschluß an die Untersuchungen
Haugs, welcher Baresman interpretiert als
„Pflanzenbündel als Wacbstums-Fruchtbarkeits-Zauber"
und darum in dem Wort den Zauber überhaupt sieht.
Dieselbe Deutung hat demnach das Wort Brahman.
Berlin. Johannes W i 1t e.

; Frazer, James George: Balder le Magnifique. Etüde comparee
d'histoire des religions. Traduction par Pierre Sayn. Vol. I. II. Paris:
' Paul Geuthner 1931 u. 1934. (XII, 368 u. 431 S.) 4°. Fr. 100—.

Diese beiden Bände sind die französische Über-
| setzung des letzten Teils des berühmten Buches von
Frazer: „Der goldene Zweig". Im Anschluß an den
Mythus von Balder und seiner Verbrennung werden die
zahlreichen Bräuche geschildert, welche wir in ganz
Europa finden, in denen durch Feuer, zum Teil in Verbindung
mit dem scheinbaren Verbrennen von Menschen
(Resten von wirklichen Menschenopfern) läuternde
Wirkungen auf den Gang der Natur ausgeübt
werden sollen. Zu diesen Bräuchen gehören z. B. auch
die Johannisfeuer. Was uns, die wir heute die alten
germanischen Mythen mit besonderem Interesse neu
betrachten, an dem Buch von Frazer besonders interessiert
, ist seine Deutung des Balder-Mythus: Balder
ist die Verkörperung einer misteltragenden Eiche.
In dem Mistelzweig steckt Balders Leben, aber auch
sein Tod. Sein Tod ist dann vielleicht zu erklären als
erfolgt durch einen Blitzstrahl: „Solange die Mistel,
in der die Flamme des Blitzes schwelte, in den Zweigen