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Ausgabe:

1936

Spalte:

118-119

Titel/Untertitel:

Der biblische Christus 1936

Rezensent:

Michel, Otto

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Stellung des „Siegeszuges des Asklepios" (XII), der
der „Totengräber der althellenischen Religion" wurde
, läuft das Buch aus.

Die wissenschaftliche Grundhaltung beider Bände
ist die gleiche. Sie lassen durch ihre umfassende, Literatur
und Stoff beherrschende Sachkenntnis die reife
Erfahrung des Religionshistorikers erkennen. Ihr religionsgeschichtlicher
Wert besteht aber nicht nur im
Erklären der vorhandenen Erscheinungen, sondern auch
im Beobachten der fehlenden. Während z. B. vom Norden
und Osten zahlreiche fremde Götter in Griechenland
einwandern, erfolgt vom Westen her keine Beeinflussung
und Bereicherung. Lag das vielleicht an
der Dürftigkeit des religiösen Lebens unter den Itali-
kern, die diese eher zu Nehmenden machte, so war
umgekehrt gewiß der Widerstand gegen die Gebenden
daran schuld, wenn in dem aristokratischen Thessalien
und Sparta das Mysterienwesen keinen Fuß faßte.
Oft erweitern sich dem Verfasser die gewonnenen Einzelergebnisse
zu allgemeinen religionsgeschichtlichen Erkenntnissen
, wie z. B. daß jeder große Gott sich mit
seinen Verehrern wandelt, wenn ihre neuen Wohnsitze
eine neue Tätigkeit erfordern (I 198). Kern verwahrt
sich gegen die von Ethnologen vertretene Behauptung,
„daß die Religion nur aus Zauberei und Aberglauben
entstanden ist", „daß eine Form als Wurzel aller Religionen
anzunehmen ist" (I 35, 150). Er rechnet mit
sogenannten Völkergedanken (I 49, II 192) und steht
der Völkerpsychologie und Anthropologie nicht ablehnend
gegenüber, doch warnt er vor unkritischem Hinnehmen
von Berichten der Völkerkunde und hält es
für den sichersten Weg, Griechisches durch Griechisches
zu erklären (I 13). Daher bleibt er bei der Deutung
des Apollon (Apellon) aus. apella, Hürde (II 10f.).
Einer Rekonstruktion der indogermanischen Religion
steht er fern, solange nicht alle arischen Religionen
durchforscht sind (I 63). Aus dieser Einstellung wird
es sich auch erklären, daß der Rassegedanke keinen
Platz hat, wenn auch mit griechischem, vor- und un- :
griechischem Volkstum stark gerechnet wird. Die Darbietung
des Stoffes ist deshalb von stofflichen Gesichtspunkten
geleitet. Eine Erscheinung wie etwa die
orphische Religion findet nicht in einem eigens ihr
gewidmeten Abschnitt ihre Darstellung, sondern in Unterordnung
unter andere; aber wäre eine gesonderte,
einheitliche Behandlung ihr nicht doch günstiger gewesen
? Das die hellenische Religion durchwaltende
Lebensgefühl läßt Kern oft durch gelegentliche Hinweise
auf das Christentum in seiner Eigenart erkennen.
Die am stärksten hervortretende Eigenschaft des Verfassers
ist seine Vorsicht. Mit einer Strenge und Selbstzucht
, die angesichts der Unbekümmertheit mancher
Vielwisser imponierend wirkt, mahnt er bald hier, bald
da zur Zurückhaltung. Darin aber liegt die größte
Stärke des Werkes. Es hat den Vorzug der unbedingten
Zuverlässigkeit. Äußerst wertvoll ist auch die Verbindung
des Religionsgeschichtlichen mit dem Geographischen
. Die Forderung: „Wer die Götter Griechenlands
verstehen will, muß den Ort ihrer Verehrung kennen"
(I 74) erfüllt Kern durch die Kenntnis von Land und
Leuten aus eigener Anschauung. Diese Betrachtungsweise
erweist sich als sehr fruchtbar. Die dem Meere
zugewandte Lage von Eleusis oder die dem asiatischen
Festlande geöffnete Lage von Samos schließt die Einführung
der für die beiden Orte charakteristischen
Kulte aus einer anderen Richtung aus. Hinzu kommt
noch der Reichtum an persönlichen Erinnerungen, wie
z. B. die Schilderung der Mönchsweihe auf dem Athos,
das Einstreuen von Dichterstellen in auserlesenen Übersetzungen
und besonders die innere Verbundenheit mit
dem Gegenstande, was die Lektüre zu einer Freude
macht. So erweist sich das Werk der Männer, die Kern
als seine Lehrer nennt, E. Curtius, H. Diels, C. Robert,
U. v. Wilamowitz, in vollem Maße würdig.
Northeim. O. Breithaupt.

Bibliothek Warburg: Kulturwissenschaftliche Bibliographie
zum Nachleben der Antike. Band I: Die Erscheinungen des
Jahres 1931. In Gemeinschaft mit Fachgenossen bearb. von Hans
Meier, Richard Newald, Edgar Wind. London: Cassel & Co. 1934.
(XXIX, 334 S.) gr. 8°.

Die vorliegende Bibliographie will mehr sein als
eine bloße Übersicht. Sie spannt ein begrenztes Problem
in den Rahmen eines Literaturberichts und betrachtet
es vom Standpunkt der Kulturwissenschaft, der Burck-
hardts Renaissanceforschung und Useners Rudimentenforschung
gleichermaßen die Richtung auf das Ziel
der Gesamtkultur gewiesen haben. Die philosophische
Begründung dieses universalen Zieles gibt in Auseinandersetzung
mit Diltheys Begriff der Geistesgeschiclite
einleitend E. Wind. Für ihn hat das Problem des Nachlebens
der Antike die Bedeutung eines weder morphologischen
noch normativen, sondern historischen Paradigmas
, dem wir geschichtlich zuinnerst verbunden
sind, weil die Antike in uns selbst nachwirkt. Demgemäß
ist der Rahmen dieses Überblicks imstande, Gegenstände
wie Folklore, Religion und Mythologie, Magie
und Naturwissenschaften, Philosophie, Recht und Staat,
Festwesen, Theatergeschichte, Bildtradition, Schrift und
Sprache, Musik aufzunehmen. Die gesammelten Arbeiten
, die vom Buch bis zur Miszelle reichen, zeigen
bei einer Zahl von weit über 1200 Nummern die Breite
der Darbietung. Vertiefung ist durch Gewinnung von
zahlreichen Mitarbeitern, die für bestimmte Gebiete als
Berichterstatter auftreten, angestrebt. Nicht aufgenommen
worden sind, von Textausgaben abgesehen, nur
Nachschlagewerke. Der Stoff gliedert sich in drei Hauptteile
: Das Problem des Nachlebens der Antike, Sach-
und Typengeschichte, Epochen und Kulturkreise. Während
der erste mit nur sectis Seiten einleitender Art ist,
entfällt die Masse der Berichte auf den zweiten und
dritten, und zwar ist hier wiederum, zumal bei Überschneidungen
, der Nachdruck auf den dritten, den historischen
Teil gelegt, doch so daß gelegentlich in II
auf Verwandtes in III verwiesen wird. Indem III mit
dem Abschnitt „Humanismus und Gegenwart" endet,
führt uns das Buch in die Auseinandersetzung unserer
Zeit unmittelbar hinein. Daß auch Christliches auf
Schritt und Tritt begegnet, ist selbstverständlich. Mit
der Anordnung im einzelnen kann man einverstanden
sein. Ein Autoren- sowie ein Personen- und Sachregister
vermitteln den Überblick über das Ganze. Der Versuch,
ein Problem in Form einer Bibliographie zu entfalten,
dürfte als gelungen betrachtet werden können.
Northeim. Q. Breithaupt.

S t a e r k, Prof. D. W.: Soter. Die biblische Erlösererwartung als religionsgeschichtliches
Problem. Eine biblisch-theologische Untersuchung.
l.Teil: Der biblische Christus. Gütersloh: C. Bertelsmann 1933.
(IX, 171 S.) gr. 8°. = Beiträge z. Förderung christl. Theologie. Hrsg.
von A. Schlatter u. W. Lütgert. 2. Reihe: Sammig. wiss. Monographien,
3'- RM 7—; geb. 8.50.

Die Frage nach dem Christus ist ein unerschöpfliches
und zentrales Thema biblischer Auslegung. Daß gerade
hier religionsgeschichtliche Vorarbeit und theologisches
Verständnis sich ergänzen und durchdringen müssen,
ist wohl überall anerkannt. Auch W. Staerk versucht
in dem vorliegenden ersten Band seiner Soter-Studie
die christologischen Vorstellungen des Judentums und
Christentums zur Umwelt in Beziehung zu setzen. In
den ersten (drei) Teilen bringt er das Material des
AT.'s, der außerkanonischen jüdischen Literatur und
des N.T.'s, in einem letzten (vierten) Teil wird der
mythische Hintergrund der biblischen Errettererweckung
aufgedeckt. Es stellt sich heraus, daß in der neutesta-
mentlichen Christologie der alttestamentlich jüdische
Erlösungsglaube nach Inhalt und Form
das beherrschende Motiv ist, wenn auch einzelne Prädikationen
Jesu über diesen religionsgeschichtlichen Rahmen
hinausgehen (S. 138). Ohne alttestamentliche Vorgeschichte
sind nach Meinung des Verf. jrvrüua un<j
ownfa (S. 139). Der e sch ato I o g i sc he Klang darf
in den christologischen Bezeichnungen des N.T.'s nie-