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Ausgabe:

1936 Nr. 6

Spalte:

101-102

Titel/Untertitel:

Die Botschaft von Jesus Christus 1936

Rezensent:

Preisker, Herbert

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101

Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 6.

102

Di bei i us, Martin: Die Botschaft von Jesus Christus. Die alte
Überlieferung der Gemeinde in Geschichten, Sprüchen und Reden
wiederhergestellt u. verdeutscht. Tübingen: J. C. B. Mohr 1935.
(VIII, 169 S.) 8°. RM 2.80; geb. 4.20.

Der Heidelberger Neutestamentlei- unternimmt es
hier, den Ertrag der wissenschaftlichen Forschung an
den Evangelien, besonders der durch ihn selbst stark
geförderten formgeschichtlichen Methode, einem weiten
Kreis von Lesern zugänglich zu machen. Er will die
alte Evangelienüberlieferung den deutschen Menschen
der Gegenwart wieder näherbringen in ihrer ältesten1
uns erreichbaren Gestalt, also in Einzelgeschichte, Einzelspruch
, Einzelgleichnis usw. Der Leser soll den rechten
Ton zu spüren bekommen, indem die Worte und
Geschichten aus dem künstlich geschaffenen Zusammenhang
, den die neutestamentlichen Evangelien darstellen,
herausgenommen sind, und ganz aus sich und für sich
wirken. So hat D. das Überlieferungsgut nach den von
der Forschung herausgestellten Gesichtspunkten geordnet
: die alten Geschichten, Gleichnisse, Sprüche, die
großen Wundergeschichten, Legenden. Weil es sich um
Predigt der alten Kirche dabei handelt, sind einige klassische
Zeugnisse urchristlicher Predigt vorangestellt (Mk.
1—4. 7—8. 14—15; Ag. 10,37—43; Phil. 2,6—11; Joh.-
Ev. 1,1—3. 14. 16—18). In einem 2. Teil gibt Verf.
eine Erklärung darüber, wie die neutestamentliche Wissenschaft
zu den im 1. Teil aufgezeigten Ergebnissen
gekommen ist, und auch sonst allerlei für den nicht
fachmännischen Leser Wichtiges zum Verständnis der
einzelnen Stücke. Rein äußerlich betrachtet ist es ein
glücklicher Gedanke, auf je eine Seite immer nur eine
größere Geschichte zu setzen, oder wenn zwei kurze
Geschichten oder mehrere Worte auf eine Seite zu
stehen kommen, sie so voneinander abzusetzen, daß jedes
für sich wirkt.

Der Bibelleser wird manchen ihm geläufigen Anfang
oder Schluß einer Geschichte vermissen; aber da die
älteste Form der Einzelstücke geboten werden soll, mußten
natürlich die in den Evangelien künstlich geschaffenen
Verbindungen, Übergänge usw. wegfallen. Daß
dabei auch öfters der Anfang geändert oder der 2. oder
3. Vers einer Geschichte, der sich auf das in dem betreffenden
Evangelium Vorangegangene bezog, wie z. B.
Mk. 6,45 b. 46 S. 96 wegbleibt, ist selbstverständlich.
Anderes ist gestrichen, weil es schwerlich zur ursprünglichen
Geschichte gehört wie die Verse 4—5 in Joh.-Ev.
2, 1 — 10.

In der Übersetzung ist auf Wörtlichkeit und auf Einheitlichkeit
der Bibelsprache verzichtet, dafür ist mehr
auf gegenwartsnahe Verdeutschung, auf Sinngemäßheit
und Eigenart der Situation geachtet, z. B. Lk. 10,20:
„Freut euch aber, daß eure Namen aufgezeichnet sind
vor Gott." Lk. 17,10: „Lumpige Knechte sind wir, wir
haben nichts getan als unsere Pflicht." Mt. 5,37: „Euer
Ja sei Ja und euer Nein sei Nein (Nach Jk. 5, 12), wer
mehr sagt, ist der Bosheit Untertan." Mk. 8,34: „Wer
mir folgen will, verleugne sich selbst und trage sein
Kreuz — so kann er mir folgen." Mk. 7, 10ff.: „Ihr
aber sagt: wer zu Vater oder Mutter spricht: Du lebst
bei mir auf Kosten von geweihtem Gut — der braucht
für Vater oder Mutter nichts mehr zu leisten. Gottes
Gebot entehrt ihr und auf eurer Satzung besteht ihr."
Bei den Gleichnissen und Sprüchen ist Zusammengehöriges
auch unter einheitliche Untertitel gebracht, so daß
der Schwerpunkt für den Laien leicht erkenntlich ist,
z. B. Gleichnisse vom Volk (Mt. 11, 16 f.; Lk. 13, 6 ff.;
Mt. 21, 28 ff.), vom Erfolg der Predigt (Mk. 4, 3 ff.,
Mt. 13, 47 f.), von den Menschen (Lk. 12, 16 ff.; 7,41f.;
Mt. 7, 24 ff.) oder Prophetenrufe (Lk. 6, 20ff.; 11,271;
Mt. 5, 7 ff.; Lk. 12,32 u.a.m.), Prophetensprüche vom
Reich Gottes (Mt. 11,12; Lk. 12, 54 ff.; 17, 20f. u. a.),
Prophetensprüche von der Entscheidung (Mt. 10,34 f.;
10, 17ff.; 10,28 u. a.), Bildworte (Mt. 10, 29f.; Mt. 9,
37 f. u. a.).

Selbstverständlich wird jeder bei Einzelheiten hier

j und da auch anders denken. So dürfte m. M. n. S. 48
bei Lk. 10 (barmherzige Samariter) v. 36 nicht dastehen
, wenn die Frage v. 29 weggelassen ist. Von einzelnen
Worten wird man das eine oder andere vermissen;

! so steht über Jesu Todesdeutung nur das Wort Lk. 12,
50. Aber gerade bei den Einzelsprüchen ist D. vorsichtig
gewesen; er wollte seine ursprüngliche Absicht, wirkliche
älteste, gesicherte Jesusüberlieferung zu bieten, nicht

; gefährden durch unvorsichtiges Aufnehmen von Spruchgut
, das Echtes und Unechtes in der Deutung der späteren
Gemeinde verbindet, oder von sog. Weisheitsrede,
bei der das spätere Verlangen der Gemeinde nach praktischen
Anweisungen die ursprüngliche Dynamik durch
Anpassung an die Situation der Gemeinde gehemmt und
abgeschwächt hat.

Verf. bietet uns, aufs Ganze gesehen, eine überaus
glückliche, sehr zu begrüßende Gabe. Manch einem, der
das Evangelium in dieser Form liest, wird es wie neu
geschenkt und neu erschlossen begegnen. Ein anderer,

: der vielleicht zweifelnd fragt, welchen Dienst kritische

i Forschung wohl der frommen Gemeinde leisten kann,
wird dankbar empfinden, wie er zu ursprünglichster Verkündigung
des Urchristentums und zum Uberzeitlichen

! im Christentum und damit zum Wort Gottes geführt

; wird. Mancher Skeptiker, dem oberflächliche Kritik das
Evangelium beinahe im Mythos aufgehen läßt, wird
auch an dieser Schrift erfahren, wie gerade exakte kritische
Forschung positive Ergebnisse sichert. Besonders
begrüßen dürften auch gerade die Religionslehrer der
verschiedenen Schulgattungen diese Arbeit; der hier gebotene
Text kann ihnen eine höchst geeignete Grundlage
für Behandlung der Evangelien im Unterricht sein. So
dürfte mit dieser zur ältesten Überlieferungsschicht des
Evangelium zurückkehrenden Arbeit ein gerade auch zeit-
gemäl5er Dienst geleistet sein; denn der Klang wirklich
überzeitlicher Botschaft wird immer von neuem jegliche
Zeit auf die ihr geeignete Weise anreden, und zwar desto
eindringlicher, je reiner der ursprüngliche Ton wiedergegeben
ist.

Breslau. Herbert Preisker.

I Przywara, Erich, S. J.: Augustinus. Die Gestalt als Gefüge.
Leipzig: J. Hegner 1934. (647 S.) kl. 8°. Geb. RM 9.50.

Der Hauptteil des Buches (S. 115—632) gibt eine
Atiswahl aus dem gesamten Schrifttum Augustins in
! systematischer Anordnung. Das auf diese Weise gebo-
I tene Bild ist nicht so sehr das dem Protestanten ver-
' traute, in dessen Mittelpunkte die Sünden- und Gnaden-
lehre steht, als vielmehr eine Darstellung der Dialektik
zwischen dem nach Wahrheit strebenden Menschen und
• der Geistigkeit Gottes; eine Dialektik, die ihren objek-
! tiven Ausgleich im Gottmenschen und ihren subjektiven
Ausgleich in der liebenden Bewegung des Men-
I sehen zu Gott findet. Man wird zugeben können, daß
! auch bei einer solchen Sicht Augustins wesentliche Seiten
seines Glaubenslebens zur Darstellung gelangt sind. Ein
' großer Teil der geschichtlichen Wirksamkeit des Bi-
i schofs von Hippo liegt ja auf dieser Seite seiner Frömmigkeit
begründet. Aber die andere Seite ist nicht nur
' ebenso wirksam gewesen, sie stellt sogar in viel höherem
Maße Augustins Eigenes dar. Ja man kann sich fragen,
; ob die Kirche des Abendlandes überhaupt über die von
der Ostkirche überlieferten Tendenzen hinaus zu ihrem
eigenen Sein gefunden hätte, wenn Augustin nicht mit
solcher Entschiedenheit das Problem des Willens, der
Erbsünde und der Gnade aufgenommen hätte.

Die Auswahl ist in sich betrachtet gut und vermittelt
in der Fülle ihrer Zitate ein eindrucksvolles Bild von der
Vielheit der Motive und der Einheitlichkeit der Geistesbewegung
bei Augustin. Die Tiefe und Weite seiner
Gegensätze und die religiöse und denkerische Kraft in
ihrer Überwindung kommen klarer und überzeugender
als in vielen modernen Darstellungen zum Ausdruck. Die
Übersetzung ist vom Verf. selbst hergestellt worden. In
dem Bestreben den Wortlaut und Satzbau des Originals