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Ausgabe:

1936 Nr. 3

Spalte:

47-49

Autor/Hrsg.:

Bell, Harold Idris

Titel/Untertitel:

Fragments of an unknown gospel and other early Christian papyri 1936

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 3.

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B e 11, H. Idris and T.S. S k e a t: Fragments of an unknown Gospel

and other early Christian Papyri. London: British Museum 1935. (X,
63 S., 5 Taf.) 4°. 4 s.

Die Nachricht, daß unter Papyrusankäufen des Britischen
Museums ein Stück eines unbekannten Evangeliums
gefunden worden sei, ist zuerst von der Times veröffentlicht
worden (am 23. Januar 1935) und von da
aus durch die Presse gegangen. Um der Bedeutung des
Fundes willen hat das Britische Museum durch die Leiter
seiner Handschriftenabteilung möglichst rasch eine
Ausgabe veranstalten lassen, die alle berechtigten Wünsche
erfüllt.

Obwohl in dem anzuzeigenden Bande vier verschiedene
Papyrusfragmente aus demselben Kauf dargeboten
werden, ist nur der erste Text von außergewöhnlichem
Interesse. Es handelt sich um zwei teilweise erhaltene
Papyrusblätter und den geringen Rest eines dritten Blattes
. Die Herkunft des Fundes ist unbekannt; auch die
Datierung ist nur aufgrund der Schrift möglich; die Herausgeber
nehmen nach verwandten Handschriften die
Mitte des zweiten Jahrhunderts an und fanden darin
die Zustimmung von Sir F. Kenyon und W. Schubart.
Sie zeigen ausführlich, daß die Methode, die Eigennamen
mit den beiden Anfangsbuchstaben abzukürzen
(also EH und nicht 12), offenbar die älteste christliche
Abkürzungsmethode war (vgl. schon Barn. 9,8). Die
beiden erhaltenen Blätter des Kodex sind am Rand stark
beschädigt, sodaß die Reihenfolge der Seiten nicht sicher
zu bestimmen ist und auch kaum alle Zeilen sicher ergänzt
werden können.

Das 1. Fragment (nach der Zählung der Herausgeber
, verso) beginnt mit einer Rede Jesu, in der er den
Vorwurf von sich abweist, er sei ein Gesetzesübertreter;
doch läßt sich das Verbum nicht sicher ergänzen. Dann
folgt eine Rede an die äexovTES T<™ ^«oü, die mit Anklang
an Joh. 5,39; 5,45; 9,29 einen Streit über die Würde
Jesu wiedergibt und mit einem Angriff Jesu auf die
Volksführer wegen ihres Unglaubens endet. Die Rückseite
desselben Blattes (recto) berichtet dann von einem
Versuch der Steinigung Jesu durch die Volksführer, der
aber mißlingt, weil ö&ico k[rXvftei] ocötoö f| (Spa xrq xaoa-
86[ae(i)q] (in diesem Sinn naoaSorR.; nie im NT.!); hier
klingen Joh. 7,30 und 10,39 an. Auf demselben Fragment
folgt nun unmittelbar die Erzählung von einer
Aussätzigenheilung, die stark an Mk. 1,40 ff. und Par.
erinnert. Sie beginnt aber hier mit einem Bekenntnis des
Aussätzigen: „Meister Jesus, ich wanderte und aß mit
Aussätzigen in der Herberge und wurde so auch aussätzig
; wenn Du willst, werde ich rein." Es fehlen dagegen
in unserem Text die Berührung des Kranken
durch Jesus, die Bemerkungen über Jesu Mitleid oder
Zorn, nicht dagegen die Anweisung, sich den Priestern
zu zeigen (die Fortsetzung ist abgebrochen). Sprachlich
ist aber nur das Wort Jesu „Ich will, sei rein"
identisch.

Das zweite Fragment (recto) bringt eine versucherische
Frage an Jesus. Er soll gewonnen werden durch
eine Anerkennung seiner Sendung von Gott, die sich aus
seinen Taten ergebe! (a yäg jtoieic u.a(t>TUQel] fa&q xov]<;
stpotpiiTog jtävxac); das erinnert sowohl an Joh. 3,2 wie
an die Einleitung der Zinsgroschenperikope (Mk. 12,
13 ff. und Par.), mit der sich das Folgende berührt. Die
Frage lautet, ob man den Königen das der Herrschaft
Zustehende geben solle. Jesus aber antwortet: „Was
nennt ihr mich mit eurem Munde Lehrer und hört nicht,
was ich sage?" (cf. dazu Lk. 6,46). Dann wird auf
die Frager Jes. 29, 13 angewendet (ähnlich wie in anderem
Zusammenhang Mk. 7, 6 f. und Par., jedoch im Papyrus
mit näherem Anschluß an die LXX). Fragment 2
(verso) bringt eine Geschichte, die keine Parallele in den
kanonischen Evangelien hat, aber auch nicht sicher zu
ergänzen ist. Am Anfang ist ein heillos verdorbenes
%evov EjiEooVni^a Jesu wiedergegeben. Darauf wird berichtet
, daß Jesus am Jordanstrand stand und offenbar
Wasser auf das Land sprengte. Schließlich ist vom Auf-

! gehen vieler Frucht die Rede; doch wird der genauere
I Sinn keineswegs klar.

Der merkwürdige Sachverhalt angesichts des geringen
erhaltenen Textes ist also der, daß zwei Berichte
sehr stark an synoptische Texte erinnern, aber doch charakteristisch
von ihnen abweichen, daß eine dritte Szene
ganz in johanneischen Worten abgefaßt zu sein scheint,
während die vierte keinerlei kanonische Parallele hat.
Die schwierige Frage ist nun, in welcher Beziehung
der neugefundene Text zu den kanonischen oder den bekannten
Fragmenten außerkanonischer Evangelien steht.
Die Herausgeber haben diese Fragen bereits ausführlich
erörtert. Sie lehnen jede Zugehörigkeit zu den Evangelien
der Hebräer, der Ägypter, des Petrus ab; sie halten
auch eine Abhängigkeit von den Synoptikern für unwahrscheinlich
und nehmen an, daß die ähnlichen Berichte
unabhängige Darstellungen derselben Ereignisse
seien. Auch eine Abhängigkeit von Joh. wird abgelehnt;
die Herausgeber treten eher dafür ein, daß unser Fragment
einer der Quellen des Joh. entstamme. Obwohl
sich die Herausgeber sehr vorsichtig ausdrücken, glaube
ich doch, daß sie zu sicher urteilen. Wir wissen bei
I dem geringen Umfang der Fragmente ja garnicht, wie
der Zusammenhang der erhaltenen Stücke war, wissen
auch nicht, wie stark die Anklänge an Joh. oder die Syn.
im ganzen Werk waren. Eine direkte Abhängigkeit von
I den Synoptikern halte auch ich nicht für wahrscheinlich;

aber ebensowenig dürfte sicher sein, daß hier eine von
I den Synoptikern ganz unabhängige, auf authentische Berichte
zurückgehende Tradition vorliegt. Denn die Rede
des Aussätzigen kann durchaus auch eine Erweiterung
sein wie etwa die Rede des Gelähmten im Hebräer-
I evangelium (Parallele zu Mk. 3, lff. und Par.). Und
j daß die Frage vom Zinsgroschen eine zornige Antwort
| Jesu erfordere, wie sie unser Fragment bietet, ist auch
I keineswegs sicher. Am schwierigsten ist die Frage des
Zusammenhangs mit dem Johannesevangelium zu beantworten
. Auch hier ist es nicht wahrscheinlich, daß unser
Fragment ganz zerstreut begegnende Sätze des Joh. aneinandergereiht
hat, also direkt das Joh. benutzte. Aber
ebensowenig kann als sicher gelten, daß ein so stark mit
„synoptischen" Texten durchsetztes Evangelium eine der
Quellen des Joh. war. Zu alle dem kommt hinzu, daß
. wir keinerlei Anhalt für die Abfassungszeit des Frag-
I mentes haben. Ich glaube darum nicht, daß das jeden-
i falls nicht sehr frühe Fragment (vgl. 6 xüquh; in der
j Erzählung!) literarisch sicher eingeordnet werden kann,
solange wir nur so wenig von dem Gesamtwerk gefun-
! den haben. Vorläufig bleibt der Text wichtig als Zeugnis
für die sehr freie und dem Wortlaut gegenüber keineswegs
ängstliche Evangelienproduktion am Ende des er-
| sten und Anfang des zweiten Jahrhunderts und darüber
j hinaus als Zeugnis für die außerordentlich verschiedene
I Art, wie die Christen der verschiedenen Länder zusam-
I menfassende Darstellungen Jesu gestalteten.

An zweiter Stelle veröffentlichen die Herausgeber
> Fragmente von zwei Papyrusblättern, die nach der Schrift
in den Anfang des 3. Jahrhunderts datiert werden können
. Es handelt sich deutlich um ein theologisches Werk,
in dem sehr zahlreiche Bibelzitate angeführt werden
(aus Mt., Joh., Phil., 2. Tim., Ps.). Doch läßt sich bei
dem trümmerhaften Zustand des Textes weder über den
Charakter der Schrift noch über seinen Verfasser irgend
etwas Sicheres vermuten. Interessant ist von den lesba-
j ren Stücken nur Zeile 81 ff., wo von dem Logos gesagt
j wird: xovx[6 law t6 cp)o>? ti> ü?.Ti-(h[v6v, fjXto; f>jt]ei) w
rlio[v) finlwv (plonitow, worauf ein Zitat von Phil. 2,6
folgt.

Das dritte Fragment stammt aus einer Handschrift
i von 2. Chronik und gibt den Text 2. Chron. 24,17—27
wieder, in der Hauptsache mit dem Text von B übereinstimmend
. Die Herausgeber datieren den Papyrus in das
3. Jahrhundert. Den Beschluß der Publikation bildet
I ein liturgisches Fragment aus dem 4./5. Jahrhundert. Es
gehört nach der Angabe der Herausgeber zu keiner be-