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Ausgabe:

1936 Nr. 2

Spalte:

39-40

Autor/Hrsg.:

Schneider, Georg

Titel/Untertitel:

Deutsches Christentum 1936

Rezensent:

Eisenhuth, Heinz Erich

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Theologische Literaturzeitung 1936 Nr. 2.

40

Ernst ausweicht und sich aus lauter Angst in neuen l und Christus" gelangen (188). Deutsches Christentum

Möglichkeiten immer erst wieder neu konstituiert, um ! ist das positive Christentum, „wenn Christus im i n -

sich sofort wieder aufzulösen in seiner sozialen Einsam- | wendigen Menschen wohnend, eine auf der Erden-

keit, wo er kein Du hat, sondern nur den anonymen | weit in Erscheinung tretende Wirklichkeit wird" (156,

Andern, der jeder und niemand ist (eine schöne Kritik ! 62, 71).

dessen, was wir heute in Deutschland den Liberalismus ] Die Idee der Dritten Kirche ist schon oft erörtert wor-
nennen), wo deshalb auch Freundschaft, Liebe und Ehe, den (u.a. von Sendling, Lagarde). Hier kommt mehr zum
hineingezogen in die Flucht, von außen von der Situation Ausdruck, als nur die Hoffnung eines Einzelnen, hier
bestimmt werden, statt daß der Mensch in der Be- geht es um das Wollen einer großen Volksbewegung,
glückung der Bedingungslosigkeit der Liebe, der Ein- die ihre Kraft der nationalsozialistischen Einigung ver-
maligkeit der Freundschaft zu einem Du die Ewigkeit dankt. Die theologische Begründung für diesen Weg
verspürt, wo (gegen Heideggers Zeitbegriff) der Mensch j sehen wir vor allem in einer klaren Stellung zur geflieht
mehr seine Zeit der Ewigkeit gegenüber erlebt. ! schichtlichen Offenbarung Gottes, wie sie am deut-
Wie wenn ein Seher eine Hülle nach der andern vom ; "chJfte" ™n "f,rder ausgesprochen worden ist.
Verborgenen bloßlegt, so zeigt Picard in immer neuen | 9°^ laßt m.udencrVi3,,15ern die Ahnung entstehen, die
berückenden Analysen die Flucht des Menschen auf in ln Christus ihre Erfüllung findet „Gottes Herrschaft
dem Chaos, das er schafft, in der Verkehrung der Dinge : "bera11 an" 018>. l2^.J3^' VJrf- versteht die
in Sprache, Wirtschaft, Kunst, in der Wissenschaft, in Offenbarung nicht als eine Mittedung die geglaubt, sonder
Historie und Soziologie, in Psychoanalyse bis in die der" als eine "a'tun% die. ,T Qe'ste Chrisfi erkämpft
Theologie hinein. Die dialektische Theologie ist nichts weu^en muß, als die Entwicklung des natürlichen Men-
anderes als ein Mittel, die Menschen dauernd in Alarm sch.e"zT ge'st'Se" <7.3)al* das Uberwinden der mate-
zu halten.-„Alles in dieser Theologie ist auf Mißtrauen, nalistischen Erdgebundenheit Christus ist der Hohe-
Hast und Atemlosigkeit gestellt. Wäre diese Spannung punktd,eser geistigen Entwicklung. Von hier aus erk art
zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf wirklich llc,h .^m]'auch semf Forderung nach einer „deutschen
vorhanden, dann wäre auch alles übrige in der Schöpfung Bibel«. Christus ist das Herzstuck der Bibel (14J)
so gespannt...; es gäbe keine Ruhe, keine Dauer, kein? fs braucht aber weder das ganze Alte Testament „och
Zuversicht und keine Sicherheit, es gäbe nur andauernde d,er ganze Hebraerbrief Aufnahme zu finden 142). Statt
Explosionen, Kontrolle und Eachheit, es gäbe keinen deren sol ten einige Stucke aus dem Heiland aufgenom-
Schlaf in der Welt" men werden (182). Auch soll in einer deutschen Bibel
r i j A l • x ™ i. a i t~ t i die Entwicklungslinie stehen, die für den germanischen
Der_ Gegenpol der Angst.ist Glaube und als Tiefstes Menschen den Hinweis auf Christus enthält. „Nordi-
die Liebe in der die Flucht zum Stehen kommt. Nach sches Sagengut ist auch Erzieher auf den Gottesmen-
dern Buch der Angst und der Flucht erwarten wir schen Cn?ris&s darum muß ihm Platz egeben werden
jetzt das Buch, das nach dem Aufruf zum Halt auf der m der deutsch'en Bibel". Es ist der Beitrag des biologi-
Flucht aus der Fülle der Liebe wohltut. schen £troms unseres ganzen Seins« (84) ä
Oiessen. JohannesNeumann. Verf. weiß, daß er als Erzketzer verstanden werden

kann (48), und daß für Viele sein Buch wie ein Strahl

Schneider, Georg: Deutsches Christentum. Der Weg z. dritten ; kalten Wassers wirkt (150). Es ist in der Tat von einer
Kirche. Stuttgart: w. Kohlhammer 1934. (IV, 192 S.) 8°. RM 2.40. stark revolutionären Haltung. Zwei Einwände sind aber
Ein zuversichtliches Buch, das zum Kampf aufruft für geltend zu machen. 1. Verf. hat die Bedeutung des To-
eine große Zukunft der evangelischen Kirche. Das Ziel ! des Jesu für den evangelischen Glauben nicht gewür-
ist die „eine romfreie Nationalkirche für die einige digt. Er übersieht die Einzigartigkeit und die Tiefe der
Nation" (189). Die Kraft für diesen Kampf ist Christus Gottessprache gerade in diesem Geschehen. Dies zeigt
auf deutschem Boden. Der Verf., ein Pfarrer in Stutt- ■ sich besonders nachteilig bei seiner Sakramentsauffas-
gart, spricht zunächst in aller Offenheit, jedoch ohne ■ sung. In den Sakramenten nehmen wir ein Handeln
Lieblosigkeit gegenüber der Vergangenheit (8), von der Gottes glaubend entgegen, das uns in die Todesgemein-
dreifachen Not der Kirche: die Sprache ist weithin an schaff mit Christus hineinstellt. 2. Die Forderung nach
jüdisches Denken gebunden, das biblische Weltbild ist einer „D e u t s c h e n Bibel" gibt zu Unrecht die Idee
mit der Naturwissenschaft und die metaphysische Vor- der kirchlichen Oekumene auf. Wird mit Streichungen
Stellung einer räumlich-zeitlichen Über- und Hinterwelt ; oder mit Ergänzungen begonnen, dann wird die Bibel
ist mit unserem philosophischen Wissen unvereinbar. Im wieder zu einem Gegenstand der Erkenntnis statt zur
zweiten Teil seines Buches weist Verf. in vier Ab- Grundlage des Glaubens. Allerdings brauchen wir ein
schnitten auf „Neue Wege" hin. Er geht aus von der ; lebendiges und kritisches Verständnis des heilsgeschicbt-
einfachen und schlichten Größe Jesu Christi, die er von i liehen Zusammenhangs innerhalb der Heiligen Schrift,
aller Dogmatik befreit, die oft der Feind der historischen Ihre Zusammenfügung ist aber mehr als nur eine histo-
Forschung gewesen ist. Sodann wendet er sich dem | rische Zufälligkeit. Sie gibt Zeugnis von einer bestimm-
„Artgemäßen Christentum in der Bibel" zu und zeigt, ten Glaubenshaltung. Darin liegt ihre Größe und ihre
daß die innere Verbindung von Christentum und Volks- ' Grenze. Ferner sei noch auf folgendes hingewiesen,
tum eine Aufgabe ist, die in der Bibel selber geübt und i Einige Wendungen sind ungenau, z. T. verletzend, begefordert
wird. Bei den „Sakramenten des Deutschen sonders die gegen die dialektische Theologie und geChristen
" kommt es ihm entscheidend auf das Werden gen den römischen Katholizismus. Auch liegt der Trans-
des neuen Menschen an, der im Geiste Jesu Christi I parenzgedanke nicht in der Linie des Buches (136).
den Materialismus überwindet. Was Verf. von dem i Nach der berechtigten Ablehnung der Hinterweltlichkeit
großen, heiligen deutschen Mahl im Winterhilfswerk j bedürfen die e c h t e n Fragen der Metaphysik einer drin-
schreibt, darf innerster Zustimmung gewiß sein (175 ff.), j genden Beachtung. Zum Schluß sei aber besonders er-
Das Buch schließt mit einer „Entwicklungslinie auf ein j wähnt, daß Verf. sich zu den Männern hält, die von
deutsches Christentum" ab. Der Gegensatz zwischen einem Teil der heutigen Theologie oft nicht anerkannt
römischem Christentum und Deutschtum hat in der Ver- j werden in ihrer Bedeutung für das Christentum: Kant,
gangenheit viel Blut gefordert. Wir müssen endlich zu Nietzsche, Lagarde und Rosenberg,
einem „lebendigen Konkordat von deutschen Herzen I Leipzig. h. Eisen hu th.

Die nächste Nummer der ThLZ erscheint am 1. Februar 1936.

Verantwortlich: Prof. D. W. Bauer in Güttingen, Düstere Eichenweg 14.
Verlag der J. C. H i n r i c h s'sclien Buchhandlung in Leipzig C 1, Scherlstraße 2. — Druckerei Bauer in Marburg.